Akribische Erinnerungsarbeit
Gerhard Voss, Klaus Zimmerer, Cedric Müllner und viele andere engagieren sich in den Reihen des Vereins Denk-Zeichen für dieses Projekt. Und sie sorgen dafür, dass Jahr für Jahr weitere Stolpersteine in Esslingen hinzukommen. Es ist ein weiter Weg, bis eine der quadratischen Messingtafeln mit ihren abgerundeten Ecken und Kanten vor einem Haus verlegt werden kann, in dem einst ein späteres NS-Opfer gewohnt hat. Namen müssen ermittelt, Lebensgeschichten müssen akribisch recherchiert, Angehörige müssen ausfindig gemacht werden. Erst dann können der Name, die Geburts- und Sterbedaten und der Ort, an dem das Leben dieser Menschen beendet wurde, in Gunter Demnigs Werkstatt mit Hilfe von Schlagbuchstaben verewigt werden.
66 Stolpersteine hat der Verein Denk-Zeichen in den vergangenen Jahren auf diese Weise in Esslingen verlegt, und jedes Jahr kommen weitere hinzu. Mal ist es eine Handvoll, mal ist es ein ganzes Dutzend auf einmal. So soll es auch in den nächsten Jahren weitergehen. Klaus Zimmerer betont jedoch: „Es ist sehr wichtig, neue Stolpersteine zu verlegen. Aber unsere Aufgabe ist damit noch lange nicht erfüllt. Mindestens ebenso wichtig ist es, dafür zu sorgen, dass das Gedenken an die NS-Opfer nicht verblasst.“ Zimmerer meint das durchaus auch wörtlich: „Anfangs glänzen die Stolpersteine, doch mit der Zeit wird dieser Glanz in Wind und Wetter stumpf. Dann müssen wir ihn wieder aufpolieren.“ Das ist für Gerhard Voss und den Verein Denk-Zeichen durchaus auch symbolisch zu verstehen: „Wenn man die Erinnerung nicht pflegt, verblasst sie früher oder später. Gerade wenn es um die Zeit des Nationalsozialismus geht, ist es wichtig, das Bewusstsein für die damaligen Verbrechen aufrechtzuerhalten, damit so etwas nie wieder geschehen kann.“
Schulklassen unterstützen
In Esslingen sehen das viele genauso. „Wir sind sehr froh, dass nicht nur unsere Mitglieder die verlegten Stolpersteine reinigen und pflegen“, sagt Gerhard Voss. „Es gibt auch eine ganze Reihe von Organisationen, die uns dabei unterstützen. Auch manche Paten wollen Stolpersteine nicht nur stiften, sondern sich später um deren Pflege kümmern.“ Dank einer Spende hat Denk-Zeichen nun vier Akkuschrauber zur Verfügung, die man sich beim Verein leihen kann, wenn man Stolpersteinen zu altem Glanz verhelfen will. „Wir denken dabei gerade an Schulklassen“, sagt Klaus Zimmerer, der als Lehrer an der Johannes-Landenberger-Schule in Esslingen unterrichtet. „Die Stolpersteine sind eine sehr gute Möglichkeit, Geschichte anschaulich zu vermitteln. So erhalten Schülerinnen und Schüler einen viel besseren Zugang zu diesem Thema, weil nicht nur theoretisches Wissen vermittelt wird.“ Dass er selbst solche Projekte regelmäßig in seinen Unterricht einbaut, ist für Zimmerer selbstverständlich. Oft geht er dann mit seinen Klassen auch zum Theodor-Rothschild-Haus, wo ein Stolperstein an den Namensgeber des einstigen jüdischen Waisenhauses erinnert.
Neuerdings können Pädagogen wie Klaus Zimmerer eine weitere Möglichkeit nutzen, wenn sie an das Schicksal von Menschen erinnern wollen, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden: Im Internet gibt es einen sogenannten Stolpersteine-Guide, in dem Initiativen wie der Verein Denk-Zeichen ihre Standorte vermerken können. Zu jedem Namen, der auf einer der Messingtafeln festgehalten ist, gibt es biografische Informationen und – soweit vorhanden – sogar Bildmaterial. So wie im Falle der Familie Katz, die einst in der Mittleren Beutau 13 gelebt hatte, später nach Ludwigsburg umzog und schließlich im Oktober 1938 nach Polen ausgewiesen worden war.
Dort verlieren sich ihre Spuren. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Hermann, Sarah und Rosa Hilde Katz von den Nazis ermordet wurden. Doch die Erinnerung an sie lässt sich nicht auslöschen – drei Stolpersteinen in der Esslinger Altstadt sei Dank.
Wissenswertes zu den Stolpersteinen
Projekt
„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, zitiert Gunter Demnig den Talmud. Deshalb möchte der Künstler mit einem internationalen Projekt an die Opfer der NS-Zeit erinnern: Juden, politisch Verfolgte, Zwangsarbeiter, Zeugen Jehovas, Homosexuelle, Sinti und Roma, aber auch Menschen, die im menschenverachtenden Nazi-Jargon als „lebensunwertes Leben“ abgestempelt und ermordet worden waren. Demnig erweist ihnen die Ehre, indem er vor ihrem letzten selbst gewählten Wohnort kleine Gedenktafeln aus Messing in den Gehweg einlässt. 100 000 dieser sogenannten Stolpersteine liegen bereits in 1800 Kommunen in 30 europäischen Ländern. Selbst in Argentinien gibt es eine Stolperschwelle. Auch in Stadt und Landkreis Esslingen erinnern Stolpersteine an die Opfer der NS-Zeit.
Konzept
Die Schicksale der gewürdigten Opfer der Nazi-Zeit werden zunächst intensiv recherchiert. Dazu gehört auch die Suche nach Angehörigen, mit denen die Verlegung eines Stolpersteins nach Möglichkeit abgestimmt werden soll. Gunter Demnig empfiehlt, in die Erarbeitung der Stolperstein-Texte, die Organisation der Verlegung und die spätere Pflege gezielt Schulen einzubeziehen. Paten, die einzelne Stolpersteine stiften und später gerne auch pflegen, sind willkommen.
App
Unter der Internetadresse https://stolpersteine-guide.de/ finden sich zahlreiche Informationen zu Orten, an denen Stolpersteine verlegt sind, und zu den gewürdigten Personen. Dort sind auch die Esslinger Stolpersteine vermerkt.