Immer wieder verunglücken Fahrgäste im S-Bahn-Netz – häufig gab es zuvor Probleme mit den Türen. Dass der Feuerbacher Bahnhof dabei immer wieder eine traurige Rolle spielt, ist kein Zufall.

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Stuttgart - Das kann doch nicht wahr sein! Eine vierköpfige Familie ist mit ihren Fahrrädern noch mit dem Aussteigen aus der S-Bahn beschäftigt, als sich piepsend die Türen schließen. „Meine Frau und ich sind draußen, die acht und zehn Jahre alten Kinder noch drin“, sagt der Familienvater. Das letzte Stück einer Sonntagsradtour, die mit der Linie S 4 bis nach Feuerbach zurückgelegt wurde, wird plötzlich dramatisch. Der Vater versucht, die Tür aufzuhalten, seine Hand und das Vorderrad des Kinderfahrrads drohen eingeklemmt zu werden. Alles vergebens: Die S-Bahn fährt Sekunden später los.

 

Wieder eine brisante Situation am Feuerbacher Bahnhof – dem Gefahren-Brennpunkt im S-Bahn-Netz. Die Bahnsteigkante ist viel niedriger als die Türschwelle der Bahn, und durch die Neigung des Zuges klafft auch noch ein großer Spalt dazwischen. Bahnsteig 1 liegt in einer Kurve, der Lokführer hat keinen direkten Blick zurück. Ein 50-Jähriger kam im Dezember 2015 in ähnlicher Situation ums Leben, als er alkoholisiert die Lage wohl falsch einschätzte und mit dem Zug mitgeschleift wurde.

„Der Lokführer muss uns komplett ignoriert haben“, sagt der 51-jährige Familienvater aus Feuerbach. Dass das alles passieren konnte, dafür gibt es keine Erklärung, denn eigentlich hätte die Türautomatik nicht schließen dürfen. Eigentlich gibt es ein Lichtgitter an der Tür, eigentlich verhindern drei Zentimeter dicke Gegenstände das Schließen. „Bei unseren Untersuchungen ließ sich keine Unregelmäßigkeit feststellen“, sagt ein Bahn-Sprecher nunmehr über den Vorfall, der sich am 11. Juni um 19.46 Uhr zutrug. Die Feuerbacher Familie war zu einer Radtour nach Marbach (Kreis Ludwigsburg) aufgebrochen, kehrte dort mit einer S-Bahn der Linie S 4 Richtung Stuttgart zurück. „Wir hatten unsere Fahrräder schon vor der Station Feuerbach bis vor die Türe geschoben, um einen schnellen Ausstieg sicherzustellen“, so der Familienvater. Vor ihnen steigt ein Rennradfahrer aus, dann folgt der 51-Jährige, der seiner Familie wegen der zu hohen Trittkante von draußen beim Aussteigen helfen will. Während seine 47-jährige Frau das Fahrrad nach draußen schiebt, beginnt sich die Tür zu schließen. Ein Sohn hat sein Vorderrad halb in der Tür. Er zieht zurück. Auch sein Vater zieht seine Hand zurück, um nicht eingeklemmt zu werden. „Dann fuhr die S-Bahn mit unseren Kindern einfach los.“

Die Bahn hat keine Erklärung für den Vorfall

Die Bahn, die den Vorgang untersucht hat, findet am Dienstag keine Erklärung dafür. „An der Tür gibt es ein feinmaschiges Lichtgitter, das den Schließvorgang unterbricht“, sagt der Bahn-Sprecher. Die Tür reagiere auch auf Widerstand, „wenn der nicht marginal ist“. Die Bahn müsse „aber dringend davon abraten“, die Tür aufhalten zu wollen. Der Lokführer habe jedenfalls keine Zwangsschließung veranlasst, sondern „die Türen der Automatik überlassen“. Wird das Lichtgitter drei Sekunden nicht unterbrochen, gehen die Türen zu. Für die Familie klingt dies wenig plausibel: „Mit anderen Worten heißt das, dass so etwas jederzeit wieder passieren kann“, sagt der 51-jährige Betroffene.

Bahnsteig 1 bleibt zu niedrig – auf Jahre

Vor allem in Feuerbach: Die Erhöhung des Bahnsteigs auf 96 Zentimeter war zwar ursprünglich einmal geplant – das Vorhaben wurde inzwischen aber gestrichen, sehr zum Ärger des Verbands Region Stuttgart (VRS), der 455 000 Euro investieren wollte. „Die jahrelangen Bemühungen um den barrierefreien Ausbau des Bahnhofs haben einen heftigen Rückschlag erhalten“, sagt VRS-Sprecherin Dorothee Lang.

Das alles hängt mit dem Umbau für Stuttgart 21 zusammen: Bahn und Bauunternehmen waren sich über Kostensteigerungen nicht einig. „Nun wäre es sinnvoll, zumindest den Bahnsteig an Gleis 2 parallel zu den Arbeiten an S 21 zu erhöhen“, sagt Sprecherin Lang. Wie sich die Region beteiligt, soll am 24. Juli im Verkehrsausschuss entschieden werden.

Übrigens: Die Kinder kehrten wohlbehalten mit einer Gegen-S-Bahn zurück, nachdem ein Fahrgast die Situation erkannt hatte. „Auch der Lokführer hat davon Kenntnis bekommen und eine Durchsage gemacht“, heißt es bei der Bahn. Allerdings dürften die Kinder da schon wieder auf dem Rückweg gewesen sein.