ETFs, Sparpläne, finanzielles Ungleichgewicht, Gender-Pay-Gap, Aktien, Schulden, wer kauft was und wie privilegiert sind wir eigentlich? Während unseres Interviews haben sich Themengebiete aufgetan, die man eher mit seine:r Bankberater:in besprechen würde, als bei Rahabarberschorle im Café. Für Lia und Tilo sind solche Gespräche allerdings ganz normal, wobei die beiden Stuttgarter sofort feststellen, dass sie gar nicht so oft über das liebe Geld reden würden.
Die 28-Jährige und der 29-Jährige betreiben seit Oktober 2020 den Blog und Instagram-Account "Finanzliebe", der sich mit Finanzen in der Beziehung, Investieren, Frugalismus und Nachhaltigkeit beschäftigt. "Wir haben das gleiche Interesse und haben uns schon früh in unserer Beziehung mit Geld auseinandergesetzt", erzählt Lia. Die Stuttgarterin arbeitet hauptberuflich bei Daimler als IT-Projektmanagerin, ihr Freund Tilo ist Innovationsmanager bei der LBBW.
Boom auf Finanz-Influencer:innen
Dass die beiden auf einem Trendzug fahren, wird klar, wenn man sich im Netz umschaut: Waren Geldanlagen und private Altersvorsorge lange kein Thema für junge Menschen, zeigt der momentane Boom auf Finanz-Influencer:innen, die auf YouTube, Instagram oder TikTok erklären, wie die Finanzwelt funktioniert, dass das Interesse an Finanzthemen so hoch wie schon lange nicht mehr ist. Auch die Corona-Krise hat ihren Anteil dazu beigetragen: Seit der Pandemie engagieren sich so viele Menschen an der Börse wie seit 20 Jahren nicht mehr. Und vor allem die junge Generation der Unter-30-Jährigen will investieren: Im Jahr 2020 legten fast 600.000 junge Erwachsene ihr Geld an der Börse an - das ist ein Plus von 67 Prozent.
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Auch Lia und Tilo versorgen ihre Community mit Tipps - und haben sich auf das Themengebiet "Liebe und Finanzen" spezialisiert. Denn das Thema Finanzen ist in Beziehungen eigentlich allgegenwärtig - schon bei der ersten Verabredung kommt es irgendwann zur Frage: Wer zahlt? Finanzen waren auch bei den beiden Stuttgartern von Anfang an ein Thema, wie Lia erzählt: "Wir sind zusammen in den Urlaub gefahren, bevor wir richtig zusammen waren. Tilo war der Beifahrer und hat einen Finanz-Podcast eingeschaltet. So kamen wir auf das Thema - und auch auf meine Spar- und Anlage-Techniken."
Worum geht es bei Streits um Geld?
Warum streiten so viele Paare, wenn es um Geld geht? Und worum geht es dabei wirklich? Eine Forsa Umfrage zeigte, dass es für 42 Prozent der Deutschen ein Trennungsgrund wäre, wenn der Partner oder die Partnerin nicht gut mit Geld umgehen und haushalten könnte. "Geld ist ein Stellvertreter für Kontrolle und Macht, aber auch für Ängste und Sorgen", erklärt Tilo. Er denkt, dass es problematisch ist, wenn man diese Dinge nicht thematisiert und es sich lohnt, dass man offen in den Austausch geht. Dem kann Lia nur zustimmen: "Gerade wenn man über Geld streitet, geht es in den meisten Fällen gar nicht um die Finanzen, sondern um Themen, die viel tiefer liegen." Lia spricht unterschiedliche Lebensstile und Prioritäten an und plädiert dafür, dass man Verständnis aufbringen muss. "Man sollte sich in die andere Perspektive reinversetzten und überlegen, was wem wichtig ist", pflichtet ihr Tilo bei.
