In keinem Bereich gebe es so viele Arbeitsunfälle wie bei der Holzernte, sagen Experten. Und in Baden-Württemberg ist die Zahl auffallend hoch. Was lässt sich tun? Der Landesbetrieb Forst BW reagiert.

Stuttgart - Das Kursmodul A steht an, landläufig bekannt als Motorsägenkurs. Dreizehn Frauen und Männer drücken im alten Uhlandbau in Mühlacker (Enzkreis) die improvisierte Schulbank, um künftig sicher Brennholz zu machen und sogar kleinere Bäume fällen zu können. Wobei der Begriff sicher relativ ist. 5700 Unfälle gab es bundesweit im Jahr 2014 bei Arbeiten im Wald und der Brennholzerzeugung, davon waren 31 tödlich – allein unter denen, deren Job die Waldarbeit ist, den Profis also.

 

Diese Zahl nennt der Breisacher Forstingenieur Benedikt Pum gleich zu Beginn des Kurses, um nachdrücklich zu signalisieren, dass Waldarbeit jeden Leichtsinn bestraft. Nicht das Werkzeug, nicht der Baum und nicht das Holz verzeihen Fehler. Weshalb es seit knapp fünf Jahren in Deutschland Pflicht ist, einen Motorsägenkurs zu absolvieren, will man jenseits des eigenen Grundstücks sägen und fällen.

Und die Zahl, die Pum genannt hat, bildet nur einen Teil einer beunruhigenden Wirklichkeit. Sie gibt die Unfälle wieder, welche die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) erfasst, also die unter Mitarbeitern privater Unternehmen, der Kommunen und in der Landwirtschaft (nach Bundesländern wird bei der SVLFG nicht getrennt). In den Bundes- und Landesforsten verunglückten im Jahr 2014 in Deutschland noch weitere 753 Waldarbeiter. Und Baden-Württemberg schnitt dabei im Bundesvergleich schlecht ab. 139 sogenannte meldepflichtige Unfälle – schwerere Unfälle bis hin zu solchen mit tödlichen Folgen – im Staatsforst wurden verzeichnet – bei 954 Beschäftigten. „Das Unfallgeschehen im Staatswald Baden-Württemberg im bundesweiten Vergleich ist überdurchschnittlich hoch“, vermerkte die Forstverwaltung des Landes (ForstBW) in ihrem Waldarbeitsbericht 2015.

Das Argument, dass waldarme Bundesländer naturgemäß weniger Unfälle aufweisen würden, zieht nicht: Nimmt man nicht die absoluten Unfallzahlen als Indikator, sondern die der Unfälle pro einer Million Arbeitsstunden, gibt das Land erst recht ein schlechtes Bild ab – und nicht nur im Jahr 2014. Mit 126 Unfällen rangierte es vor dem Saarland (123) und Hessen (95), der Mittelwert lag bei lediglich 76.

Forstexperten werden ausgeschickt, um die Mitarbeiter zu schulen

Die Gründe dafür können laut Maike Auer, Referentin in der Forstdirektion des Tübinger Regierungspräsidiums und zuständig für die Sicherheit im Landesbetrieb Forst BW, sowie Benedikt Pum in der Topografie liegen. In den Ebenen Niedersachsens Holz zu machen, sei weniger gefährlich als an den Steilhängen des Schwarzwalds oder der Schwäbischen Alb, wo erst am Dienstag wieder – bei Lenningen (Kreis Esslingen) – ein 51 Jahre alter Arbeiter ums Leben kam. Aber auch der Mechanisierungsgrad – Stichwort Holzvollernter –, die Holzart und die Altersstruktur der Arbeiter spielten eine Rolle, sagt Auer.

Das Land sah sich auf alle Fälle genötigt zu reagieren. Der Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) kündigte 2015 den Aufbau eines Sicherheitscoachings an, das Mitte desselben Jahres an den Start ging. 13 für diese Aufgabe ausgebildete Forstwirtschaftsmeister ziehen seither durch die Wälder, um die Arbeiter des Landes für Gefahren zu sensibilisieren. Denn eines muss man bedenken: Einzig die Vor- und Umsicht helfen den Leuten, die schwere Motorsägen beim Entasten führen oder einen fallenden Baum absichern müssen. Die Coaches sollten insbesondere an möglichen Schwächen arbeiten, wie dies Maike Auer nennt: dem richtigen Abstand zum stürzenden Baum, der Absperrung im Umkreis zweier Baumlängen für Kollegen und Spaziergänger, dem festen Stand beim Entasten, der Führung der Motorsäge.

