Die Geisterjäger könnten sich die Mühe sparen. Ich verstecke mich nicht länger. Gestatten: König Friedrich, der Totgeglaubte.

Stuttgart - Es sandte mir das Schicksal frühen Schlaf. Im Jahre des Herrn 1816 schied ich nach einer Lungenentzündung dahin und wurde hinunter in die Gruft des Barockschlosses zu Ludwigsburg verbracht, wo ich nicht wirklich zur Ruhe fand. Seitdem bin ich anderswo. Nicht im Diesseits, nicht im Jenseits.

 

Kein Licht hat mein zweites Leben in der Parallelwelt je gestreift, schon gar nicht das Licht der bürgerlichen Öffentlichkeit. Jetzt aber sind sie hinter mir her. Geisterjäger ante portas. In meiner Not komme ich ihnen zuvor und oute mich: "Ich, Friedrich, der erste König von Württemberg, eingeborener Sohn der Sophie Dorothee von Brandenburg-Schwedt, wandle als Geist durchs Schloss!"

Nie wirklich gestorben

Ich hätte mein Geheimnis weiter gehütet, wären da nicht die Damen und Herren aus Konstanz, firmierend unter "Ghosthunters Agency". Bewaffnet mit hochsensiblen Mikrofonen, Nachtbildkameras, Infrarot-Thermometern und höchst amtlicher Genehmigung der baden-württembergischen Schlösserverwaltung werden die Fahnder von eigenen Gnaden Samstagnacht geistesgegenwärtig durchs Residenzschloss ziehen. Offiziell wollen sie natürliche Erklärungen für das Unnatürliche finden. Tatsächlich suchen sie mich.

Ich wohne an diesem Ort seit es mir denkt. 1754 bin ich geboren und wirklich gestorben bin ich nie. Ich lebe weiter in Geschichten und goldumkränzt auch in der Ahnengalerie meines Schlosses. Jede Nacht stehe ich dort vor dem Mann, der ich war. Man macht sich keine Vorstellung vom Leben eines Geists. Die Unsterblichkeit hat ihre Tücken. Wer zweifelt, möge bei Simone de Beauvoir nachschlagen, wie es dem armen Fosca erging, dessen Freude am ewigen Leben mit den Jahren der unendlichen Gleichgültigkeit wich.

Dielen knarren und Fledermäuse flattern

Auch mich hätte die Depression im Dunkel der barocken Immobilie wohl längst heimgesucht. Wäre da nicht meine Gemahlin Charlotte Auguste Mathilde von Großbritannien und Irland, welche zwölf Jahre nach mir das Zeitliche segnete und seitdem in meiner Gesellschaft durch den Keller unterm Spielpavillon spukt, wo das größte Fass Württembergs seinen Platz hat und sich der Geist des Königs am Geist des Weins aufs Höchste ergötzt.

Seit fast zweihundert Jahren führen wir ein überschaubares, ungegenwärtiges, von Gewohnheiten geprägtes Dasein, nur für uns. Abgesehen vielleicht von kleineren Störungen, die nicht ausbleiben, wenn man unter dem Dach des größten Barockschlosses der Republik haust, das 452 Zimmer zählt und auch eine Dienstwohnung, in welcher seit jeher Ulrich Krüger wohnt. 60 Jahre alt ist der Mann, und er ist Schlossverwalter wie sein Vater. Der Landesbeamte lässt unsereinen in Frieden. Nach außen sagt er, dass in seinem Revier manchmal Dielen knarren und Fledermäuse flattern, aber einen Geist, den habe er noch nie gesehen, und also könne es auch keinen geben.

Schloss verhält sich schwankend

Hinter vorgehaltener Hand redet Krüger anders. Einmal im Jahr, flüstert er verschwiegenen Freunden, begegne ihm das Unfassbare in tiefer Nacht. Schuld sei das örtliche Marktplatzfest, nach dessen Ende ihn bisweilen der Eindruck beschleicht, dass sich sein Schloss ähnlich verhält wie Boris Jelzin in der Folge feucht-fröhlicher Staatsempfänge, nämlich schwankend. In solchen Momenten innerer Unruhe wird der Schlossverwalter tatsächlich des Schlossgeistes gewahr, wobei es sich eingespielt hat, dass Letzterer sich erfahrungsgemäß am nächsten Morgen rasch verflüchtigt.

Im Grunde ist Krüger bloß ein dienstbarer Geist, der mein Erbe verwaltet. Ein einziges Mal ist es außerhalb unseres jährlichen Rituals zu einer Begegnung zwischen mir und ihm gekommen, an welche vor allem Elfriede, die sehenswerte Gattin des Schlossverwalters, eine lebhaft Erinnerung hegt. Als sie ihre erste Nacht in der barocken Dienstwohnung verbrachte, die gerade von den Schwiegereltern geräumt worden war, empfand sie die fünf Meter hohen Räume seltsam leer. Ihr damals noch kräftig im Saft stehender Gemahl fasste sich ein Herz, stieg auf den Dachboden und wuchtete von dort ein großformatiges Bild samt Rahmen herunter: "Geburt der Venus". Die Antiquität, bei der es sich um eine Kopie des Botticelli-Originals handelte, nagelte er entschlossen an die kahle Wand.

Endlich einmal was los im Schloss

Auf diese Weise schien der Abend gerettet, welchen das junge Paar in trauter Zweisamkeit verbrachte bis die Zeiger der benachbarten Turmuhr auf die zwölfte Stunde rückten. Doch ach, just in jenem Augenblick, als der Mitternachtsgong ertönte, fiel das schmückende Bild von der Wand und krachte fulminant zu Boden, ohne dass es dabei kaputt ging. Frau Krüger wurde starr vor Schreck. "Elfie, das war der Schlossgeist", sagte ihr Mann. "Jetzt hat er auch dich akzeptiert."