Von der Redewendung "Über Geld spricht man nicht" halten die beiden so gar nichts. Lia und Tilo haben schon von Beginn an offen über Geld gesprochen und offengelegt, wie viel sie verdienen. "Ob es Neuanschaffungen oder Flüge sind - wenn man zusammen lebt oder in den Urlaub fährt, muss man ständig Konsumentscheidungen treffen und Kompromisse finden", sagt Tilo. Bewusster Konsum ist für beide wichtig, da sie dadurch sparen und im Anschluss wieder investieren können. "Wir hinterfragen, was uns wichtig ist und langfristig glücklich macht. Brauchen wir Markenklamotten und ein Auto, obwohl wir in der Stadt wohnen, oder wollen wir lieber mehr in den Urlaub fahren?", erklärt Lia die Strategie des Paares.
Komplexe Themen, einfach erklärt
Mit ihrem Instagram-Auftritt erreichen die beiden primär Frauen. Die beiden setzen wenig Wissen voraus, geben lebensnahe Tipps, vermeiden Fachsprache und schlüsseln komplexe Themen einfach auf. Von Sparplänen über Ökostrom bis zum Finanz-Bullshit-Bingo - Lia und Tilo haben sich vieles angelesen und recherchiert. "Ich sehe es als Chance, da wir bei der Vorbereitung auch viel lernen und Themen intensiver durchdringen", erklärt Tilo.
Viele wissen gar nicht, wie viel der oder die Partner:in verdient oder auf dem Konto hat, so Lia. "Wir haben gemerkt, dass Geld in der Partnerschaft ein großes Tabu-Thema ist, das nicht allen so leicht fällt. Das war unsere Motivation, darüber etwas auf Instagram zu machen", erklärt die 28-Jährige. Dabei war es den beiden auch wichtig, den Blog und ihre Posts auch visuell ansprechend zu gestalten. Lia engagiert sich auch beim Foodsharing und legt Wert darauf, dass bei ihren Beiträgen auch rüberkommt, dass ihr Leben nicht nur aus Finanzen besteht. "In unserem Alltag nimmt es tatsächlich wenig Zeit in Anspruch", so Lia. Und wie teilen sich die beiden ihre Finanzen auf? "Jeder hat sein eigenens Geld und kann damit machen, was er will", so Lia. Die beiden haben neben ihrem jeweilgen Konto ein gemeinsames, auf das sie monatlich einen festgesetzten Betrag überweisen, der prozentual nach Netttohaushaltseinkommen aufgeteilt wird. Da die beiden sehr ähnlich verdienen und keine Kinder haben, macht den beiden das keine Probleme.
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"Wir sind sehr privilegiert", gibt Tilo zu. Die beiden wissen, dass finanzielle Ungleichheit und die Gründung einer Familie die Einkommenssituation verändern können. Frauen verdienen in Deutschland immer noch 18 Prozent weniger als Männer, ihnen fehlen durch Care-Arbeit wichtige Jahre für ihre Rente, zwischen Mitte 30 und Ende 40 arbeiten weniger als die Hälfte der Frauen in Vollzeit. "Man sollte einen Ausgleich schaffen und die Person, die für die Familie zurücksteckt, bei den Rentenbeiträgen unterstützen und kompensieren", so Lia. Auch für Kinder sollte man schon frühzeitig sparen. "Legt man ab der Geburt regelmäßig Geld weg und investiert es, kann sich durch den Zinseszins über diesen langen Zeitraum eine ordentliche Summe ansammeln", so Tilo.
Gab es schon mal Streit oder Meinungsverschiedenheiten bei den beiden? "Ein klassisches Beispiel war unser Fernseher", erzählt Tilo lachend. Der 29-Jährige wollte einen neuen, größeren Fernseher, Lia war es egal, denn der alte passte ihr eigentlich. Schließlich einigten sich die beiden und Lia zahlte nur ein Viertel für die Neuanschaffung. Am Ende ist die Zahl auch nicht entscheidend, wie Tilo bemerkt. "Es muss sich für beide richtig anfühlen."