Der Kölner Künstler Gunter Demnig kommt am Freitag, 4. März, nach Stuttgart, um 14 Stolpersteine zu verlegen, die an Opfer der NS-Zeit erinnern sollen.

Stuttgart - Vor 20 Jahren begann der Kölner Künstler Gunter Demnig damit, so genannte Stolpersteine zu verlegen, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern sollen. Auch in Stuttgart war Demnig schon öfter zu Gast. Am Freitag, 4. März, ist er erneut vor Ort, um insgesamt 14 Steine zu verlegen. Seine Tour beginnt um 11.30 Uhr in Stammheim, führt ihn dann weiter nach Zuffenhausen, in die Innenstadtbezirke und endet schließlich um 16 Uhr in Weilimdorf.

 

An der Mörikestraße 24 (heute Frobeniusstraße 24) in Stammheim wohnte Friedrich Orth. Am 22. November 1934 wurde er in die psychiatrische Abteilung des Bürgerhospitals in Stuttgart eingewiesen. Die Diagnose lautete Progressive Paralyse, eine Spätfolge einer Syphilis-Erkrankung. Nachdem Orth zunächst in der Heilanstalt Christophsbad in Göppingen und später in der Heilanstalt Weissenau im heutigen Landkreis Ravensburg aufgenommen wurde, kam er nach Grafeneck. Dort fiel er am 28. August 1940 der „Aktion T4“ zum Opfer – einen Tag vor seinem 42. Geburtstag.

Auch Kinder und Babys wurden nicht verschont

Nächste Station von Gunter Demnig ist um 12 Uhr die Hördtstraße in Zuffenhausen. Dort wohnten Ursula Siegel (Hausnummer 45) und Eugen Erhardt (Nummer 92, das Haus steht aber nicht mehr, deshalb kommt der Stein auf die Wendeplatte vor Nummer 86). Die Geschichte von Ursula Siegel ist besonders tragisch. Sie war erst drei Jahre und 17 Tage alt, als sie am 14. März 1943 starb – in der städtischen Kinderklinik, angeblich an Capillarbronchitis. Die kleine Ursula kam mit einem Wasserkopf zur Welt. Den Eltern behinderter Mädchen und Jungs wurde damals erzählt, man könne den Kindern in einer „Kinderfachabteilung“ helfen. Tatsächlich wurden sie dort für Forschungszwecke missbraucht und getötet, die Sterbeurkunden wurden gefälscht. Falsche Urkunden haben die NS-Täter auch in Grafeneck erstellt. Dort wurde Eugen Erhardt am 21. Juni 1940 vergast. Der im Jahr 1903 in Zuffenhausen geborene Bäcker und Konditor litt an einer psychischen Erkrankung. Von der Psychiatrie in Weinsberg wurde er in die Tötungsanstalt Grafeneck deportiert, wo man ihn mit Kohlenmonoxid im Rahmen von „T4“ vergiftete.

„T4“ fiel auch Anna Josepha Maria (Fanny oder auch Finny genannt) Strecker zum Opfer. Sie lebte am Rosenbergplatz 12 (S-West), ihr Stolperstein wird um 12.50 Uhr verlegt. Strecker war im September 1908 wegen Schizophrenie in die private Heilanstalt Kennenburg eingewiesen worden, damals war sie 37 Jahre alt. Zwar wurde sie nach rund einem Jahr entlassen, kam dann aber 1911 in die Nervenheilanstalt Weinsberg. Dort musste sie fast drei Jahrzehnte ihres Lebens verbringen, bis sie am 4. Juni 1940 in Grafeneck getötet wurde.

Von Stuttgart über Frankreich nach Auschwitz

Eine ganz andere Geschichte verbirgt sich hinter Siegfried Fiskus. 1926 in Stuttgart geboren, wanderte die Familie 1933 nach Frankreich aus. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen musste sich der junge Mann verstecken und ging in den Widerstand, wurde aber schließlich doch als Jude erkannt und verhaftet. Im Juni 1944 kam er in das Gestapo-Gefängnis in Lyon, weitere Stationen waren Auschwitz, Stutthof und schließlich Hailfingen, wo er am 22. Januar 1945 starb und in einem Massengrab verscharrt wurde. An seinem ehemaligen Wohnort Weimarstraße 15 (S-West) wird um 13.15 Uhr der Stolperstein verlegt.

Mit gleich fünf Steinen wird um 13.45 Uhr an der Fritz-Elsass-Straße (vor dem Rotebühlzentrum, gegenüber der Hausnummer 32, ehemals Gartenstraße 17) der Familie Olonetzky gedacht: Moritz Olonetzky, Paula Apfelbaum-Olonetzky, Efrem Olonetzky/Ilani, Avraham Olonetzky/Ilani, Beny Olonetzky. Die Familie stammte ursprünglich aus Russland, das sie aber wegen der dortigen Repressionen verließ und nach Deutschland übersiedelte, wo man in Stuttgart sesshaft wurde. Mit dabei bei der Stolpersteinverlegung sein wird Nadine Olonetzky, die sich mit dem Schicksal ihrer Familie eingehend beschäftigt hat und deren Recherchen unter www.stolpersteine-stuttgart.de zugänglich sind. Beim Gedenken an der Fritz-Elsass-Straße wird Kantor Nathan Goldmann von der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs zwei Psalmgebete sprechen.

