Der Weg in die Freiheit führte über die Toilette: Fast schon akrobatisch soll sich eine junge Frau aus dem Knast von Vechta befreit haben. Obwohl sie für ein Kapitalverbrechen saß, schätzen die Behörden sie nicht als gefährlich ein.

Vechta - Sie brach das Schloss des Klofensters auf, zwängte sich hindurch, kletterte vom Dach hinunter und entkam dann über einen fast vier Meter hohen Zaun. So gelang einer 22 Jahre alten Gefangenen nach ersten Erkenntnissen die Flucht aus dem Frauengefängnis im niedersächsischen Vechta.

 

Genau können es die Behörden noch nicht sagen. „Weitere Details sind in der Prüfung“, sagte Christian Lauenstein vom Justizministerium in Hannover am Dienstag. Die Polizei fahndet jetzt nach der Flüchtigen, die seit Montag verschwunden ist. Sie saß in Vechta wegen Totschlags hinter Gittern. Laut Urteil hat sie ihren Ehemann getötet.

Eine Gefahr für die Allgemeinheit stellt die Frau nach Einschätzung des Justizministeriums nicht dar. „Der Verurteilung liegt eine Beziehungstat zugrunde“, sagte Lauenstein. Im Gefängnis sei die 22-Jährige nicht als aggressiv aufgefallen.

Ihren 40 Jahre älteren Mann mit acht Schüssen getötet

Mit acht Schüssen hatte die junge Frau laut Urteil ihren mehr als 40 Jahre älteren Mann in der kleinen Gemeinde Algermissen bei Hildesheim getötet. Demnach schoss sie im Juli 2016 aus nächster Nähe auf den 63-Jährigen, der nur mit einer Unterhose bekleidet war.

Danach legte sie nach den Feststellungen des Gerichts eine Decke über die Leiche, nahm das Auto ihres Mannes und holte ihren jungen Liebhaber ab. Gemeinsam mit ihm fuhr sie in den Süden: über Prag und Wien nach Italien. Das Landgericht Hildesheim verurteilte sie im vergangenen März zu elf Jahren Haft wegen Totschlags. Die Frau bestritt die Tat bis zum Schluss.

In Vechta saß sie in der Sozialtherapie, einer Außenstelle des Frauengefängnisses auf dem Gelände der alten Zitadelle am Rande der Innenstadt. In der Einrichtung sollten die Straftäterinnen durch eine individuelle zugeschnittene Behandlung neue Einsichten gewinnen und sich neue und legale Formen der Lebensbewältigung aneignen, sagte Lauenstein.

Ihre Sportlichkeit half bei der Flucht

Das Gebäude sei deshalb geringer gesichert als der geschlossene Vollzug. „Die Haftraumtüren sind aus Holz und nachts nicht verschlossen, da sich die Toiletten außerhalb der Hafträume befinden.“ Die Fenster sind nicht vergittert, aber mit Schlössern verriegelt. Der Zaun ist niedriger als die sonst üblichen sechs Meter, hat keine Stacheldrahtkrone, ist aber mit Kameras überwacht.

Diese Kameras erfassten laut einem Bericht der „Hildesheimer Zeitung“ die 22-Jährige jedoch nicht bei der Flucht. Ob sie zufällig eine unüberwachte Stelle erwischte oder diese bewusst auswählte, kann das Justizministerium nicht sagen.

Tatsache ist: So eine Flucht wäre nicht jeder Frau geglückt. Schon um das Fensterschloss aufzubrechen, brauche man Geschick, sagte Lauenstein. Geholfen haben könnten der 22-Jährigen der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ zufolge ihre handwerklichen Fähigkeiten und ihre Sportlichkeit.

Gefangene schon früher aus dem Gefängnis getürmt

Die angehende Automechanikerin hatte ihren späteren Mann in der Werkstatt kennengelernt. Nach Ansicht der Richter hatte sie ihren Mann nicht geliebt, sondern gehofft, sich ihren Traum von einer eigenen Autowerkstatt auf seinem Grundstück verwirklichen zu können. In der JVA sollte sie nach der Sozialtherapie eine Ausbildung zur Kfz-Mechatronikerin beginnen.

Welche Konsequenzen die Flucht der 22-Jährigen hat, ist noch offen. „Die Umstände müssen zunächst genau untersucht werden“, sagte Lauenstein. Aus dem Frauengefängnis in Vechta waren nach Ministeriumsangaben zuletzt 2013 und 2014 Gefangene entkommen.