Anstaltspfarrer reden mit allen Häftlingen, ob sie nun einer Religion angehören oder nicht. Gesprochen wird dabei viel über die Haftbedingungen, die Bediensteten und Mitgefangenen. Glaube, Gott und Religion sind dagegen eher kein Thema.

Tübingen - Die wichtigsten Themen bei den Gesprächen von Gefängnisseelsorgern mit Häftlingen sind deren Familien oder Probleme mit der Haft, mit Bediensteten oder Mitgefangenen. Weniger Bedeutung haben dagegen Inhalte wie Glaube, Gott und Religion, sehr unbedeutend sind gesellschaftspolitische Fragen oder die Frage der Aussöhnung mit dem Opfer. Diese Erkenntnisse sind das Ergebnis einer empirischen Untersuchung des Instituts für Kriminologie an der Universität Tübingen. Es handelt sich um eine Doktorarbeit von Alexander Funsch beim Direktor des Instituts, Professor Jörg Kinzig. Nach Institutsangaben handelt es sich um die bisher einzige Umfrage zum Thema.

 

Insgesamt 600 katholische und evangelische Anstaltsgeistliche wurden für die Arbeit kontaktiert. Vertreter anderer Religionen sind in dieser Funktion in Gefängnissen kaum vertreten. „Die Seelsorger sind für Gespräche mit Häftlingen aller Konfession komplett offen“, sagt Alexander Funsch. So organisierten die Pfarrer durchaus auch muslimische Gebetskreise, übernahmen die Rolle eines Moderators oder hörten selbst zu. Auch um solche Gespräche möglich zu machen, sei die Seelsorge in den Gefängnissen wichtig. Der Doktorand hat erfahren, dass das Verhältnis zwischen Anstaltsleitung und Seelsorger teilweise sehr gut sei, teilweise angespannt. Das hängt offenbar damit zusammen, dass es wegen zunehmender Sicherheitsvorschriften meist nur mit großem organisatorischem Aufwand möglich ist, Gespräche in Haftanstalten für viele Gefangene zu organisieren. Den Zusatzaufwand wollen Vollzugsbedienstete nicht immer auf sich nehmen.

„Beziehung weist etwas Besonderes aus“

Insgesamt betreuen die Gefängnispfarrer bei Einzelgesprächen zu jeweils 25 Prozent Katholiken und Protestanten, außerdem 15 Prozent Muslime. Viele Gespräche werden somit mit Häftlingen geführt, die keiner Religion angehören. Von den 600 kontaktierten Seelsorgern haben 139 einen 60 Fragen umfassenden Erhebungsbogen ausgefüllt. Alexander Funsch hat aber nicht nur die Antworten ausgewertet, sondern er hat vor der Erhebung zwei Wochen lang einen Geistlichen in der JVA Rottenburg begleitet und auch darüber hinaus manchen Seelsorger persönlich kennen gelernt.

Er kommt zu dem Schluss, dass die Beziehung zwischen Anstaltsgeistlichen und den Gefangenen „etwas sehr Besonderes ausweist“. Anders als beim Kontakt zwischen Strafvollzugsbediensteten sei hier ein Gespräch auf Augenhöhe möglich. „Die Seelsorger haben Zeit zuzuhören und führen die Gespräche nicht ergebnisorientiert.“ Funsch, selbst katholisch und nach eigenen Angaben „kirchenaffin“, sieht hier einen Unterschied zu Sozialarbeitern. Die führen ihre Gespräche im Gefängnis mit dem Ziel, dass Häftlinge nach ihrer Entlassung wieder in das Leben in der Gesellschaft zurück finden.

Mehr Zeit für Gespräche als für den Gottesdienst

Diese Einzelgespräche zwischen Pfarrern und Gefängnisinsassen machen 55 Prozent der Arbeitszeit der Seelsorger aus. „Die Einzelseelsorge nimmt damit rund viermal so viel Zeit in Anspruch wie das Feiern von Gottesdiensten oder das Abhalten gottesdienstähnlicher Veranstaltungen“, erläutert Alexander Funsch. „Das Gespräch ist Dreh- und Angelpunkt der Arbeit, das hat mich schon überrascht“, sagt Funsch. Den Gottesdienst selbst besuchten nur rund 15 Prozent der Gefangenen regelmäßig. Die Seelsorger engagieren sich auch im Rahmen von Freizeit- und Beratungsangeboten, sie begleiten Gefangene bei Ausgängen und halten Kontakt zu deren Angehörigen.

Die Geistlichen wurden auch um allgemeine Auskünfte zu Gefängnissen gebeten. „Tendenziell nehmen die Befragten eine Verschlechterung der Situation des Strafvollzugs wahr“, geht aus der Untersuchung hervor. Der positiven Entwicklung eines Abbaus der Überbelegung stünden mehrheitlich negative Einschätzungen gegenüber: Das sind ein zunehmendes Sicherheitsdenken, ein Rückgang der Therapiemöglichkeiten sowie Einsparungen.

Der Reiz der abgeschlossenen Welt

Die Motivation von Theologen in Gefängnissen zu arbeiten, sieht Funsch darin, dass sie vor christlichem Hintergrund helfen wollten und Interesse an Personen am Rand der Gesellschaft zeigen. Darüber hinaus „werden sie auch von einer Neugier und dem Reiz an einer anderen und abgeschlossenen Welt motiviert.“