Die in der evangelischen Kirche engagierte Sinti-Familie Guttenberger wurde 1943 nach Auschwitz verschleppt und ermordet. In Schorndorf wird jetzt an ihr Schicksal erinnert.

Berta, Elisabeth, Karl, Maria und Johannes, alles Kinder des in Schorndorf lebenden Ehepaars Anton und Johanna Guttenberger, haben nie das Erwachsenenalter erreicht. Wie ihre Eltern starben sie in Konzentrationslagern, nachdem sie am 15. März 1943 in Viehwaggons nach Auschwitz deportiert worden waren. Allein die Tatsache, dass die Familie Guttenberger der Minderheit der Sinti angehörte, war in der Zeit des Nationalsozialismus Grund genug, sie zu verschleppen und ermorden.

 

Dass die Familie zuvor rund acht Jahre in einem eigenen Haus in der Römmelgasse in Schorndorf gelebt hatte, dass sie in der evangelischen Kirche aktiv und Vater Anton sogar Prediger war, dass die jüngeren Kinder die örtliche Schule besuchten, die älteren in Handwerksbetrieben und Firmen am Ort arbeiteten – all das zählte nichts mehr. Den Guttenbergers erging es wie vielen anderen Familie mit einem Sinti-Hintergrund, sagt die Pfarrerin Silke Stürmer aus Welzheim: „Man hat die Menschen erst totgemacht und dann totgeschwiegen.“

Pfarrerin kämpft gegen Unwissenheit und Ignoranz

Silke Stürmer ist sei dem vergangenen Jahr bei der Evangelischen Landeskirche in Württemberg die Beauftragte für die Zusammenarbeit mit Sinti und Roma – und damit eine Exotin in Deutschland. Nun wolle die Kirche dieser Minderheit zur Seite stehen, erklärt Silke Stürmer – anders, als das zur Zeit des Nationalsozialismus der Fall war. Die Pfarrerin sagt, noch immer wüssten viel zu viele viel zu wenig über Sinti und Roma, über ihre Herkunft und Lebensweise. „Das Problem ist Ignoranz und Nichtwissen“, klagt sie, „deshalb ist es in meinen Augen wichtig, diese Veranstaltung zu machen.“

Gemeint ist die von Silke Stürmer initiierte Gedenkfeier an diesem Freitagabend, bei der in der Schorndorfer Stadtkirche an die Verschleppung von Sinti und Roma vor 80 Jahren gedacht wird – am Beispiel der Familie Guttenberger. Bei der Veranstaltung im Beisein einiger Nachfahren von Anton und Johanna Guttenberger sprechen der Oberbürgermeister Bernd Hornikel, die Dekanin Juliane Baur und Silke Stürmer. Außerdem lesen Jugendliche Texte aus der Autobiografie von Karoline Wagner, einer weiteren Tochter, die ein halbes Jahr nach ihren Eltern verhaftet wurde und zwei Konzentrationslager überlebte. Zu sehen ist auch der Dokumentarfilm, „Einfach ein Mensch – Sinti und Roma in Württemberg“, den Silke Stürmer und Stefan Adam 2022 gedreht haben. Der Violinist Sunny Franz sowie der Gitarrist Sascha Reinhardt begleiten die Feier mit Sinti-Jazz.

Die Familie war musikalisch und fromm

Äußerst musikalisch waren auch viele Mitglieder der Familie Guttenberger. „Vater Anton war ein toller Geiger, der Vater seiner Frau Johanna ein berühmter Cellist“, sagt Eberhard Abele. Der Schorndorfer forscht seit Jahren über die Familie Guttenberger und hat dafür gesorgt, dass ihr Schicksal nicht vergessen wurde. So hat er auch die Fakten zu Ludwig Guttenberger zusammengetragen, für den vor zwei Jahren ein Stolperstein verlegt wurde – in Schorndorf der achte mit dem Namen Guttenberger. Ludwig hatte eine musikalische Ausbildung erhalten, er spielte Zimbal, Bratsche und Violine und war sogar für kurze Zeit in der Sparte Orchester- und Unterhaltungsmusiker Mitglied der Reichsmusikkammer. Ihm gelang kurz vor der Verhaftung seiner Familie im März 1943 die Flucht, später wurde er jedoch verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Getötet wurde Ludwig Guttenberger nach Eberhard Abeles Recherchen wohl im Mai 1945 als Passagier auf dem Schiff Cap Arkona, das von britischen Bomben getroffen wurde.

Ressentiments sind immer noch sehr präsent

Während seiner Zeit als Geschichtslehrer an der Karl-Friedrich-Reinhard-Werkrealschule in Schorndorf habe er das Thema Verfolgung immer an Beispielen vor Ort verdeutlicht, sagt Eberhard Abele, der im Internet zugängliches Unterrichtsmaterial zur Geschichte der Guttenbergers verfasst hat. Die Familie sei in der Stadt zwar einerseits angesehen gewesen, „aber andererseits gab es keinen Aufschrei, als sie deportiert wurden“. Hinter vorgehaltener Hand hätten manche auch schlecht über sie geredet, nach dem Motto: „Das sind halt Zigeuner.“

Der Völkermord an den Sinti sei fast vier Jahrzehnte nicht anerkannt worden, ergänzt Silke Stürmer – obwohl nur eine kleine Minderheit die NS-Zeit üb erlebt habe. „95 Prozent dieses Volks sind ausgerottet worden.“ Die Ressentiments gegen Sinti seien immer noch sehr präsent. „Die Leute bleiben aufgrund ihrer schlechten Erfahrungen lieber inkognito. Denn wenn zum Beispiel irgendwo Geld fehlt, stehen zuerst sie im Verdacht, das ist die Realität.“

Dunkles Kapitel der Geschichte

Gedenkfeier
 An diesem Freitag, 14. April, findet in der Stadtkirche Schorndorf eine Gedenkveranstaltung anlässlich der Deportation der Sinti und Roma in Württemberg vor 80 Jahren statt. Sie beginnt um 18 Uhr und erinnert an die Schorndorfer Familie Guttenberger, die 1943 nach Auschwitz verschleppt wurde. Die Nationalsozialisten ermordeten rund 500 000 Sinti und Roma. Am Freitagabend ist auch der Dokumentarfilm „Einfach ein Mensch – Sinti und Roma in Württemberg“ zu sehen. Die Musiker Sunny Franz (Violine) und Sascha Reinhardt (Gitarre) spielen Sinti-Jazz.

Sinti
Die Sinti stammen wohl ursprünglich aus Indien und wurden vermutlich zwischen 800 und 1000 nach Christus von anderen Völkern verdrängt. In Deutschland leben heute rund 105 000 Sinti, die als nationale Minderheit anerkannt sind, aber dennoch unter Diskriminierung leiden.