Das Theater Lokstoff überrascht mit originellen Stücken an immer neuen Orten in ganz Stuttgart, zum Beispiel im Hauptbahnhof oder auch auf dem Charlottenplatz. Jetzt feiert die kleine Truppe ihren zehnten Geburtstag.

S-Mitte - Das Ensemble hält es mit den ganz großen historischen Vorbildern: Shakespeare und Molière sind mit ihren Stücken zu den Leuten gezogen. So macht es auch das Theater Lokstoff. Seit zehn Jahren bespielt die freie Gruppe den öffentlichen Raum und das mit Riesenerfolg: 95 Prozent Publikumsauslastung hat kaum ein Theater. Kathrin Hildebrand und Wilhelm Schneck gehören zu den Gründungsmitgliedern, sie gaben seinerzeit ihre festen Engagements am Theater Tribüne beziehungsweise am Alten Schauspielhaus auf, um Theater mitten im Leben zu machen. Bisher spielten sie schon im Flughafen, in den U-Bahnstation Charlottenplatz und Rotebühlplatz, in einem Möbelhaus, im Hauptbahnhof, in der Stadtbibliothek, im Linienbus, im Kunstmuseum, im Bülow Tower. Demnächst – zum zehnjährigen Jubiläum – werden sie in sieben Großraumtaxis „auftreten“ und die Zuschauer in einer Irrfahrt durch die Stadt kutschieren. „Wir ruhen uns nicht aus und wir machen es uns gerne kompliziert“, raunt Kathrin Hildebrand selbstironisch. Aber die Mühe lohne sich. „Im öffentlichen Raum zu spielen, ist zwar viel anstrengender. Aber es ist auch viel befriedigender. Wenn man lange an einem Theater angestellt ist, lebt man irgendwann in einer ganz eigenen abgeschlossenen Welt“, stellt sie im Rückblick auf ihr früheres Engagement am Alten Schauspielhaus fest.

 

Inspiration aus der Wirklichkeit

„Wir fädeln uns ins Geschehen ein.“ Das ist für Wilhelm Schneck der große Unterschied zwischen seinem Lokstoff-Theater im öffentlichen Raum und traditionellem Straßentheater. Das Einfädeln funktioniert beiderseits: „Manche der Straßenbahnfahrer grüßen uns heute, weil sie uns von unseren Aufführungen in den U-Bahn-Stationen kennen“, sagt Kathrin Hildebrand lächelnd und erzählt hinter vorgehaltener Hand, dass es eine Figur aus dem aktuellen Stück „Grand Hotel Abgrund“ wirklich gibt. „Ich bin diesem Menschen täglich begegnet“, berichtet sie. Aus ihren Beobachtungen ist dann die Bühnenfigur entstanden.

Selbst während der Vorstellungen sorgen die Passanten immer wieder für Überraschungen. Hildebrand erzählt, dass die Lokstoff-Mimen einmal im Hauptbahnhof in futuristisch gestylten Kostümen ihre Version des „Hamlet“ spielten, und eine Reisende vorbeikam, die ganz ernsthaft gefragt habe: „Woher kommen Sie denn eigentlich?“

„Die Passanten werden zu Zaungästen“, beobachtet Schneck. Vor allem aber verändere sich durch die Lokstoff-Spektakel die Sicht des Publikums auf die Stadt. Bestes Beispiel ist die Haltestelle unter dem Charlottenplatz. „Das ist ja für niemanden ein Besichtigungspunkt“, charakterisiert Schneck die Spielstätte des Stückes „Fischerkönig“. „Aber wir poetisieren durch unser Theater solche Unorte“, lobt er die gemeinsame Leistung des immer wieder wechselnden Ensembles. Begonnen hat das Theater Lokstoff mit Stücken von Franz Xaver Kroetz, Franz Kafka, Samuel Beckett und Frank Schimmelfennig. Heute schreibt das Theater Lokstoff seine Stücke selbst oder die Autoren gehen äußerst frei mit literarischen Vorlagen um.

Mehr Ideen als realisierbar sind

Schneck hat viele Stücke inszeniert und ist häufig auch selbst als Darsteller zu sehen. Neben ihm und Kathrin Hildebrand gehören Andrea Léonetti und Paul Varkonyi zu den Gründern des Vereins Theater Lokstoff. Hinzu kommt mittlerweile ein fester Stamm freier Schauspieler. „Wir arbeiten zwar sehr viel. Aber können davon nicht leben“, berichtet Hildebrand. Alle verdienen deshalb einen Teil ihres Lebensunterhalts als Sprecher für den Rundfunk, mit Werbung, mit Fernsehrollen oder als Theaterpädagogen.

Obwohl sie schon an so vielen Stellen der Stadt gespielt haben, werden die öffentlichen Spielorte den Lokstoff-Leuten nicht ausgehen, davon sind Schneck und Hildebrand felsenfest überzeugt. Für die kommenden beiden Jahre gibt es schon mehr Ideen als realisierbar sind, und im Oktober feiert das experimentierfreudige Theater sein erstes kleines Jubiläum mit einer ganzen Festivalwoche: Zu sehen ist die Neuinszenierung „2028 Taxi Odyssee. Zurück in die Zukunft“ sowie die Höhepunkte der vergangenen Jahre.

Kinderstück
„Lümmel – Eine tierische Freundschaft”, das bisher im Theaterhaus gezeigt wurde, können die jüngsten Zuschauer vom 8. September an auch in der Schalterhalle des Hauptbahnhofs sehen.

Festival
Als „Lokstoff! Kompakt” wird vom 19. September bis 4. Oktober Jubiläum mit mindestens einer Aufführung täglich gefeiert. Zu sehen sind acht Lokstoff-Produktionen. Der Kartenverkauf läuft.

Freunde
Für acht Euro im Monat kann man Förderer werden und wird zu den Vorpremieren eingeladen.