Es wurde ein schwindsüchtiger Nagel als Ursache vermutet, aber in Wirklichkeit war es ein königlicher Arsch. Ich hatte mich an diesem Abend herumgedrückt zwischen dem jungen Glück. Endlich einmal was los im Schloss. Dummerweise wohnt mir auch als Geist wie zu Lebzeiten eine gewisse Leibesfülle inne, und so stieß ich beim nächtlichen Schlüssellochgucken mit dem Allerwertesten an den güldenen Rahmen um die schöne Venus, und da war's geschehen. Bums!

Solche Phänomene sind normal

Mein Fauxpas blieb seinerzeit ohne Folgen, doch jetzt ist plötzlich alles ganz anders. Meiner lange gehegten Freiheit werde ich beraubt, wenn die Gespensterjäger vom Bodensee erst mit ihren Messgeräten durch das Residenzschloss spuken. Man weiß nicht recht, wes Geistes Kind sie sind. Sandra Kunze, 28, hat die Ghosthunters Agency vor zwei Jahren gegründet. Ich habe sie belauscht. Frau Kunze, Friseurin von Beruf, hat als Halbwüchsige im Kinderzimmer "Schattenwesen" gesehen. Seitdem ist sie begeistert.

Mit ihrer Jagdgesellschaft war sie zwecks Recherche schon auf der Burg Hohentwiel und auch bei Familien, in deren Häusern seltsame Dinge passieren. "Wir wollen zeigen, dass solche Phänomene normal sind", sagt Frau Kunze. "70 Prozent lassen sich rational erklären, 30 Prozent bleiben gespenstisch."

Die Geister, die man ruft, wird man nicht leicht los

Ich finde Frau Kunze nett, weil sie selbst eine Art parapsychologisches Phänomen ist. Es gehört zu den irdischen Neigungen, alles genau wissen zu wollen. Bei Frau Kunze ist diese Neigung besonders ausgeprägt. Sie ist damit bei weitem nicht allein. Neulich bekam sie Post von einem Ludwigsburger, der eine Schlossführung besucht hatte. Danach schrieb er einen Brief an die Ghosthunter: "Ich könnte schwören, dass hinter mir etwas mitlief. Ich spürte eine seltsame Anwesenheit, aber ich war der Letzte in der Gruppe."

Man wird die Geister, die man ruft, nicht leicht los. Ich weiß das aus meiner Zeit als Oberst im Kürassierregiment Lölhöffel. Brave Soldaten standen auf den Schlachtfeldern zitternd vor mir. Sie erzählten vom Geist der Toten, der sie fast um den Verstand bringe. Ich habe sie ausgelacht und schäme mich heute dafür. Damals gab es noch keine Ärzte für Seelen und auch keinen Dr. rer. nat. Dr. phil. Walter von Lucadou, der weltweit als einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der Parapsychologie gilt. Der hochmögende Herr leitet in Freiburg seit zwanzig Jahren eine Parapsychologische Beratungsstelle, die vom Land Baden-Württemberg bezuschusst wird. 5200 Menschen haben sich 2010 wegen mystischer Erscheinungen an seine wissenschaftliche Gespensterpraxis gewandt.

"Im Grunde ist die ganze Welt unerklärlich"

Einige von ihnen sehen Tassen durch ihre Küchen fliegen, vor anderen tauchen merkwürdige Gestalten auf. Herr Lucadou kümmert sich darum. Manchmal kann er helfen wie bei einer gepeinigten Dame, die auf ihrer heimischen Tonbandkassette mitten in der Schlagermusik plötzlich Stimmen hörte, welche in unbekannten Sprachen redeten. Wie sich herausstellte war das Tonband an einer Stelle verdreht, und folglich erklang die Rückseite, rückwärts gespielt. Die Frau, so berichtet der Parapsychologe, wurde wegen Verfolgungswahn mit Psychopharmaka behandelt. "Es hieß nur, die spinnt."

Käme einer von seinem Schlage in die Ludwigsburger Residenz, könnte es eng werden für mich, den König aus der Gruft. Herr Lucadou ist für Schlossgeister schon deshalb gefährlich, weil er sie nicht entgeistert betrachtet, sondern mit einem gewissen Sinn für das Unsinnige. "Das Gleichgewicht von dem, was wir verstehen, und dem, was wir nicht verstehen, verschiebt sich ständig zu dem, was wir verstehen", sagt der Doktor der Physik und der Psychologie, ehe er mit Bedacht hinzufügt: "Wir verstehen nur einen kleinen Teil. Im Grunde ist die ganze Welt unerklärlich."

Wo soll das alles bloß hinführen?

Solche Sätze machen einem hochbetagten Schlossgeist wie mir durchaus Angst. Wo soll das alles bloß hinführen? Frau Kunze wird sich Samstagnacht neben ihre Richtmikrofone stellen und in den dunklen Raum hineinfragen: "Ist noch jemand hier?" Ein netter Versuch, gewiss, aber ich werde ihr nicht antworten. Schon deshalb nicht, weil sonst noch mehr Geisterjäger und Gelehrte kommen, um meine Residenz unsicher zu machen.

Früher habe ich befohlen, heute kann ich nur empfehlen. Und also rate ich euch: Versucht nicht, alles zu verstehen auf dieser Welt. Behaltet mich in guter Erinnerung. Ich bin nicht tot, ich tauschte nur die Räume. Ich leb in euch und geh' durch eure Träume. Belasst es dabei! Herzlichst, euer Friedrich.