Bisher war es in Stuttgart ein Alleinstellungsmerkmal des Charlottenhauses, dass sich Schwangere ihre Hebamme für die Geburt selbst aussuchen konnten. Doch das Modell wird nun abgeschafft.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag sind die Beleghebammen der Klinik Charlottenhaus bislang noch für ihre Schwangeren erreichbar. Dass sich werdende Mütter die Hebamme aussuchen können, ist ein Alleinstellungsmerkmal unter den Geburtskliniken in Stuttgart. Zum Jahreswechsel wird es aber aufgegeben. Das Charlottenhaus auf der Gänsheide führt für die Beleghebammen einen Schichtdienst ein. Hintergrund ist der Hebammenmangel, der deutschlandweit besteht. Durch die Maßnahme sei es weiterhin möglich, die Zahl der Hebammen konstant zu halten, heißt es aus der Klinikleitung.

 

Anlass für die Umstellung war, dass zwei Geburtshelferinnen schwanger ausgeschieden sind und man Schwierigkeiten gehabt habe, Ersatz zu finden, berichtet der Sprecher der Belegärzte am Charlottenhaus, Kurt Götz Wurster. Die 24-Stunden-Präsenz habe sich „ein bisschen als Hemmschuh“ erwiesen. Gerade jüngere Hebammen habe die ständige Bereitschaft abgeschreckt, weil sie das Privatleben stark einschränkt. Aus dem Kreis der Beleghebammen sei dann die Initiative für den Schichtdienst gekommen. Bei den Belegärzten bleibe alles wie gehabt: Der Arzt, für den sich eine Frau entschieden habe, komme zur Geburt, so Wurster.

Hebammensprechstunde ist gut gebucht

Der kaufmännische Direktor beim Robert-Bosch-Krankenhaus, Gerald Tomenendal, der auch für das Charlottenhaus zuständig ist, berichtet, dass sie durch die Änderung des Modells wieder Bewerbungen von jüngeren Hebammen bekommen hätten. Die zuweisenden Frauenärzte seien inzwischen informiert worden. Damit wollte man auch völlig falschen Gerüchten entgegentreten. So habe es schon Anrufe gegeben, ob es stimme, dass das Charlottenhaus sich aus der Geburtshilfe verabschiede.

Zum 1. Dezember wird als weitere Neuerung zweimal die Woche eine Hebammensprechstunde eingeführt, bei der die werdenden Mütter alles über die Geburt im Charlottenhaus erfahren könnten. Ob sich die Umstellung auf die Geburtenzahlen auswirkt, wird sich noch zeigen. „Wir müssen gucken, ob das Modell trägt“, sagt Tomenendal. Die Zahlen der vergangenen Jahre lagen Wurster zufolge bei 1000 bis 1100 Geburten im Jahr. Bislang gebe es keine negativen Reaktionen seitens der zukünftigen Eltern, so die Pflegedienstleitung Christel Ider, zudem sei die Hebammensprechstunde gut gebucht. Sie weist auf einen Vorteil des neuen Modells hin: dass die Hebammen nun gesichert ihre Geburtsvorbereitungskurse anbieten könnten. Absagen, weil eine Geburtshelferin im Kreißsaal gefordert ist, gehörten der Vergangenheit an.

An der Frauenklinik voraussichtlich weniger Geburten als angenommen

Die anderen Geburtskliniken in der Stadt haben angestellte Hebammen. Beim Marienhospital, beim Robert-Bosch-Krankenhaus und bei der St-Anna-Klinik sollen zurzeit alle Hebammenstellen besetzt sein. Vom Mangel am stärksten betroffen ist aktuell die Frauenklinik am Klinikum Stuttgart. Hier werden in Stuttgart mit Abstand am meisten Kinder geboren. Fünf der insgesamt 32,5 Hebammenpersonalstellen sind aktuell nicht besetzt. Das Problem besteht schon seit einigen Monaten. Im Sommer hatten wie berichtet zeitgleich mehrere Hebammen die Frauenklinik verlassen.

„Auf dem Arbeitsmarkt sind nicht ausreichend viele qualifizierte Hebammen zu finden“, erklärt Ulrike Fischer, die Sprecherin des Klinikums. Den Engpass versuche man über die Optimierung von Abläufen und zum Teil mit Leasingkräften zu kompensieren. Doch ganz gelingt das offenbar nicht: „Etwa zehn Prozent der Frauen, die bei uns ihr Kind auf die Welt bringen möchten, können wir derzeit nicht versorgen“, berichtet Fischer. So würden in der städtischen Frauenklinik in diesem Jahr voraussichtlich 300 Babys weniger als angenommen geboren. Es werden wohl 3100 statt 3400 Geburten sein.

Die anderen Geburtskliniken profitieren von dem Engpass am Klinikum. In der St.- Anna-Klinik ist man froh, dass man vorausschauend eine Hebammenstelle zusätzlich besetzt hatte. Das wirke sich jetzt, da man vom Klinikum Geburten übernehme, positiv aus, so die Pflegedienstleiterin Petra Hahn. „Das hat schon zu einer Arbeitsverdichtung geführt“, sagt sie. In der St.-Anna-Klinik merkt man den Hebammenmangel vor allem indirekt: So berichtet Petra Hahn von Frauen, die nach der Entbindung keine Hebamme für die Nachsorge gefunden hätten.