Präsident Gauck hält eine Geschichtsstunde und erklärt, welche Pflichten aus dem 17. Juni 1953 erwachsen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Erst einmal fiel für einen Tag die Schule aus.“ So beginnt Joachim Gauck in seinen „Erinnerungen“ über den 17. Juni 1953 zu erzählen. Er war zu jener Zeit noch Schüler. Im Gedächtnis geblieben ist ihm allerdings, dass in seinem Umfeld „nicht Angst, sondern eine unglaubliche Euphorie“ geherrscht habe.

 

60 Jahre später ist Gauck Staatsoberhaupt eines Landes, dessen Wiedervereinigung 1953 nur eine Hoffnung war. Als Bundespräsident des Jahres 2013 bedankt er sich in einer Feier des Bundestages bei den Westdeutschen von damals. Sie hätten die Erinnerung an „den Freiheitsmut des kleineren Deutschlands aufbewahrt“. Gleichwohl ist vieles in Vergessenheit geraten, manches missgedeutet worden. Im Osten sei dieses „kollektive Trauma“ verdrängt und verschwiegen worden.

Gauck eröffnet seine Gedenkrede deshalb auch mit einem Wunsch: Das Wissen über den 17. Juni müsse „zum Allgemeingut aller Deutschen“ werden. Es habe sich um „weit mehr als ein singuläres Ereignis in der Hauptstadt der DDR“ gehandelt, nicht nur um Proteste gegen verschärfte Arbeitsnormen und Plandiktate – sondern um einen „Volksaufstand für Demokratie“.

Auffällige Lücken bei der Linkspartei

Es gab Zeiten, da war die Erinnerung an den 17. Juni auch im Westen aus der Mode gekommen. Gauck spart das nicht aus. Der Feiertag an diesem Datum sei bisweilen als antikommunistische Propaganda diskriminiert worden. Und der Präsident räumt ein, dass auch er zeitweise die Ansicht vertreten habe, Antikommunismus sei eine „Grundtorheit“ jener Epoche gewesen, wie Thomas Mann das formulierte. Es gebe jedoch zweierlei Antikommunismus: einen, der von Verschwörungsdenken, Intoleranz und reaktionärer Gesinnung künde – und einen, der aus dem Aufbegehren gegen Leid, Willkür und Unrecht erwachse. Dieser Antikommunismus sei „ein Gebot des Humanismus“. Gauck fügt hinzu: Wer für ihn kein Verständnis habe, der habe „das 20. Jahrhundert nicht verstanden“.

Für den Präsidenten des Bundestags, Norbert Lammert (CDU), wurde mit dem zunächst erfolglosen Aufbegehren am 17. Juni 1953 die „Grundlage eines historischen Triumphs“ geschaffen – der freilich noch 35 Jahre auf sich warten ließ. Es sei an jenem Tag „um nichts weniger als um die Freiheit“ gegangen, sagt Lammert. Freiheitskämpfe verdienten nicht erst dann Respekt, wenn sie erfolgreich seien. Aus den Ereignissen jener Zeit erwachse die Pflicht, jene zu unterstützen, die heute um ihre Freiheit kämpften. Lammert nennt ausdrücklich Syrien, den Iran, Weißrussland, aber auch die Türkei als Beispiele.

Die Gedenkstunde im Plenarsaal findet vor fast vollem Hause statt. Auffällige Lücken klaffen nur in den Reihen der Linksfraktion. Nach und nach erscheinen 19 der 75 Abgeordneten. Deren Chef, Gregor Gysi, kommt verspätet. Und offenkundig ist ihm nicht bei jeder Passage der beiden Reden nach Klatschen zumute.