An den Börsen herrscht durch die Niedrigzinspolitik Hochstimmung. Doch viele Deutsche scheuen diese Form der Anlage und verkennen die Chancen. Was hierzulande Tradition hat, ist anderswo undenkbar.

Frankfurt/Main - Die Kurse steigen und steigen. In Amerika hat der Dow-Jones zum ersten Mal in seiner 135-jährigen Geschichte die Marke von 17 000 Punkten überschritten. Und auch das deutsche Börsenbarometer Dax hat ein historisches Hoch erreicht. An Aktien, so scheint es, kommt kein Anleger vorbei.

 

Die Wirklichkeit aber sieht anders aus. Noch immer vertrauen die meisten Bundesbürger ihr Geld dem Sparbuch oder anderen vermeintlich sicheren Anlageformen an. Dabei wissen sie genau, dass sie kaum Zinsen bekommen, dass selbst die niedrige Preissteigerungsrate den Wert ihres Ersparten auffrisst. Und selbst die Profis stöhnen, allen voran die Lebensversicherungen, die nicht wissen, wie sie in dem anhaltenden Niedrigzinsumfeld die Renditen erreichen sollen, die sie ihren Kunden versprochen haben und die diese auch brauchen, wenn sie sich ein auskömmliches Polster für das Alter aufbauen wollen.

Die Argumente für die Aktie finden kaum Beachtung

Aber auch ohne die niedrigen Zinsen und die fehlenden Alternativen sind die Deutschen schon immer Aktienmuffel gewesen. Nicht einmal neun Millionen Menschen sind direkt oder indirekt am Aktienmarkt angedockt. In den USA ist dagegen mehr als jeder zweite Haushalt über Firmenanteile an der Wirtschaft beteiligt, auf dem Höhepunkt des Internetbooms waren es sogar 67 Prozent. Das liegt am Sicherheitsbedürfnis der Bundesbürger, sagen die Skeptiker und verweisen darauf, dass allein in den vergangenen 15 Jahren die Aktienkurse zweimal kräftig in den Keller gerauscht sind. Selbst beim Blick auf einzelne Aktien finden sich gute Beispiele für diese „Sicherheitsperspektive“ – viele Telekom-Aktionäre fragen sich auch heute noch, wann sie denn das Geld zurückbekommen, das sie etwa bei einer der drei Ausgaberunden der „Volksaktie“ investiert haben.

Die Argumente, die für eine Aktienanlage sprechen, finden dagegen kaum Beachtung. Noch immer wird die Aktie von vielen Bundesbürgern als Spekulationspapier angesehen. Dabei gibt es eigentlich kaum ein anderes Finanzinstrument, das im Grunde so eng mit der realen Wirtschaft verbunden ist. Ein Aktionär beteiligt sich an einem Unternehmen. Wer gerne BMW oder Mercedes fährt und dem Management zutraut, dass es auch künftig gute Autos bauen lässt, der kann mit einer Aktie an dieser Zukunft teilhaben. Und sollte sich die Arbeit der Manager in die falsche Richtung entwickeln, kann er seine Aktie immer noch verkaufen. Aktienbesitz setzt aber Geduld voraus. Nicht jeder Kursrückgang ist gleich ein Signal zum Verkauf. Die Statistik spricht eine eindeutige Sprache: Seit dem Fastkollaps des Finanzsystems nach der Lehman-Pleite 2008 hat der Deutsche Aktienindex (Dax) mehr als 150 Prozent an Wert gewonnen, eine traumhafte Rendite. Doch der Blick in die Vergangenheit bringt wenig, das wissen die deutschen Sparer. Und daher fragen sie sich durchaus zu Recht, ob sie den richtigen Zeitpunkt für den Einstieg verpasst haben. Sicher, die deutsche Wirtschaft hat sich in den diversen Krisen der vergangenen Jahre als äußerst robust erwiesen. Das haben vor allem ausländische Investoren erkannt – was sich daran zeigt, dass mehr als die Hälfte des Kapitals der deutschen Dax-Konzerne im Besitz ausländischer Aktionäre ist. Aber ist das Kursniveau jetzt nicht zu hoch? Sind Steigerungen überhaupt noch möglich?

In Deutschland fehlen die Anreize

Andersherum müsste die Frage aber lauten: Welche Alternative gibt es? Mehr als 70 Prozent des privaten Vermögens haben die Bundesbürger Versicherungen oder Banken anvertraut oder horten es als Bargeld. Sie haben darauf vertraut, dass die Profis dafür sorgen werden, dass sich ihr Vermögen zumindest nicht verkleinert. Doch inzwischen hat sich die Situation gewandelt, sich mehr und mehr amerikanischen Verhältnissen angepasst. Die Amerikaner müssen seit Jahrzehnten selbst dafür sorgen, dass sie neben der staatlichen Altersvorsorge privates Kapital aufbauen. Das erklärt den hohen Aktienanteil in den USA, wo sich lange Zeit die Pensionsfonds um die betriebliche Altersvorsorge gekümmert haben, seit den 80er Jahren aber auch den Mitarbeitern mehr Verantwortung aufgetragen wurde. In Deutschland dagegen fehlt es an Anreizen. Auch die Unternehmen tun zu wenig, um sich der Bevölkerung als Anlageobjekt anzubieten. Dadurch bleibt der Eindruck, dass die Börse doch nur etwas für Profis ist, die unter sich die besten Preise aushandeln.