Veronika Kienzle, die Bezirksvorsteherin von Stuttgart-Mitte, beklagt im Fall der abmontierten Gedenktafel an die Opfer von Hanau die Kommunikation mit der Stadtverwaltung.

S-Mitte - Am 19. Februar 2020 wurden in Hanau neun Menschen bei einem rassistisch motivierten Attentat ermordet. Anschließend tötete der Täter seine Mutter und sich selbst. Ein Jahr später fühlen sich viele Angehörige der Opfer immer noch im Stich gelassen. Während sie wohl nur schwer zur Ruhe kommen, droht die Sache irgendwann vom Mehltau der Geschichte aus den Köpfen aller zu verschwinden. Die Erinnerung verblasst – aus einem Pogrom droht die zu bedauernde Tat eines verirrten Einzelgängers zu werden. Dass es dabei um mehr geht, dass es sich dabei um weit verbreiteten und tiefen Hass gegen Minderheiten, andere Religionen und Kulturen handelt, wurde am Tag des Jahrestages des Anschlags deutlich. In Frankfurt sollen Nazis Hakenkreuze auf Gedenkplakate geschmiert haben. Auch in Köln gab es Akte der Zerstörung.

 

Akte der Zerstörung

Doch Frankfurt und Köln sind nicht weit. Auch in Stuttgart gibt es Menschen, deren Gesinnung dunkel ist. Auch hier haben Unbekannte eine Hanau-Gedenktafel an der Rathaus-Wand mit einem Anarchie-Symbol beschmiert, um die Gesichter der neun Opfer unkenntlich zu machen. Der Wirt des Tatti, dessen Café vis-à-vis des Rathauses liegt, hat die Sache zwar mit Terpentin oberflächlich bereinigt, aber es bleiben Spuren. Spuren, die sich tief in die Gesellschaft, die Kommunalpolitik und die Verwaltung graben. An diesem Beispiel, aber auch beim Thema Haus des Tourismus, deutet sich an: Es herrscht ein Mangel an Kommunikation und politischer Kultur.

Bezirksbeirat plädierte für Interimslösung

Aber der Reihe nach. Die Gedenktafel wurde in einer „Aktion des zivilen Ungehorsams“ vom Bündnis „Stuttgart gegen rechts“ zum Jahrestag des Anschlags in Hanau an der Rathausrückseite angebracht. Ohne Erlaubnis, ohne Berechtigung, illegal. Kurzum: Die Mehrheit im Gemeinderat meint nun, das Schild müsste möglichst rasch weg. Der Vollzug durch die Behörden war damit reine Formsache. Seit Freitag ist die Tafel weg. Und all das, nachdem der Bezirksbeirat Mitte nur wenige Tage zuvor, in einer kontroversen und fruchtbaren Diskussion unter der Regie von Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle einen Kompromiss ausgehandelt hatte. Man kam überein, das Schild so lange an der Hauswand zu belassen, bis ein geeigneter (Gedenk-)Ort gefunden sei. Wohlwissend, dass man in Zukunft keinen rechtsfreien Raum für weitere Aktionen kreieren, aber dem zivilen Engagement durch das bloße Abschrauben auch nicht vor den Kopf stoßen wolle.

Von der Interimslösung für die Tafel ist nun – sehr zum Bedauern von Veronika Kienzle – keine Rede mehr. Dies hat sie auch dem Präventionsbeauftragten der Stadt, Gregor Belgardt, mitgeteilt und Rückenwind erfahren: „Auch er findet es schade, dass wir nicht informiert wurden“, sagt Kienzle, „es wäre sinnvoll miteinander zu kommunizieren.“ Diese Funkstille zwischen Verwaltung und Bezirksbeirat moniert die Bezirksvorsteherin nicht zum ersten Mal. Auch in der Diskussion um die Nutzung des Breitling-Hauses kritisierte sie, dass die Vorschläge für ein Haus der Kulturen oder ein Bürgerhaus am Markt nie bei den Bürgermeistern angekommen seien. Ohne Rücksprache sei lediglich der Plan für das Haus des Tourismus verfolgt und umgesetzt worden. „Die Verwaltung schenkt dem Bezirksbeirat nicht zum ersten Mal zu wenig Gehör“, sagt Kienzle, „ich verstehe das nicht. Dabei sind die Bezirksbeiräte in allen Gassen und Winkeln präsent und bekommen auch die Emotionen der Bürger hautnah mit.“

In diesem Sinne sei der Bezirksbeirat wie ein „Frühwarnsystem“, das die Stadt vor Unheil bewahren könne. Ein Beispiel sei die Krawallnacht am Eckensee. „Davor hatten wir schon vor zwei Jahren gewarnt. Wir wussten, da braut sich etwas zusammen“, sagt Veronika Kienzle.

Und während sich Stadt und Gemeinderat noch darauf verständigt, dass das Kulturamt prüfen wolle, welcher Ort sich für diese Form des Gedenkens eignet, ist Veronika Kienzle und der Bezirksbeirat Mitte wieder einen Schritt voraus. Man ist bei der Suche bereits bei einem Favoriten angelangt: „Der Joseph-Süß-Oppenheimer-Platz könnte so ein Ort sein, der nicht nur das Gedenken aufnimmt, sondern auch Raum für Veranstaltung im Sinne einer Erinnerungskultur böte“, sagt Kienzle.

Immerhin hier besteht Einigkeit. Das Kulturamt bastelt derzeit an einer Gesamtstrategie der städtischen Erinnerungskultur. Sobald in dieser Gesamtlösung auch ein Ort als Mahnmal gegen Antifaschismus und Antirassismus gefunden wird, dürften sich Diskussionen um unerlaubte angebrachte Schilder an der Rathauswand erübrigen.