Das Areal der Calwer Passage wird neu bebaut. Der Stuttgarter Investor Ferdinand Piëch gibt dem inhabergeführten, kleinteiligen Handel eine Chance.
Stuttgart - Der große dreiteilige Gebäudekomplex am Rotebühlplatz aus den 70-er Jahren mit der Calwer Passage als Herzstück wird ebenso wie das benachbarte Gebäude an der Ecke Theodor-Heuss-/Lange Straße abgerissen. Das Grundstück soll bis Ende 2020 neu bebaut werden und eine spektakulär begrünte Fassade erhalten. Die denkmalgeschützte Ladenpassage bleibt nicht nur erhalten, sondern wird bis zur nächsten Querstraße verlängert. Der Stuttgarter Investor Ferdinand Piëch, Sohn des gleichnamigen ehemaligen Porsche-Großaktionärs und VW-Aufsichtsratsvorsitzenden, hat am Dienstag im Technik- und im Städtebauausschuss sein Projekt präsentiert. Auskunft über das Investitionsvolumen gab er nicht. Es soll bei einer Nutzung für Büros, Einzelhandel, Cafés und Wohnen bleiben.
Während der Bauzeit wird wohl der passagenseitige Abgang zur S-Bahn-Station geschlossen. Gute Nachrichten gibt es aber für Händler und Kunden des Projekts Fluxus, das noch bis Mitte 2018 Existenzgründern Flächen zu günstigen Mieten bietet: Piëch will auch künftig „dem inhabergeführten, kleinteiligen Einzelhandel Chancen in bester Innenstadtlage bieten“. Das ginge nur mit „auskömmlichen Mieten“. Fluxus habe gezeigt, wie sehr die Stuttgarter und Besucher die Calwer Passage als urbanes Kleinod schätzten.
Abheben vom Filialistentum
I-a-Lagen gebe es in der City in ausreichender Zahl. Man wolle sich klar vom allgemeinen „Filialistentum und vom großflächigen Einzelhandel“ abheben, meint Holding-Geschäftsführer Frank Beling. Er verspricht sich einen positiven Impuls für das gesamte Gebiet, auch für die alten, denkmalgeschützten Häuser in der Calwer Straße, die zu einem Großteil zum vor vier Jahren erworbenen Gesamtpaket zählten und ebenfalls renoviert würden.
Der Vertrag mit dem Hauptmieter steht. Dieser Tage sei er mit der Anwaltssozietät CMS Hasche Sigle unterzeichnet worden. Das am Degerlocher Albplatz angesiedelte Unternehmen wird mit 300 Mitarbeitern umziehen und rund 10 000 Quadratmeter Fläche beanspruchen. Das Unternehmen pflegt enge Geschäftsbeziehungen zur Immobilien-Holding und beriet sie zuletzt beim Kauf des Hindenburgbaus gegenüber dem Hauptbahnhof. Neben Büros und Einzelhandel sind auch 17 Wohnungen geplant, fünf mehr als bisher.
Ingenhoven und Sobek planen die Fassade
Für die Realisierung hat sich Piëch Prominenz geholt. Die Fassade wird vom Stuttgart-21-Architekten Christoph Ingenhoven aus Düsseldorf gestaltet. Die technische Unterstützung erfolgt durch das Büro des Stuttgarters Werner Sobek, der in der dreiköpfigen Jury saß, die das Büro Ingenhoven Architects ausgewählt hatte. Planender Architekt des Gebäudes, das nicht höher werden soll als der von Kammerer & Belz konzipierte Bestandsbau, ist das Büro Tennigkeit Architekten.
Ingenhoven sagt, er habe sich gefragt, was das Gebäude für Stuttgart tun könne. Es lag offenbar nichts näher, als einen Beitrag zur Verbesserung der Luftqualität, zur Lärmreduktion, zur CO2-Bindung und zum Regenwasserrückhalt anzubieten. Er plant deshalb eine in ihrer Ausprägung abgestufte Fassaden- und Dachbegrünung. Für ihn stellt das Gebäude kein zweites Experimentierfeld neben dem Tiefbahnhof-Unikat dar. Bedenken von Stadträten und Kollegen, Grünpflanzen seien im Winter unansehnlich und Holz könne auch mal brennen, konterte er mit Verweisen auf nationale und internationale Referenzprojekte.
S-21-Gegner loben Ingenhoven
Ingenhoven erntete viel Zustimmung für seine Fassade, von CDU über SPD und AfD, aber auch von der Fraktionsgemeinschaft SÖS/Linke-plus, die ihm wegen des Bahnhofs ansonsten in tiefer Abneigung verbunden ist. Eher kritisch gesehen wird dagegen der Baukörper, er wirke irgendwie verloren an der markanten Ecke, die die Stadt städtebaulich extrem verändern will. Bemängelt wurde auch das Fehlen eines Durchgangs zum Verkehrsknotenpunkt Rotebühlplatz, der von der Stadt ebenso kräftig zurückgebaut wird wie das Entree der längst beruhigten Querspange.
Im Städtebauausschuss wurde die Vorgehensweise Piëchs moniert, den Auftrag für die Fassadengestaltung im kleinen Kreis ausgehandelt zu haben. Die Kritik, das Mittel des Wettbewerbs werde „missbraucht“, wurde mit der Forderung nach „einem anderen Zugang zu Wettbewerben“ verknüpft. Es sei frustrierend, über fertige Konzepte zu diskutieren, ohne etwas ändern zu können. Der hochkarätig besetzte Gestaltungsbeirat soll nicht gehört werden.
Der Technikausschuss hat die Verwaltung aufgerufen, auf der Forderung nach einer Fassadenbegrünung für das Hochhaus der Strabag Real Estate im Europaviertel zu bestehen. Das Unternehmen sehe den siegreichen Entwurf des Architektenwettbewerbs skeptisch, sagt Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne). Stadtrat Luigi Pantissano (SÖS/Linke-plus) sieht den Grund eher darin, dass der vom Investor favorisierte zweite Preis aus dem Büro von Sebastian Haselsteiner stammt, dem Sohn des ehemaligen Strabag-Vorstandschefs. Die Stadtplanerin Carolin zur Brügge sagt, das Unternehmen würde wohl den Siegerentwurf akzeptieren, sofern die Stadt im Gegenzug Befreiungen gewähre.