Rauchen ist zurecht aus der Mode gekommen, keine Frage. Aber müssen Linke deswegen auf Rauchern herumhacken? Ein Text in der „taz“ hat das getan. Eine Gegenrede.
Dass das Rauchen aus dem öffentlichen Leben langsam verschwindet, darf gerne als gesamtgesellschaftlicher Fortschritt befunden werden. Dies hat den britisch-deutschen „taz“-Redakteur Nicholas Potter, dessen wichtige Recherchen zu Rechtsextremismus und Antisemitismus in allen Ehren, nicht davon abgehalten, sich in seinem jüngsten Beitrag zu den Forderungen der EU-Kommission zu mehr raucherfreien Zonen derart zu versteigen, dass es nach einer Gegenrede verlangt.
Unter der Überschrift „Warum Rauchen unsolidarisch ist“ führt Potter nicht nur aus, warum er den Vorstoß der EU-Kommission für richtig hält. Er argumentiert leider auch mit Denkmustern, wie sie eigentlich der politische Gegner nutzt, um sich seine Welt zurechtzubiegen.
Hier geht es zu Potters Kommentar auf taz.de
Potter schreibt: „Raucher*innen sind tatsächlich eine Minderheit – eine gefährliche.“ Dass ihre Sucht im linken Spektrum so oft verteidigt werde, sei heuchlerisch. „Rauchen ist zutiefst unsolidarisch, ja, unlinks.“ Jetzt fragt man sich, an wen der Autor diese Zeilen adressiert. Sind es politisch links eingestellte Menschen aus der Oberschicht, oder die Verdammten dieser Erde, die sozial Schwachen, heute spricht man lieber von Marginalisierten; die also so richtig links gar nicht sein können, wenn sie denn rauchen?
Rauchen ist ein Phänomen der Unterschicht
Die Antwort darauf liefert Nicholas Potter in seinen folgenden Ausführungen selbst. Er spricht von einer „individualistischen Praxis“, die verbrämt wird als Gruppenidentifikation nach dem Motto „Raucht kaputt, was euch kaputt macht“. Stattdessen stelle der Raucher nur das eigene Vergnügen „über das Allgemeinwohl“. Er zitiert weiter die Weltgesundheitsorganisation (WHO), wonach durch den Tabakanbau die Ernährungssicherheit in manchen Ländern gefährdet und für die Arbeiter dort extrem gesundheitsschädlich sei.
Das wird alles ungefähr so stimmen und ist zurecht zu beanstanden. Das Problem ist nur: Das trifft so ziemlich auf jeden Konsum im kapitalistischen System zu. Linke Ideale werden bei jeder Art von kapitalistischem Konsum zumindest ein Stück weit ignoriert, das beginnt schon beim Nutella-Essen. Und damit, den Endkonsumenten einer fragwürdigen Produktionskette als Mittäter zu stigmatisieren, ist absolut nichts gewonnen.
Zumal das Rauchen als Symbol westlicher Freiheit, anders als von Potter behauptet, längst ausgedient hat. Wer Kids irgendwo qualmen sieht, sieht da meistens keine zukünftigen für Preise nominierten „taz“-Redakteure – bei den Kids ist man froh, wenn sie es überhaupt künftig in Lohn und Brot bringen. Auch das Deutsche Krebsforschungszentrum kommt zu dem Ergebnis, dass sich das Rauchen zu einem Phänomen der Unterschicht gewandelt hat.
Der linken Sache keinen Gefallen getan
Und wenn Linke, die sich selbst eigentlich als Anwälte dieser Klientel verstehen, Unterschichten-Bashing betreiben, wird es einsam im Elfenbeinturm. Will die „taz“ als nächstes Texte veröffentlichen, in denen Alleinerziehende dafür geschmäht werden, ihren Kindern Discounter-Fleisch aufzutischen, weil der Geldbeutel nicht für den regionalen Bio-Bauern reicht? Müssen Punks jetzt handgearbeitete Schuhe aus Mailänder Manufakturen tragen, weil ihre Billigtreter in Indonesien und Vietnam vermutlich nicht zu in Europa üblichen Arbeitsschutzbedingungen produziert werden?
Da sind wir, etwas überspitzt, nicht mehr weit entfernt vom Satz: „Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen.“ Er wird Marie Antoinette zugeschrieben, der Ehefrau des Königs Ludwig XVI. von Frankreich. Beide gingen nicht gerade durch Volksnähe in die Geschichte ein.
Nach Menschen, die am unteren Ende der Nahrungskette stehen, zu treten, ist nicht nur unanständig. Es tut auch der linken Sache keinen Gefallen. Nicholas Potter ging beim vermutlich nicht davon aus, aber womöglich tragen Texte wie seiner ihren Teil dazu bei, dass SPD und Grüne aktuellen Umfragen nach in Deutschland gemeinsam bei nur noch knapp mehr als 25 Prozent liegen, Die Linke sogar an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern würde. Jetzt ist eine „taz“ trotz linker Ausrichtung kein Wahlkampforgan, trotzdem zeugt die Veröffentlichung von Mängeln an Taktgefühl gegenüber Minderheiten, wie man sie sich eben nicht auf intersektionalen Diskriminierungstabellen entwerfen kann, sondern so, wie sie eben sind.
Am Beckenrand unter sich
Minderheiten, wie man sie auch im Freibad treffen kann – einem der Orte übrigens, an denen das Rauchen laut EU-Empfehlung ganz untersagt werden soll (sofern es sich um öffentliche Bäder handelt). Schade, dass in dem „taz“-Kommentar nicht mal der Gedanke aufkam, die soziale Dimension eines Rauchverbots auszuloten. Bleibt das nichtrauchende Bildungsbürgertum am Beckenrand zukünftig eben unter sich.
Noch mal: Dass die Idee der Europäischen Kommission, Tabakkonsum in öffentlichen Räumen einzudämmen, damit falsch sein musst, heißt das alles nicht. Wahrscheinlich ist sie nach Abwägung aller Argumente sogar vernünftig. Aber mit inklusiven, emanzipatorischen, linken Idealen hat das nicht viel zu tun.