Judith Reuß kämpft täglich um das Leben ihrer Patienten. Sie ist Pflegefachkraft auf einer Intensivstation im Klinikum Stuttgart. In unserem Gehaltscheck verrät sie, was sie an ihrem Job mag, was sie nervt und wie viel Geld sie verdient.

Digital Desk: Jonas Schöll (jo)

Stuttgart - In Judith Reuß’ Beruf können Sekunden über Leben oder Tod entscheiden. Die 41-Jährige arbeitet als Pflegefachkraft auf der Intensivstation im Klinikum Stuttgart. Täglich kümmert sie sich um schwerstkranke Menschen und deren Angehörige, sie setzt Infusionen, nimmt Blut ab, verteilt Medikamente – und muss im Notfall auch mal einen Menschen wiederbeleben. Ein Arbeitstag beinhaltet Schicksalsschläge und Trauer, aber auch Hoffnung und Freude. Judith Reuß hat sich bewusst für die Verantwortung in der Intensivpflege entschieden: „Ich kann wirklich sagen, dass ich meine Berufung gefunden habe“, sagt sie.

 

Was verdient ein Krankenpfleger?

Menschen wie Judith Reuß werden dringend gebraucht. Bundesweit gibt es nach Angaben der Arbeitsagentur einen Fachkräftemangel bei Alten- und Krankenpflegern. Derzeit seien etwa 40 000 Stellen unbesetzt. Der Deutsche Pflegerat geht sogar von mindestens 100 000 fehlenden Pflegern im System aus. Weil in den kommenden Jahren die Zahl der Pflegebedürftigen deutlich steigen wird, rechnen Experten damit, dass in den nächsten 10 Jahren zwischen 150 000 und 250 000 neue Pfleger gebraucht werden.

In unserem Gehaltscheck Stuttgart verrät Judith Reuß, warum Pflegerin ihr Traumjob ist, womit sie täglich auf der Arbeit zu kämpfen hat – und wie viel Geld sie in ihrem anspruchsvollen Beruf verdient.

Welche Fragen kommen als erstes, wenn Sie auf einer Party von ihrem Beruf erzählen?

Viele Menschen haben eine völlig verkehrte Vorstellung davon, was Pflegekräfte tun. Sie stellen sich vor, dass wir nur den Patienten das Essen bringen, sie waschen und ansonsten vor allem Zeit für Gespräche mit den Patienten haben. Dass wir viel Verantwortung übernehmen und bei der medizinischen Versorgung der Patienten eine entscheidende Rolle spielen, ist vielen nicht klar. Auf der Intensivstation, wo wir es zumeist mit schwerstkranken Patienten zu tun haben, kommt es auch vor, dass wir Patienten wiederbeleben müssen. Wenn ich das erzähle, staunen die meisten Leute dann schon und fragen, ob ich nach der Arbeit mit so kranken Menschen eigentlich richtig abschalten kann.

Was waren die spannendsten, traurigsten oder witzigsten Augenblicke in ihrem Berufsleben?

Der schönste Moment war, als ein Patient, der lange bei uns war und um den es zeitweise sehr schlecht stand, uns nach seiner Reha besuchen kam. Ich habe ihn sofort erkannt und mit Namen angesprochen. Er sagte: „Ich kenne ihr Gesicht nicht, aber Ihre Stimme“. Er hat die Zuwendung von uns Pflegekräften immer gespürt und hat sich dafür aus tiefstem Herzen bedankt. Aber leider gibt es auch traurige Momente. Wenn ein Mann am Bett seiner eben verstorbenen Frau sitzt und sagt: „60 Jahre zusammen, und jetzt bin ich allein“, da fließen dann schon auch mal Tränen.

Was gefällt Ihnen an ihrem Job am meisten?

Ich mag die große Selbstständigkeit. Wir arbeiten auf Augenhöhe mit unseren ärztlichen Kollegen, aber auch mit Physiotherapeuten und vielen anderen Berufsgruppen. Das Wissen und die Meinungen von uns Pflegekräften werden gehört und geschätzt. Ich arbeite wahnsinnig gerne mit anderen Menschen zusammen, sowohl mit Patienten als auch mit Kollegen. Ein Büro-Job wäre nichts für mich. Es macht mich auch immer wieder glücklich zu sehen, wie viel die professionelle Pflege bewirken kann. Auch ganz persönlich profitiere ich von meinem Job. Man lernt sein Leben und seine Gesundheit zu schätzen und sie nicht als Selbstverständlichkeit anzusehen. Ich kann wirklich sagen, dass ich meine Berufung gefunden habe. Ich gehe gerne zur Arbeit.

Was nervt Sie an ihrem Beruf?

Wirklich genervt bin ich nur selten. Aber natürlich kommt es vor, dass verschiedene Leute gleichzeitig etwas von mir wollen. Da muss man dann eben Prioritäten setzen. Vor allem gibt es in solchen Situationen auch immer die Unterstützung aus dem Team. Natürlich ist es auch nicht immer leicht zu akzeptieren, wenn man in seiner Schicht nicht das geschafft hat, was man sich vorgenommen hatte, wenn der Patient beispielsweise weniger Fortschritte gemacht hat. Was mich am Pflegeberuf insgesamt stört sind Sätze wie: „Ich bin nur Pflegerin.“ Sowas macht mich richtig wütend. Viele Pflegekräfte machen sich klein. Mehr Selbstbewusstsein würde unserem Berufsstand gut tun.

