Kein Tageslicht, keine frische Luft und Wasser in Arrestzellen. Erst Gerichte haben die Gefängnisse in Ravensburg und Bruchsal dazu gebracht, Missstände abzustellen. Hat Justizminister Stickelberger die Aufsicht über die Gefängnisse zu lax geführt?

Stuttgart - Der Hungertod eines Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bruchsal im August hat eine Welle der Kritik an der Praxis des Strafvollzugs in Baden-Württemberg ausgelöst. Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei die Frage, ob die Strafvollzugsabteilung des Justizressorts ihrer Aufsichtspflicht gegenüber den nachgeordneten Haftanstalten nachgekommen ist. Die CDU-Opposition im Landtag spricht bereits von einem „Systemversagen“ und erkennt Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze – etwa bei der offenbar unzureichenden Prüfung von Einzelhaftfällen.

 

Bisweilen führten Beschwerden von Häftlingen zur Korrektur von Missständen durch die Gerichte. Nach Informationen der Stuttgarter Zeitung hat das Landgericht Ravensburg im März 2011 festgestellt, dass die disziplinarisch bedingte Unterbringung eines Gefangenen in einem unterirdisch gelegenen Arrestraum der JVA Ravensburg im Jahr 2009 rechtswidrig gewesen war.

Arrest kann bei schwereren Vergehen oder auch bei Arbeitsverweigerung verhängt werden. Laut Gesetz müssen jedoch die speziellen Arrestzellen „hinreichend Luftinhalt haben und für eine gesunde Lebensführung ausreichend mit Heizung, Boden- und Fensterflächen ausgestattet sein“. Im vorliegenden Fall hatte sich der Gefangene in eine Art „Kellerverlies“ verbracht gesehen – ohne Sicht ins Freie, ohne Tageslicht und ohne frische Luft.

Schlafentzug durch grelles Licht

Das Stuttgarter Justizministerium berichtet jetzt auf Anfrage, dass – in Reaktion auf den Beschluss des Landgerichts Ravensburg – der Lichtschacht entfernt und eine Böschung vor dem Fenster der Arrestzelle geschaffen worden sei. Ein weiterer Arrestraum, ebenfalls ohne Fenster ins Freie, werde seit dem Urteil nicht mehr genutzt, da ein Umbau unmöglich sei.

In einem anderen Fall aus der JVA Ravensburg beschwerte sich ein Gefangener über Schlafentzug bei der Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum. Der Gefangene war im Rahmen einer „besonderen Sicherungsmaßnahme“ in einen speziell gesicherten Haftraum – im Volksmund: Gummizelle – gebracht worden. Dieser Raum war zur Kontrolle des Häftlings bei Tag und bei Nacht beleuchtet; dies – so die Beschwerde– mit grellem Licht, das nur von außen bedient und nicht abgedimmt werden konnte. Außerdem verfügte die Zelle über keinen Zugang zu Wasser.

Laut Justizministerium liegt der JVA Ravensburg eine Entscheidung des Landgerichts Ravensburg aus dem Jahr 2010 vor, durch die ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Unterbringung in einem solchen Raum mit nicht gedimmter Beleuchtung zurückgewiesen wurde.

Nach anderen Angaben hat aber das Oberlandesgericht Stuttgart mit Beschluss vom 15. November 2010 zu diesem Fall festgestellt: „Grundsätzlich muss das Licht im Haftraum so weit abgedunkelt werden, dass der Gefangene Schlaf finden kann.“ Unabhängig davon sind laut Justizministerium die Haftanstalten im Vorgriff auf das Inkrafttreten einer neuen Landesrichtlinie aufgefordert worden, sämtliche Haftraumleuchten so umzurüsten, dass diese stufenlos regelbar sind. In Ravensburg seien inzwischen zwei der drei der besonders gesicherten Hafträume umgerüstet.

Minister muss vor Ausschuss

Nach weiteren Invormationen musste sich 2010 in der JVA Bruchsal ein Gefangener die Aushändigung seines Badetuches und seiner Strickjacke gerichtlich einklagen. In beiden Fällen erließ das zuständige Landgericht Karlsruhe sogar, ohne das Hauptsacheverfahren abzuwarten, eine einstweilige Anordnung, im Rahmen derer es die JVA Bruchsal verpflichtete, Jacke und Handtuch zu übergeben. Das Landgericht führte unter anderem aus, dass eine einstweilige Anordnung bei „offenkundig rechtswidrigen“ Maßnahmen in Betracht komme.

An diesem Montag hört der Ständige Ausschuss des Landtags Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) zur Situation des Strafvollzugs in Baden-Württemberg an. Stickelberger ist seit 2011 Justizminister, zuvor führte der FDP-Politiker Ulrich Goll das Ressort.