Gefahr geht auch vom Boden aus

All das lernen auch die angehenden Teilzeitwaldarbeiter, Landschaftsgärtner und Feuerwehrleute in Benedikt Pums Kurs – erst trocken im Uhlandbau, anderntags dann praktisch und vor allem feucht im Wald bei Mühlacker-Lienzingen. Am Samstagvormittag schüttet es aus Kübeln, das Wasser rinnt vom Schutzhelm über des Drahtvisier, sobald man den Kopf neigt, und verschleiert die Sicht. Das, pardon, Sauwetter lässt die beiden Kursleiter kalt, es gehört zum Alltag der Forstarbeit, mal knöcheltief im Wasser oder im Schnee zu stehen, während sich die Kette der Motorsäge in den Baum frisst. „Kein Problem“, sagen die Profis nonchalant.

Doch für die Kursteilnehmer bedeutet es, unter verschärften Bedingungen auszuprobieren, was ihnen die Fachleute erklären und zeigen. Nicht nur die vier „Todsünden“ – unter einem hängenden Baum arbeiten, einen anderen Baum auf einen unter Spannung stehen den Stamm fallen lassen und so weiter – gilt es zu meiden, auch die Nässe ist gefährlich. Wer einige Schritte nach hinten gehen soll, wenn der Baum fällt, läuft Gefahr, auf nassem Laub oder Kleinholz auszugleiten – im schlechtesten Fall mit tödlichen Folgen für den Hobbywaldarbeiter, der mal eben ein paar Raummeter für den Kaminofen „macht“.

Niemand erfasst Unfallzahlen unter Hobbywaldarbeitern

Wie viele dieser Privatleute verunglücken, ist nicht bekannt, denn für Freizeitunfälle müssen die Krankenkassen herhalten, und diese erfassen weder landes- noch bundesweit gesondert die Unfälle bei der Waldarbeit. Allerdings liegt es nahe, dass unter den Hobbywaldarbeitern die Unfallzahlen ähnlich hoch sind wie bei den Profis. Davon geht auch Benedikt Pum aus, der pro Jahr inzwischen 1000 Teilnehmer schult – Holzmachen ist in den vergangenen Jahrzehnten schick geworden. Immerhin passiert nach Pums Ansicht seit der Pflicht zum Sägenkurs weniger als früher.

Auch bei den Profis, das gilt es festzuhalten, war es schon schlimmer. Die Statistik des Kuratoriums für Waldarbeit und Forsttechnik (KWF) verzeichnet für die Staatlichen Wälder in Baden-Württemberg bei den Unfällen einen Rückgang um weit mehr als zwei Drittel vom Jahr 1999 (346) bis zum Jahr 2015 (97). Was den Rückgang bewirkt hat, ist unklar. Und ob das Sicherheitscoaching von Forst BW die erwünschten Erfolge hat, lässt sich laut Maike Auer auch noch nicht sagen, zu kurz ist die Zeitspanne, in der die Forstmeister das Bewusstsein der Arbeiter schärfen – auch wenn man den Rückgang der Jahre 2015 und 2016 (107) gerne so lesen würde. Trotz aller Bemühungen des Landes und aller Motorsägenkursen: „Es gibt bei der Waldarbeit so viele Unfälle wie in keinem anderen Arbeitsbereich. Und es bleibt dabei trotz allen Coachings immer ein Restrisiko“, sagt die Forstwissenschaftlerin Maike Auer.

Arbeit mit der Motorsäge

Unfälle
Laut der Forst BW kommt es am häufigsten bei der Arbeit am „liegenden Holz“, beim Entasten also, zu Unfällen (2015: 34 Prozent aller Unfälle) – wobei dies Stürze und Sägeunfälle sein können. Erst an dritter Stelle (14 Prozent) rangiert das Fällen des Baumes. Allerdings sind beides die Arbeiten, bei denen die Motorsäge zum Einsatz kommt. Es seien die „motormanuellen Teil-Tätigkeiten“, die die Holzernte unfallträchtig machten, so Forst BW.

Motorsägenkurse
Die Kurse, unter anderem jene, die nach den Richtlinien des Kuratoriums für Waldarbeit und Forsttechnik (KWF) zertifiziert sind, werden von staatlichen und privaten Unternehmen angeboten. Im Internet lassen sich rasch entsprechende Angebote finden.

Kursziele
Zum Inhalt gehören Detailkenntnisse über die Motorsäge, Fäll- und Entastungstechniken sowie der pflegliche Umgang mit dem Wald, unter anderem durch die Verwendung sauberer Betriebsstoffe.

Forst BW
Die Forst BW ist ein Landesbetrieb und dem Ministerium für ländlichen Raum und Verbraucherschutz zugeordnet.