Stell dir vor, es ist Elternabend im Kindergarten – und du verstehst kein Wort. So ging es Janina Dieudonné aus Stuttgart-Birkach bisher. Der Grund: Sie ist gehörlos. Doch nun gibt es eine für sie erfreuliche Wende.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Birkach - Janina Dieudonné will wissen, wie es ihrer kleinen Emilia im Kindergarten geht. Ob sie sich gut mit den anderen Kindern versteht, ob es Zoff gibt, ob sich Emilia entwickelt, wie sich eine Zweijährige entwickeln sollte. Fragen, die sich Eltern eben stellen. Auch Janina Dieudonné und ihr Mann brennen auf einen Einblick in den Kindergartenalltag. Aber bei den Dieudonnés ist das komplizierter als bei anderen Eltern: Sie verstehen nichts bei Elternabenden oder in Gesprächen mit den Erziehern. Weil sie beide gehörlos sind. Die kleine Emilia hingegen hört.

 

Bisher mussten die Dieudonnés auf solcherlei Informationen entweder verzichten oder Geld für einen Dolmetscher ausgeben. Nun hat sich etwas verändert, was das Leben der Familie aus Birkach erleichtert. Sie bekommt den Dolmetscher für Gebärdensprache bezahlt. Seit Kurzem ist klar, dass die Stadt Stuttgart in solchen Fällen hilft. Eine Unterstützung, für die Janina Dieudonné einerseits unendlich dankbar ist. Andererseits ärgert es die Birkacherin, dass das nicht eh schon Standard ist.

Daheim wird mit dem Kind gebärdet, nicht gesprochen

Mit Babybauch sitzt Janina Dieudonné an einem Nachmittag im Gruppenraum ihrer Tochter im Kinderhaus Birkach. Sie erzählt aus ihrem Alltag, der anders klingt als der von anderen Familien. Er ist vor allem leiser, weil die Eltern mit der Zweijährigen daheim gebärden und nicht sprechen. Bilderbücher übersetzen die Erwachsenen in Handzeichen, für die Freunde im Kindergarten haben sie sich fixe Gesten ausgedacht, damit Emilia ihren Eltern erzählen kann, was dieser und jener heute gemacht hat. In ihrer kleinen Welt funktioniert das wunderbar, aber sobald es um die Kommunikation mit Hörenden draußen geht, warten die Probleme. Eine Folge: Gehörlose bleiben oftmals unter sich, weil die Welt der Hörenden für sie zu anstrengend ist. „Es gibt immer wieder Barrieren für uns“, sagt Janina Dieudonné. Nein, sie gebärdet es. Ihr gegenüber sitzt Sonja Gairing, die die Gesten für sie in gesprochene Sprache übersetzt. Die junge Frau ist Dolmetscherin und an jenem Nachmittag ins Kinderhaus Birkach gekommen, um Janina Dieudonnés Stimme zu sein. Sie versucht, möglichst alles zu übersetzen, auch Ähms und Ohs.

Der Dolmetscher kostet 75 Euro die Stunde

Für die freiberufliche Dolmetscherin ist es das erste Mal, dass sie zum Übersetzen in einem Kindergarten sitzt. „Weil es dafür bisher eine Bezahlung gegeben hat“, erklärt Sonja Gairing. An Schulen wiederum hat sie bei Elternabenden bereits gedolmetscht. Dafür gibt es schon länger ein Budget.

Hilfe bekommen Gehörlose auch, wenn sie zum Arzt gehen. Nicht aber, wenn sie beispielsweise einen Kredit bei der Bank abschließen wollen oder zur Eigentümerversammlung eingeladen werden. Dann müssen sie den Übersetzer aus der eigenen Tasche bezahlen. Rund 75 Euro fallen für die Stunde an, zuzüglich Fahrtkosten.

Am Freitag, 27. April, ist Mitgliederversammlung im Kinderhaus Birkach, einer Eltern-Kind-Initiative. Es wird die erste Versammlung sein, bei der Janina Dieudonné dabei sein kann, weil sie auf Kosten der Stadt einen Dolmetscher engagieren kann. Den bekommt sie von der Dolmetscher-Vermittlungszentrale gestellt. Schwierig ist es meist bei spontanen Terminen, da sind oft alle Übersetzer ausgebucht.

Die Welt der Hörenden gehört nun zu ihnen

So erleichternd die neue Regelung für die Dieudonnés ist, es wird trotzdem immer wieder zu Situationen kommen, in denen die gehörlosen Eltern allein zurechtkommen müssen. Aber die Welt der Hörenden gehört nun zu ihnen – wegen Emilia, die im Kindergarten sprechen gelernt hat und deren Wortschatz sich nicht mehr von Gleichaltrigen unterscheidet. Was, wenn sie Kinder zum Geburtstag einlädt? So eine Party wird kaum ohne einen hörenden Helfer zu bewerkstelligen sein. Klar ist für die Mutter, dass es nicht Emilia sein wird, die übersetzt. „Das ist nicht ihre Aufgabe.“

Für die kleine Emilia war es durchaus eine Umstellung, als sie im vergangenen Sommer in den Kindergarten kam. Raus aus der stillen Welt in eine Welt voller Tohuwabohu. „Ich glaube, es ist interessant für sie, dass es hier laut ist und zu Hause still“, sagt Janina Dieudonné. Sie haben absichtlich einen eher kleinen Kindergarten ausgewählt, sagt die Mutter. „Ich glaube, es ist ein gutes Mittelding.“