Wer heute „Tagesschau“ guckt, wähnt sich mitunter wie in einer Netflix-Serie: Spektakuläre Geheimdienstfälle wie jener rund um die mutmaßliche Ermordung Kashoggis wühlen die Öffentlichkeit auf. Ist das Phänomen neu? Nein: Wir erinnern an Fälle aus der Vergangenheit.

Stuttgart - Litwinenko, Skripal, Kashoggi – die Nachrichten erscheinen mittlerweile oftmals spannender als Serien im Streaming-Portalen. Leicht könnte man den Eindruck bekommen, die Weltpolitik und ihre Verstrickungen würden immer spektakulärer. Die gute Nachricht: Das stimmt nicht, das war schon immer so. Hier kommen vier spektakuläre Fälle aus der Vergangenheit:

 

1962: Mit alten Nazis gegen die Feinde Israels

Otto Skorzeny hatte wohl einen Deal ausgehandelt: Um der Strafverfolgung zu entgehen und vor allem auch um von der Nazi-Kriegsverbrecher-Liste Simon Wiesenthals getilgt zu werden, arbeitete der gesuchte Naziverbrecher und frühere Vertraute von Hitler mit dem israelischen Geheimdienst Mossad zusammen. Skorzeny soll Listen mit deutschen Wissenschaftlern und Tarnfirmen erstellt haben, die am ägyptischen Raketenprogramm in den 50er und 60er Jahren beteiligt waren, einer der damals größten Bedrohungen für Israel. Durch Einschüchterung, Briefbomben und Mord sollten diese „überzeugt werden“, ihre Tätigkeit für Ägypten einzustellen. Heinz Krug, Waffenhändler und als Techniker bereits unter Wernher von Braun am deutschen Raketenprogramm tätig, zeigte sich beratungsresistent. Offiziell gilt Krug seit dem 11. September 1962 als verschollen. Was in dieser Nacht in einem Waldstück bei München wirklich passierte, ist bis heute unklar. Es gibt Berichte über eine Entführung durch den Mossad, es heißt aber auch, dass Skorzeny selbst Krug ermordet habe. Skorzeny starb 1975 an Krebs. Bei seiner Beerdigung salutierten seine Freunde mit dem Hitlergruß.

1978: Das Attentat mit einem Regenschirm

Der Schriftsteller Georgi Markov war ein lauter Kritiker der kommunistischen Führung seines Heimatlandes Bulgarien. So laut, dass er sich erst nach Italien und später nach London absetzte, wo er unter anderem auch als Journalist für die BBC tätig war. Am 7. September 1978 wurde Markov vermutlich Opfer eines geradezu wahnwitzigen Attentats: An der Londoner Waterloo Bridge – er wartete gerade auf den Bus – stach ihm ein Mann mit der Spitze eines Regenschirms in die Wade, entschuldigte sich und lief weiter. Vier Tage später war Markov tot. Später fand man in seiner Wade eine Kapsel, in der Spuren des Nervengiftes Rizin nachgewiesen wurden. Die Kugel war mit Zuckerguss ummantelt, damit das Gift erst mit Zeitverzögerung ins Blut gerät und sich dort ausbreiten kann. Der Anschlag auf den Dissidenten wurde am Geburtstag des damaligen bulgarischen Staatschefs Todor Schiwkow verübt, mutmaßlich mithilfe des sowjetischen Geheimdienstes KGB, der wohl auch das Gift und die komplexe Kapseltechnik lieferte. Und wer war der Mann mit dem Schirm? Bis heute deuten alle Spuren auf den noch immer untergetauchten Agenten Francesco Gullino mit dem Decknamen „Picadilly“ hin. Andere Untersuchungen zweifeln allerdings an der Theorie vom einzelnen Attentäter und mittlerweile auch am Regenschirm als der eigentlichen Tatwaffe.

1986: USA als Waffen-Dealer – die Iran-Contra-Affäre

Oberstleutnant Oliver North nannte es damals „die ultimative verdeckte Operation“. North war Vietnam-Veteran, CIA-Agent und militärischer Berater von US-Präsident Ronald Reagan und seinem Vize George Bush. Spektakulär war der später als „Iran-Contra- Affäre“ in die Geschichtsbücher eingegangene Skandal auf ganzer Linie – und North soll die Schlüsselfigur gewesen sein: Die USA hatten trotz eines Handelsembargos heimlich Waffen an den Iran verkauft, angeblich um die Beziehungen zu dem Land zu verbessern. Offiziell waren die USA schon damals mit dem Iran wegen der islamischen Revolution verfeindet. Ein Teil der Erlöse soll genutzt worden sein, die paramilitärischen Contras in Nicaragua in ihrem Kampf gegen die regierenden sozialistischen Sandinisten zu unterstützen. Die CIA duldete, dass die Contras mehrere Tonnen Kokain in die USA schmuggelten, deren Verkaufserträge in den Kampf gegen die Sandinisten investiert wurden. Reagan gab an, nichts gewusst zu haben. Bush begnadigte als Präsident sechs wegen der Affäre verurteilte Männer. Oliver Norths Verurteilung trat wegen Verfahrensfehlern nie in Kraft. Im Mai 2018 wählte die US-Waffenlobby North zu ihrem neuen Präsidenten.

1997: Gefährliches Schmermmittel ins Ohr gespritzt

Chalid Maschal, politischer Führer der palästinensischen Terrororganisation Hamas, sollte von Geheimagenten des Mossad in Jordanien getötet werden. Der Plan: Agenten sprühen ihm das Schmerzmittel Levofentanyl ins Ohr – der Stoff ist hundertmal stärker als Morphium. Erst wird dem Opfer unbehaglich, dann setzen allmählich die Organe aus, dann stirbt es. Eigentlich läuft alles nach Plan, doch Maschals Leibwächter fassen die Mossad-Agenten nach vollbrachter Tat und überstellen sie den Behörden in Amman. Eine diplomatische Katastrophe für Israel, da sich Jordanien keinesfalls erfreut zeigte, dass fremde Geheimdienste im Land töteten. Der damalige US-Präsident Bill Clinton musste schnell zwischen Jordaniens König Hussein und Benjamin Netanjahu, damals Ministerpräsident von Israel, vermitteln. Das Ergebnis: Israel stellte das Gegengift zur Verfügung, mit dem Maschals Leben gerettet wurde. Im Tausch gegen den in Israel inhaftierten Hamas-Führer Ahmad Yasin lässt Jordanien anschließend die beim Anschlag gefangenen Mossad-Agenten frei.