Der VfB Stuttgart ist am Sonntag bei Dynamo Dresden zu Gast. Für den Tabellenletzten ist es das erste Spiel nach der Corona-Pause. Dynamo ist klar im Nachteil – und will daraus einen Vorteil machen.

Sport: Dirk Preiß (dip)

Stuttgart - Wären die Zeiten andere, man würde Kevin Broll vermutlich beneiden. Der Torhüter der SG Dynamo Dresden bewohnt ein Einzelzimmer im Hotel Maritim, die Aussicht, berichtet er, sei „sehr schön“. Denn: „Die Dresdner Altstadt und die Elbe habe ich fest im Blick, wenn ich hier aus dem Fenster blicke.“ Klingt ganz nett – aber die Zeiten sind eben nicht andere. Und so wird bei Dynamo Dresden derzeit keiner um die spezielle Lage beim Fußball-Zweitligisten beneidet. Im Gegenteil.

 

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Auf dem letzten Tabellenplatz standen die Schwarz-Gelben schon bevor die Corona-Pandemie das Land vorübergehend lahm gelegt hatte. Doch der Trend war positiv: elf Punkte aus sieben Spielen der Rückrunde schürten die Hoffnungen auf eine Rettung am Saisonende. Dann kam Corona – und Sportchef Ralf Minge sagt nun: „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand.“

Das Virus trifft Dynamo Dresden besonders hart

Drei Spieltage haben die erste und zweite Liga seit dem Neustart bereits absolviert, seit Wochen trainieren alle Teams im normalen Betrieb – also mit allen Trainingsformen und mit ihren kompletten Mannschaften. Wirklich alle Teams? Nein. Dynamo Dresden bildet die Ausnahme.

„Uns hat das Virus besonders hart getroffen“, sagt Dynamo-Trainer Markus Kauczinski – dessen Team an diesem Sonntag (13.30 Uhr) gegen den VfB Stuttgart verspätet den Spielbetrieb wieder aufnimmt. Und er ergänzt: „Wir müssen es so hinnehmen, wie es gekommen ist.“

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Ausgerechnet wenige Tage vor dem geplanten Neustart hatte es bei drei Teammitgliedern einen positiven Corona-Test gegeben, später noch einen weiteren. Die Folge: Während die Konkurrenten normal trainierten und dann auch wieder spielten, waren die Dresdner Profis vom 9. bis zum 23. Mai in häuslicher Quarantäne und konnten sich nur individuell fit halten. Gerade einmal eine Woche blieb vor dem nun anstehenden Duell mit dem VfB, um sich als Mannschaft auf das Heimspiel vorzubereiten. Die Frage nach der Gerechtigkeit ist schnell beantwortet. Doch in Dresden will sie jetzt erst einmal keiner mehr stellen.

Der Trainer sieht sein Team nicht in der Opferrolle

„Für uns gilt es, nicht in eine Opferrolle zu fallen“, fordert Kauczinski, auch wenn es sich „im Moment nicht so anfühlt, dass es am Ende ein faires Ergebnis geben kann“. Was der Coach viel lieber provozieren will, ist eine Trotzreaktion seiner Mannschaft. „Entscheidend ist, dass wir unser Ziel als positive Motivation begreifen“, sagt auch Sportchef Minge, über dessen Aus bei der SG in diesen Tagen zudem noch spekuliert worden ist, „wenn wir am Ende dieser Saison den Liga-Verbleib feiern können, dann haben wir für Fußball-Dresden Großartiges erreicht.“ Aber ist das überhaupt noch möglich?

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Weil das Team durch die Quarantäne drei Spiele verlegen musste, wartet auf Dynamo nun ein Mammutprogramm: zunächst acht Partien in 22 Tagen. „Da wird nicht viel trainiert, sondern regeneriert und analysiert“, sagt Kauczinski. Immerhin: Trotz der drei Spiele weniger ist der Kontakt zumindest zum Relegationsplatz noch nicht ganz abgerissen: Der Karlsruher SC hat als 16. der Tabelle lediglich fünf Punkte mehr als die Dresdner. Also gibt sich der Coach, der früher den KSC betreute, kämpferisch.

Klassenverbleib wäre besonders wertvoll

„Wir haben das angenommen und tun alles dafür, ein guter Gegner zu sein“, sagt Kauczinski – und hofft auch ein wenig darauf, dass die jüngere Geschichte das Team noch mehr zum unterschätzten Außenseiter macht: „Stuttgart freut sich vielleicht, weil sie denken, da ist jemand noch nicht ganz auf der Höhe.“ Zudem sagte er: „Wir kommen vom Balkon, haben dort und im Wohnzimmer Krafttraining gemacht und sind Fahrrad gefahren. Das hat noch keiner vorher gemacht, außer er will die Tour de France fahren. Da ist Stuttgart klar im Vorteil.“ Auf die heiße Atmosphäre im eigenen Stadion können die Sachsen zudem nicht bauen. Andererseits wäre ein Klassenverbleib unter diesen Voraussetzungen umso wertvoller.

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„Wir können für den Verein Großartiges leisten, das sollte Motivation genug sein“, sagt Keeper Kevin Broll – und gibt das Dresdner Motto für die Tage nach den Tagen im Quarantäne-Hotel mit dem schönen Elbblick aus. „Wer glaubt denn noch an uns?“, fragt er. Und gibt die entschlossene Antwort gleich selbst: „ Wir!“