Der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe versucht bei seiner Gedenkrede zum Ende des Weltkriegs vor 70 Jahren, vielen Erwartungen gerecht zu werden.

Tokio - Monatelang war spekuliert worden, ob der japanische Premierminister Shinzo Abe in seiner Rede am Vorabend des 70. Jahrestags zum Ende des zweiten Weltkrieges bestimmte Schlüsselbegriffe aus Reden seiner Amtsvorgänger verwenden würde. Vor allem die Frage, ob er sich entschuldigen würde, beschäftigte die Beobachter. Abe wand sich mit einem sprachlichen Trick aus der Affäre: Er sagte, dass Japan wiederholt Gefühle des tiefen Bedauerns und einer von Herzen empfundenen Entschuldigung für Taten während des Krieges ausgedrückt habe. Der 60-jährige konservative Politiker ging jedoch selbst auf Nachfragen nicht so weit, sich persönlich zu entschuldigen.

 

Ein Versuch, auch Korea und China gerecht zu werden

3000 Wörter hatte Abes Erklärung, mehr als doppelt so viele wie die seiner Vorgänger zum 50. und 60. Jahrestag. Er hatte dafür extra ein Komitee aus Wissenschaftlern, Vertretern der Wirtschaft und Journalisten eingesetzt, um ihn zu beraten. Das Ergebnis versucht, verschiedenen Parteien gerecht zu werden. Einerseits Abes Anhängern und Vertretern des erzkonservativen Lagers, die nicht wollten, dass sich Abe entschuldigt. Sie sehen dies als fortgesetzte Schmähung, die den Nationalstolz schwäche. Andererseits versucht Abes Erklärung zumindest auf dem Papier Japans Nachbarländern Korea und China gerecht zu werden, die unter Japan in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts litten. Diese hatten im Vorfeld an Abe appelliert, sich an die Reden seiner Vorgänger Tomiichi Murayama und Junichiro Koizumi zu halten.

Beide Premierminister hatten in ihren Erklärungen Japans „Kolonialherrschaft“ und „Aggression“ angesprochen. Sie hatten Worte wie „tief empfundene Reue“ und „Entschuldigung“ gewählt. Abe erfüllte insofern die Erwartungen, als er diese vier Kernbegriffe übernahm. Er sprach viel über die Opfer, die eigenen, wie die der Feinde: „Unser Land fügte unschuldigen Menschen unermesslichen Schaden und Leid zu“, sagte er. „Mir fehlen die Worte, und mein Herz wird von größter Trauer zerrissen“. Auf den ersten Blick ging er teils darüber hinaus, was von ihm als erklärten Nationalisten erwartet worden war.

Zugleich erfüllte er durch den Verzicht auf eine persönliche Entschuldigung auch viele Befürchtungen. Er ging sogar weiter: „Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Kinder, Enkel, oder weitere künftige Generationen, die nichts mit dem Krieg zu tun haben, dazu vorherbestimmt sind, sich zu entschuldigen.“ Auf Fragen von Reportern, ob man dies so verstehen dürfe, dass sich Japan von nun an nicht mehr zu entschuldigen brauche, wich Abe aus.

„Trostfrauen“ sind Hindernis für eine Annäherung

An mehreren Stellen deutet Abe umstrittene Punkte zwar an, nennt sie aber nicht. Sein vager Verweis auf die „Trostfrauen“ spricht Bände. So werden in Japan beschönigend Frauen genannt, vor allem aus Korea und China, die im Krieg in Frontbordelle zum Sex mit japanischen Soldaten gezwungen wurden. Abe sagte jedoch nur: „Wir dürfen nie vergessen, dass es Frauen hinter den Schlachtfeldern gab, deren Ehre und Würde hinter den Schlachtfeldern schwer verletzt wurde.“ Kein Wort davon, dass es die japanische Armee war, die in Asien ein System solcher Bordelle mit Hunderttausenden Frauen aufgezogen hatte. Die Frage der Trostfrauen war in den letzten Jahren das größte Hindernis für eine Annäherung an Südkorea.

Abe sagte zwar, dass Japan sich für immer von der Kolonialherrschaft abwende. Doch er erwähnte nicht, wen Japan kolonialisiert hatte: Korea von 1910 bis 1945 und Taiwan von 1895 bis 1945. „Zwischenfälle, Aggression, Krieg – wir dürfen nie wieder auf jegliche Form der Bedrohung oder der Anwendung von Gewalt zurückgreifen, um internationale Konflikte zu lösen“, sagte er, ließ aber offen, ob er damit Japan meinte oder auch andere Länder. Japan hatte 1931 nach dem von eigenen Soldaten verursachten „Mukden-Zwischenfall“ begonnen, China zu bekämpfen und Teile zu kolonialisieren. Die Reaktionen auf Abes Rede waren gemischt. Vertreter konservativer Parteien nannten sie „ausgeglichen“ und lobten, dass er sich nicht entschuldigte. Der Chef der größten Oppositionspartei, Katsuya Okada, sagte, Abe habe die vier Kernbegriffe wie Zitate verwendet, aber „was der Premierminister wirklich denkt, kam nicht durch.“ Kazuo Shii von der kommunistischen Partei nannte die Erklärung „extrem doppelzüngig“.