Noch ein Baby war Brigitte Köppe, als sie am 17. Dezember 1943 im Alter von sechs Wochen der nationalsozialistischen Ideologie zum Opfer fiel. Das kleine Mädchen starb im städtischen Kinderkrankenhaus an der Birkenwaldstraße 10. Laut Totenschein soll es an einem angeborenen Analverschluss gestorben sein. Heutzutage kann eine solche Fehlbildung operiert werden. Damals jedoch konnte das Kind nicht angemessen behandelt werden. Was mit der kleinen Brigitte tatsächlich geschah, ist nicht mehr nachvollziehbar. Eventuell gab man ihr nichts mehr zu essen und verabreichte ihr Medikamente, die sie beruhigen und sanft töten sollten. Um 14.20 Uhr wird Gunter Demnig an der Bergstraße 64 (S-Ost) für Brigitte Köppe einen Stolperstein verlegen.

Seinem Leben selbst ein Ende setzte Adolf Wolff. Der jüdische Textilunternehmer war 1917 in die Danneckerstraße 22 (S-Mitte, Stolpersteinverlegung um 14.50 Uhr) gezogen. Im Sommer 1936 wurde er der „Rassenschande“ verdächtigt und anonym angezeigt. Ein Gesetz aus dem Jahr 1935 stellte sexuelle Kontakte von Juden und Nichtjuden unter Strafe, desgleichen die Beschäftigung „arischer“ Dienstmädchen in jüdischen Haushalten. Die Familie Wolff hatte seit vielen Jahren solch ein Dienstmädchen beschäftigt. Im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen ihn verübte Adolf Wolff am 19. Juni 1936 Selbstmord.

Schizophrenie bedeutete den Tod

„Schafft gar nichts, spricht kein vernünftiges Wort“ – so lautet der letzte Satz in der Patientenakte von Luise Siegle. Er stammt vom 1. August 1940. Es war der Tag, an dem die damals 46-Jährige nach Grafeneck gebracht und im Rahmen der „Aktion T4“ ermordet wurde. Als Kind war die kleine Luise schwächlich, als junge Frau nur 1,55 Meter groß und knapp 47 Kilogramm schwer. Seit ihrem 25. Lebensjahr hatte sie Anfälle, 1933 wurde bei ihr Schizophrenie mit epileptischen Anfällen diagnostiziert. Im gleichen Jahr wurde sie nach Weissenau eingewiesen, bevor ihr Lebensweg schließlich in Grafeneck endete. Vor ihrem ehemaligen Wohnhaus an der Möhringer Straße 30 (S-Süd) wird um 15.20 Uhr ihrer gedacht.

Letzte Station von Gunter Demnig am 4. März wird um 16 Uhr die Glemsgaustraße 27 in Weilimdorf sein. Dort lebte Emma Schwab. An der Stelle befand sich bis Ende der 1960er Jahre das Gasthaus Krone. Der erste Kronenwirt war Emmas Großvater, danach betrieben ihr Vater und schließlich ihr Bruder das Wirtshaus. Von ihrem Bruder wurde Emma schlecht behandelt, ebenso von ihrem Schwager, der sie auch schlug. 1931 kam sie wegen Schizophrenie in die Heilanstalt Christophsbad in Göppingen, danach für einige Monate nach Weinsberg. Am 10. Dezember 1940 wurde sie in Grafeneck ermordet.

Die „Aktion T4“ und die Tötungsanstalt Grafeneck

Die Bezeichnung T4
 bezieht sich auf die Tiergartenstraße 4 in Berlin. In der dortigen Villa war in der NS-Zeit die Leitzentrale zur Ermordung behinderter Menschen untergebracht („Zentraldienststelle T4“). Sie war verantwortlich für den systematischen Massenmord an mehr als 70 000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen in den Jahren 1940 und 1941. Heute befindet sich an der Tiergartenstraße 4 ein Gedenk- und Informationsort.

Im Schloss Grafeneck
 bei Gomadingen, heute Landkreis Reutlingen, wurde im Jahr 1940 die erste Tötungsanstalt in Deutschland eingerichtet. Zur Anstalt gehörten unter anderem ein Vergasungsschuppen und ein Krematorium. Die systematischen Ermordungen begannen im Januar 1940 und endeten im Dezember 1940. Gründe für die Schließung waren Proteste der Kirche, der Angehörigen und anderer Anstalten. Außerdem ließen sich die Morde nicht mehr geheimhalten. 10 654 Menschen mit Behinderung wurden getötet. Nachfolgeeinrichtung wurde die T4-Tötungsanstalt Hadamar bei Limburg.