Bei der Kontrolle der Geheimdienste gibt es eine Premiere – erstmals werden die Chefs von BND & Co öffentlich verhört. Diese gehen dabei selbst mit Kritik in die Offensive: Es hake vor allem bei der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Institute wie der Bundesnachrichtendienst (BND), der Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst (MAD) heißen gemeinhin Geheimdienste, weil sie überwiegend im Geheimen arbeiten. Auch die Dienstaufsicht und die parlamentarische Kontrolle erfolgen regelmäßig unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das ist ein Widerspruch in sich, weil Parlamente dem Prinzip der Transparenz verpflichtet sind. Seit Jahresbeginn gelten neue Regeln. Einmal jährlich müssen die Präsidenten der drei Behörden nun öffentlich Rede und Antwort stehen. Vorbild ist die Arbeitsweise der Select Committees on Intelligence im US-Kongress. In Europa ist das einzigartig.

 

Die Premiere war an diesem Donnerstag. Drei Stunden lang durften die neun Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums, die sonst stets hinter verschlossenen Türen tagen, vor laufender Kamera ihre Fragen stellen. Die Erkenntnis des Kreuzverhörs beurteilen sie unterschiedlich. Der scheidende CDU-Abgeordnete Clemens Binninger, bis Jahresende noch Vorsitzender des Gremiums, findet: „Das Format hat sich absolut bewährt.“ Der Sozialdemokrat Uli Grötsch spricht von einer „gelungenen Premiere“, obwohl er nach eigener Auskunft „nichts revolutionär Neues“ erfahren hat. Hans-Christian Ströbele von den Grünen bemängelt allerdings: „Immer, wenn es konkret wurde, waren die Antworten sehr einsilbig und unergiebig.“ Und der Linke André Hahn fordert, die Chefs der Geheimdienste künftig vom Plenum des Bundestags befragen zu lassen.

Die Sicherheitsrisiken sind heutzutage „wesentlich komplexer“

„Eine sorgfältige und ernsthafte Aufsicht schafft Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit“, meint auch Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz. Unter effektiver Kontrolle seiner Arbeit versteht er jedoch „mehr als Überwachung“. Die Kontrolleure des Parlaments hätten auch die Aufgabe zu überprüfen, ob die Rechtslage, die Personalstärke und die technische Ausstattung der Nachrichtendienste den Herausforderungen angemessen seien. Da sieht er noch etliche Defizite – ungeachtet einer erheblichen Zahl an neuen Stellen, die den Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren genehmigt worden sind. Die Sicherheitsrisiken seien heutzutage „wesentlich komplexer“ und umfänglicher als zu Zeiten des RAF-Terrorismus in den 1970er und 1980er Jahren. Maaßen fasst es salopp zusammen: „In unseren Geschäftsfeldern boomt es.“

Defizite sehen die Chefs der Geheimdienste bei der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden auf Bundes- und Landesebene. „Die Harmonisierung ist ein sehr mühevolles Geschäft“, sagt MAD-Präsident Christof Gramm. Er bemängelt zum Beispiel: „Es fehlt an Verbindlichkeit und Einheitlichkeit der Regeln für den Einsatz von V-Personen“ – so nennen die Geheimdienste Spitzel in den jeweiligen Milieus, die sie überwachen. Seit zwei Jahren gibt es eine zentrale V-Leute-Datei, um auszuschließen, dass Bundes- und Landesbehörden sich wechselseitig bespitzeln. Die Konfusion wurde durch das Verbotsverfahren gegen die NPD offenkundig.

Der Fall Amri hat die Schwächen des Systems offengelegt

In der V-Leute-Datei sollen sämtliche vom Staat bezahlten Spitzel registriert sein. Daran hielten sich inzwischen alle betroffenen Behörden, sagt der Verfassungsschutzpräsident Maaßen, allerdings gebe es „Abweichungen, was die Tiefe der Informationen angeht“. Das Register biete allenfalls einen „allgemeinen Überblick“, habe jedoch seinen Zweck erreicht. Die tatsächliche Identität („Klarnamen“) der V-Leute ist in der Datei nicht verbucht. Alle Behörden seien bemüht, die Verbreitung solcher sensiblen Informationen „in einem kleinen Kreis so klein wie möglich“ zu halten. Maaßen wollte öffentlich keine Angaben zur Zahl der V-Leute sowie zur Höhe der Honorare machen. Die bewegten sich „grundsätzlich nur in vierstelliger Höhe“: „Es soll nicht sein, dass V-Personen von diesem Geld leben können.“ Der Präsident des Verfassungsschutzes bemängelt das Neben- und Gegeneinander der einschlägigen Behörden in Bund und Ländern: „Der Föderalismus hat im Sicherheitsbereich immer wieder Nachteile.“ Musterbeispiel ist der Fall des Berliner Attentäters Anis Amri. Dieser habe „alle Schwächen des Föderalismus offengelegt“, bekräftigt Binninger. „Man kann da von Versagen sprechen“, räumt Maaßen ein. Allerdings handle es sich um einen „Polizeifall“. Seine Behörde sei damit „nur am Rande beschäftigt“ gewesen.

Verfassungsschutz kritisiert das „Primat der Strafverfolgung“

Maaßen kritisiert auch den „Primat der Strafverfolgung“ in der Sicherheitspolitik. Sobald es um Terrorgefahren geht, sei dieses Prinzip fragwürdig. „Wenn die Strafverfolgung im Vordergrund steht, werden die Potenziale der Nachrichtendienste nicht mehr genutzt“, sagt der CDU-Innenexperte Armin Schuster. Er hält zudem das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten für reformbedürftig. Auch der BND-Präsident Bruno Kahl sieht bei der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern Probleme. „Eine zentrale Steuerung gibt es in Deutschland leider nicht“, beklagt er. Die Rechtslage strebe eher weiter auseinander, als dass man von einer Vereinheitlichung sprechen könne.

Maaßen fordert weitere rechtliche und technische Kompetenzen für die Geheimdienste. „Wir brauchen einen vollen Werkzeugkasten.“ Nachholbedarf sieht er bei der Überwachung von Telekommunikationsquellen und dem Zugang zu verschlüsselten Messengerdiensten wie Whatsapp. Diese seien für Terroristen „maßgebliche Kommunikationswege“. Eine effektive Überwachung ist bisher nicht gewährleistet. Ein Missstand ist aus seiner Sicht auch das sogenannte Rakka-Problem: Eine Kontrolle von Telefonaten aus der IS-Hochburg nach Deutschland sei nur in Einzelfällen nach Genehmigung durch die G-10-Kommission möglich, welche über das Fernmeldegeheimnis wacht. Maaßen will diese Kommunikation „pauschal auf dem Radarschirm haben“.