Die Aktienbörse und der Finanzmarkt sind schwer zu verstehen. Und schrecklich langweilig. Das dachte unsere Kolumnistin Siri Warrlich immer. Bis ihr Smartphone sie eines Besseren belehrte.

Ich bin 35 Jahre alt, und ich weiß seit Kurzem, was ein Derivat ist. Viele Leute in meinem Alter wissen das nicht. Ich habe ein kleines Experiment gemacht und fünf meiner Freunde gefragt. Bei vier von ihnen: Fehlanzeige. Wir haben in der Schule so gut wie nichts über den Finanzmarkt gelernt. Was ein Derivat ist, habe ich auch nicht in der Zeitung gelesen. Denn die Texte über die Börse und alles damit Verwandte halte ich per se für dröge.

 

Was ein Derivat ist, hat mir also kein Journalist und kein Buchautor erklärt, sondern Nicolas Zeitler. Der Mann ist seit Längerem in der PR-Branche tätig. Inzwischen arbeitet er als eine Art Erklärbär für ein Unternehmen namens Scalable Capital, bei dem man Aktiendepots anlegen kann. Genau das habe ich vor ein paar Tagen getan. Das Ganze läuft vorwiegend per App am Handy. Und da kommen wieder die Derivate ins Spiel.

Schuppdiwupp stößt man auf ein Erklärvideo

Denn wenn man bei Scalable Capital irgendwo falsch draufdrückt, weil der Daumen zu breit ist, oder sich einfach noch nicht so gut auskennt und erst mal stupide durch die Gegend klickt, jubelt einem die App schwuppdiwupp ein kleines Erklärvideo unter. So beiläufig, wie Eltern ihren Kindern Gemüsescheiben auf die Pizza schmuggeln. Man kann gar nicht so schnell gucken, schon ist es passiert.

Mir schlug die App vor: „Derivate einfach erklärt“, ein zehnminütiges Video mit Nicolas Zeitler. Ich wollte zwar gar nicht wissen, was ein Derivat ist. Klingt ja auch sterbenslangweilig und kompliziert. Aber Nicolas Zeitler sieht ganz gut aus, da kann man schon mal kurz draufklicken.

Kleine Wissenssnacks in der App

Nach den ersten zwei Minuten des Videos merkte ich: Die Grundidee hinter Derivaten ist gar nicht so kompliziert. Andere Beispiele für kleine Wissenssnacks in der App heißen „Neuheiten und Trends aus der Welt der ETFs“, ein Text, dessen Lektüre – auch das wird sehr nutzerfreundlich angekündigt – mich 14 Minuten kosten würde. Oder „Ohne Aktien wird schwer“, ein Podcast, Hördauer zwölf Minuten.

Ich will hier keine Werbung machen. Aber tatsächlich stimmt mich die Erfahrung mit der Aktien-App optimistisch. Geld zu investieren ist mit der Anwendung (von deren Sorte es heutzutage zahlreiche gibt) einfach, schnell und niederschwellig. Und gerade jüngere Leute nutzen diese Möglichkeit. Es hieß ja lange, Deutschland sei kein Anlegerland und der Anteil an Aktionären hierzulande geringer als in vielen anderen Staaten.

Gibt es wieder den Telekom-Effekt?

In diese Sache scheint aber Bewegung zu geraten. Das Deutsche Aktieninstitut spricht in einer Erhebung vom „Jugendboom“. Im Jahr 2022 investierten demnach 600 000 Menschen unter 30 Jahren in Aktien, eine Steigerung um 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch die Gruppe unter 40 Jahren investiert mehr als früher. Als Gründe dafür nennt eine andere Studie des Instituts unter anderem „intuitive Smartphone-Apps“ und „Finanz-Influencer“. Ich bin ein gutes Beispiel dafür. Auf die Idee, einen ETF-Sparplan zu machen, kam ich erst durch den Stuttgarter Finanzinfluencer Florian Wagner.

Wenn mehr Deutsche cleverer sparen und ihre Kohle nicht mehr massenhaft auf dem Sparbuch parken, wo es wenig Zinsen gibt, klingt das nach einer guten Entwicklung. Wie immer ist es aber komplizierter. Manche sehen nämlich die Gefahr, dass dieser Trend alles andere als nachhaltig ist. Dass die ganzen Kids während Corona gelangweilt zu Hause festhingen und nur deshalb Aktien gekauft haben, ohne Strategie. „Das war leider eher im Sinne eines Glücksspiels und nicht im Sinne eines langfristigen Vermögensaufbaus“, sagte zum Beispiel Alexandra Niessen-Ruenzi, eine Professorin an der Uni Mannheim, vor zwei Jahren der Redaktion von Tagesschau.de. Und sie sieht eine noch größere Gefahr. Ihre These: So mancher Jungaktionär dürfte wegen Kursschwankungen nach Beginn des Ukraine-Krieges Geld verloren haben. Das könnte junge Leute abschrecken. „Was man jetzt aus finanzwirtschaftlicher Sicht befürchtet, ist so eine Art Telekom-Effekt. Nach dem Motto: Ein gebranntes Kind scheut das Feuer“, so die Wissenschaftlerin bei Tagesschau.de.

Wie sich das Ganze langfristig entwickelt, lässt sich erst in der Zukunft sagen. Ich sehe zumindest den positiven Effekt, dass junge Menschen sich durch Broker-Apps überhaupt einmal mit dem Thema auseinandersetzen und so zumindest ein paar Happen Finanzmarktwissen mitnehmen, an die sie sonst nicht gekommen wären. Ich erwäge zum Beispiel, während meiner nächsten Laufrunde tatsächlich bei „Ohne Aktien wird schwer“ reinzuhören. Wer weiß, vielleicht begegnen mir da ja auch wieder meine neuen Freunde, die Derivate.