Der beste Schutz vor Corona ist die Distanz. Stuttgarter Theaterchefs gehen Optionen durch, wie sie mit Abstand öffnen könnten. Das Alte Schauspielhaus dürfte von 499 Sitzen nur 83 belegen. Derweil gibt’s Solidarität in der Altstadt.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Wenigstens die Friseure wissen nun, wann es weitergeht für sie. Am 4. Mai hat Winfried Kretschmann was Wichtiges vor. Gleich für den Tag des Neustarts in den Salons bekam der Ministerpräsident, dem man ansieht, dass er sich ans Friseurbesuchsverbot gehalten hat, einen Termin beim Hairstylisten seiner Wahl. Damit es keine Menschenansammlungen gibt, sich keine Pressefotografen gegenseitig auf die Füße treten, verraten wir nicht, wo der Bürstenschnitt des Grünen in Form gebracht wird. Jedenfalls lässt er nicht seinen Lieblingscoiffeur in die Villa Reitzenstein kommen, sondern fährt raus mit Leibwächtern in den Süden der Stadt.

 

Jeder Mitmensch wird als potenzielle Gefahr angesehen

Theaterchefs, Wirte und Kulturveranstalter hingegen wissen immer noch nicht, wann sie loslegen können. Jedem ist klar, dass sie – solange kein Impfstoff gegen Covid-19 vorhanden ist – Gäste auf Distanz halten müssen. Ist das so schlimm? Oft braucht man Abstand, um das Wesentliche erkennen zu können. Doch in Wahrheit ist es traurig, wenn jeder Mitmensch neuerdings als potenzielle Gefahr angesehen wird.

Axel Preuß, der Intendant der Schauspielbühnen, hat es durchgerechnet. Um die Abstandsregeln einzuhalten, dürfte er in seine Komödie im Marquardt nur 56 Zuschauerinnen und Zuschauer lassen – in einen Theatersaal mit 378 Sitzen. Im Alten Schauspielhaus wären 83 (von 499) belegte Plätze erlaubt. Die Schauspielerin Monika Hirschle, Publikumsliebling der Komödie, malt sich’s aus: „Was ist, wenn die wenigen mit Mundschutz im Zuschauerraum sitzen und in die Masken lachen?“ Wenn man ihren Chef Preuß fragt, wie es ihm geht, sagt er: „Kann nicht genug klagen!“ An die Politik appelliert er, bald aufzuzeigen, was geplant ist – auch wenn es schmerzhaft sei.

„Wir könnten Hotspots im großen Foyer entzerren“

Dies fordert auch Varieté-Chef Timo Steinhauer. Ein Zeitplan sei für seine Bühne „überlebensnotwendig“. Denn die Kultur funktioniere nicht wie die Gastronomie. „Restaurants können relativ schnell wieder öffnen, wenn es den Startschuss dafür gibt“, sagt der Intendant, „Theater dagegen brauchen einen langen Vorlauf, um Produktionen zu planen, die Künstler final zu buchen, die Werbung zu starten und vor allem um Karten zu verkaufen.“ Gemeinnützige Häuser hätten obendrein keine Möglichkeit, finanzielle Rücklagen zu bilden.

Steinhauer hofft, im September öffnen zu können. Bei den Tischen und Stühlen könne man im Friedrichsbau gut Abstand halten. „Da unser Foyer sehr groß ist, können wir Hotspots wie Bar, Garderobe und Toilette entzerren“, erklärt der Varieté-Chef.

„Permanentes Fiebermessen wäre seltsam“

Sein Kollege Sebastian Weingarten vom Renitenztheater fragt sich nicht nur, ob es sich wirtschaftlich lohne, vor ausgedünntem Saal zu spielen, sondern auch, ob das Publikum bereit sei, sich unter strengen Auflagen „in eine Entertainment-Stimmung“ zu begeben: „Emotional werden wir Theaterleute immer lieber spielen als den Laden dichtmachen.“

In den beiden Musicalhäusern plant man den Neustart für Anfang September. „Abstandsregeln können wir uns nur mit viel Fantasie vorstellen“, sagt Stephan Jaekel, der Unternehmenssprecher der Stage Entertainment. Dabei müsse man nicht nur an das Publikum denken, sondern auch an Cast und Orchester. „Ein Musical, bei dem alle Darsteller dauerhaft zwei Meter Abstand halten, ist seltsam“, findet er, „permanentes Fiebermessen wäre ebenfalls seltsam – wie auch Plexiglasscheiben im ganzen Hause.“ Die Stage spielt gerade alle Möglichkeiten durch, wie die Häuser „coronatauglich“ werden. „Aber am Ende bleiben Theater Orte, an denen Nähe und Begegnung wesensimmanent sind“, betont Jaekel.

Solidarität in der Altstadt: Spende der Table-Dance-Bar

Selbst im Leonhardsviertel, wo das rote Licht erloschen ist, spielt man durch, wie Erotik mit Distanz zurückkehren könnte. John Heer, Chef der Tabledance-Bar Messalina, kam zu folgendem Ergebnis: „Wir könnten zehn Besucher reinlassen, damit alle zwei Meter auseinander sitzen“, sagt er, „und die Tänzerinnen mit Maske auftreten lassen.“ Weil dies keine Option ist, hat Heer am Freitag die Getränke, deren Verfallsdatum naht, in die Leonhardskirche gebracht. Pfarrerin Gabriele Ehrmann nahm sie für Obdachlose entgegen. Solidarität im Städtle! Wasser und Cola halten nicht ewig. Alkoholische Getränke waren nicht dabei.

Sehen wir das Gute in der traurigen Lage. Was bleibt uns auch anderes übrig? Wenn man Probleme mit genügend Abstand betrachtet, so ist das doch, werden sie kleiner.