Am Nordbahnhof-Mahnmal wird der vor 70 Jahren ins KZ Theresienstadt Deportierten gedacht.

S-Nord - Es war die dritte der großen Deportationen von Juden aus Stuttgart, Württemberg und Hohenzollern vom Stuttgarter Nordbahnhof aus. Rund zweihundert Teilnehmer gedachten am Mittwochabend am Mahnmal der etwa tausend überwiegend alten Menschen, die vor 70 Jahren am 22. August 1942, vom Sammellager Killesberg aus in die Waggons nach Theresienstadt gesteckt wurden. Zu den Überlebenden des KZ-Ghettos, die nicht in die Vernichtungslager weitermussten, gehört die damals siebenjährige Inge Auerbacher.

 

Als Ehrengast der Initiativen Zeichen der Erinnerung, Stolpersteine und Hotel Silber war die in nach dem Krieg emigrierte Chemikerin aus New York zu der Gedenkveranstaltung gekommen, an der auch Bürgermeister Martin Schairer, der Sprecher der Israelitischen Religionsgemeinschaft Meinhard Tenné sowie OB-Kandidat Hannes Rockenbauch teilnahmen. Inge Auerbacher ist mit Büchern über ihr Schicksal und mit unermüdlichen Vortragsreisen im Land der Täter bekannt geworden. Das Klezmer-Duo Saitwärts gab dem zweistündigen Gedenken mit Violine und Gitarre einen musikalischen Rahmen. Jupp Klegraf moderierte die Veranstaltung.

Den Judenstern umgedeutet

Das aufgezwungene gelbe Zeichen von einst hatte sie mitgebracht. Auch die originale „Abwanderungs-Anordnung“ der Gestapo für die Kaufmannsfamilie aus Göppingen zeigte sie. Schon in ihrem Buch „Ich bin ein Stern“ hatte die 77-jährige Inge Auerbacher versucht, den von den Nazis als Schandmal gedachten Judenstern umzudeuten. Ihr Gedicht an die Mutter ließ sie mit den Worten enden: „Weine nicht, Mama, hör mein Versprechen, niemand wird meine Seele zerbrechen. Ich bin ein Stern.“

Von Kraft, Lebensfreude, Hoffnung und sogar Humor war auch ihre Rede geprägt, wobei sie ihre bedrückenden eigenen Erlebnisse eindrücklich schilderte, aber nie gegenüber noch weit furchtbareren Schicksalen ihrer Leidensgenossen überhöhte – etwa derer, die in den früheren Transporten von Stuttgart-Nord nach Riga (wie ihre Großmutter) und nach Izbica sofort bei Massenerschießungen getötet oder später in den Gaskammern von Auschwitz oder Treblinka ermordet wurden. Ihre Puppe Marlene, nach der blonden Diva benannt, hat Inge Auerbacher noch heute. Durch alle furchtbaren Zeiten hat sie dieses Geschenk ihrer Großmutter retten können.

Nur jeder Zehnte überlebte

Auch im Ghetto Theresienstadt selbst starben etwa 38 000 Menschen an Hunger, Seuchen und Erschöpfung, bei Hinrichtungen und Misshandlungen. Nur ungefähr jeder Zehnte der über die Jahre insgesamt 140 000 Häftlinge dort überlebte. Die Verhältnisse entsprechen den Zahlen der Stuttgarter Deportierten, wie Helmut Gabeli vom landesweiten Gedenkstättenverbund erläuterte.

Jupp Klegraf verlas eine Grußbotschaft des ins australische Melbourne ausgewanderten Stuttgarter Theresienstadt-Überlebenden Garry (Gerhard) Fabian. Ein Grußwort für die Israelitische Religionsgemeinschaft sprach Angelika Jung-Sattinger. Schließlich verlasen Mitglieder der Stolperstein-Initiativen die Namen von Deportierten aus den Stuttgarter Stadtteilen und anderen Orten im Land, für die der Kölner Künstler Gunter Demnig bereits seine Klein-Mahnmale verlegt hat. Dazu erhoben sich die Besucher. Am Schluss bat Inge Auerbacher alle, sich zu einem Shalom-Gruß an den Händen zu halten. „Ich bin so froh, dass ich heute hier war“, sagte sie.