Welche Eigenschaften sind in dem Beruf gefragt?

Man muss sehr aufmerksam und konzentriert arbeiten. Zudem sind Teamarbeit und Selbstreflexion sehr wichtig. Auch mit langjähriger Berufserfahrung kommt man in Situationen, die man nicht alleine meistern kann. In solchen Situationen muss man als Team gut funktionieren. Gemeinsam finden wir immer eine Lösung.

Als Gesundheits- und Krankenpflegerin haben Sie eine verantwortungsvolle Aufgabe. Wie gehen Sie damit um?

Allen voran mit viel Respekt. Meine Kollegen und ich sind uns unserer Verantwortung bewusst. Wir haben zur Unterstützung im Klinikum Stuttgart viele Standardprozesse etabliert. Es gibt Vorgaben, Checklisten und Qualitätschecks. Bei besonders kritischen Aufgaben setzen wir auf das 4-Augen-Prinzip. Manchmal sollte man aber auch auf sein Bauchgefühl hören. Wenn ich als erfahrene Pflegerin spüre „Da stimmt was nicht“, hole ich mir eine Kollegin oder einen Kollegen hinzu und wir schauen uns das gemeinsam an.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag für Sie aus?

Den typischen Arbeitsalltag gibt es nicht. Ständig erwarten mich neue Situationen. Einige wiederkehrende Tätigkeiten gibt es aber natürlich schon. Der Arbeitstag beginnt mit der Übergabe bei Schichtwechsel. Am Patientenbett besprechen wir, wie sich der Zustand des Patienten verändert hat und worauf in den nächsten Stunden zu achten ist. Als erstes überprüfe ich, ob das Notfallequipment vollständig ist. Ich kontrolliere die Überwachungsparameter, prüfe die Zugänge des Patienten sowie die Medikamentendosierungen und überwache die Beatmung. Bei manchen Patienten kommt noch die Überprüfung des Dialysegerätes hinzu. Die Sicherheit der Patienten steht für uns an erster Stelle. Bei Veränderungen erfolgt eine zeitnahe Therapieabstimmung mit den ärztlichen Kollegen. Neben all diesen medizinischen Tätigkeiten darf jedoch die ganzheitliche Pflege nicht an Stellenwert verlieren.

Gibt es Besonderheiten auf der Intensivstation?

Gerade auf der Intensivstation ist es auch wichtig, die Angehörigen einzubinden. Sie sind meistens sehr verunsichert und in der kritischen Situation auf einer Intensivstation nicht nur für die fachlich-medizinische Hilfe dankbar, sondern auch für ein offenes Ohr. Hier bekommen wir auch viel Unterstützung, zum Beispiel von den Seelsorgern im Klinikum Stuttgart.

Wie viel verdienen Sie als Gesundheits- und Krankenpflegerin/?

Ich arbeite 40 Prozent und bin in der Entgeltgruppe P9 Stufe 6 des Tarifvertrages eingruppiert. Das entspricht bei einem Arbeitsumfang von 100 Prozent einem Grundgehalt von 3.800 Euro. Hinzu kommen tarifliche Zulagen von rund 100 Euro. Da ich eine zweijährige Fachweiterbildung in Intensivpflege absolviert habe, bekomme ich noch eine außertarifliche Zulage, die sich momentan bei einer Vollzeitkraft auf monatlich 400 Euro beläuft. Damit ergibt sich ein monatliches Gehalt von 4.300 Euro brutto. Hinzu kommt Weihnachtsgeld in Höhe von 70 Prozent eines Monatsgehalts. Das ergibt ein Jahresbrutto von über 54.000 Euro bei Vollzeitkräften. Dazu können Nacht- und Wochenendzuschläge kommen. Die finde ich aber finanziell wenig attraktiv. Ich profitiere noch von einem vergünstigten Kita-Platz im Betriebskindergarten des Klinikums. Viele meiner Kollegen nutzen auch das vergünstigte VVS-Firmenticket. Außerdem bekommen Mitarbeiter am Klinikum eine zusätzliche betriebliche Altersvorsorge.

Finden Sie das Gehalt fair angesichts der Aufgabe?

Es geht ja nicht nur um das Gehalt, sondern auch um Wertschätzung und die Arbeitsbedingungen. Hier tut sich derzeit gesellschaftlich zum Glück einiges. Berücksichtigt man die große Verantwortung und die Arbeitszeiten, könnte die Bezahlung durchaus besser sein. Da hat der Tarifvertrag noch Schwächen. Eine Vollzeitkraft muss jedes zweite Wochenende arbeiten. Außerdem hat man entweder an Weihnachten oder an Silvester Dienst. Das ist schon happig. Ich finde, der Tarifvertrag müsste angepasst werden. Erstens sollten Nacht- und Wochenenddienste besser bezahlt werden. Zweitens muss sich Qualifizierung finanziell mehr lohnen.

Kann man von dem Gehalt in Stuttgart leben?

Als Vollzeitkraft mit einigen Jahren Berufserfahrung kann man in Stuttgart schon leben, wenn man nicht allzu große Ansprüche an Größe und Lage der Wohnung hat. Als Alleinstehender oder Berufsanfänger tut man sich mit den hohen Mieten in Stuttgart aber sicherlich schwer.