Graumarktanlagen geraten vor allem in die Schlagzeilen, wenn ein Konstrukt pleite geht. Das passiert mit unschöner Regelmäßigkeit. Eine Studie offenbart die Abgründe.

Grau und schwarz liegen nicht nur auf der Farbskala nahe beieinander. „Die schwarzen Schafe sind in der Überzahl, das ist ein systemisches Problem am Grauen Kapitalmarkt“, sagt Stefan Loipfinger. Er ist als Ex-Fondsanalyst ein Anlagexperte und hat für den Verbraucherzentrale Bundesverband (Vzbv) gerade eine 331-seitige Studie zu Graumarktprodukten gemacht. Das sind legale, aber relativ schwach regulierte und mäßig beaufsichtige Finanzprodukte, die oft mit hohen Renditen locken, entgegen vieler Versprechungen aber sehr riskant sind. Am Ende stehen nicht selten große Anlegerpleiten. „Wir sehen, dass das nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist“, warnt Vzbv-Expertin Dorothea Mohn.

 

Untersucht hat Loipfinger die zehn größten Anbieter grauer Vermögensanlagen zwischen 2015 und 2020, die mit 4,3 Milliarden Euro Anlagevolumen gut zwei Drittel des gesamten Graumarkts umfassen. Mit den Schiffscontainerfirmen P&R sowie Magellan und UDI sind drei mittlerweile ganz oder in Teilen insolvent. Anleger haben dabei mehrere Milliarden Euro verloren.

Im Pleitefall bis zum Totalverlust haftende Anleger

Loipfinger erkennt wiederkehrende Muster und ein System. Da seien auf der einen Seite im Pleitefall bis zum Totalverlust haftende Anleger, die ihr Geld per Nachrangdarlehen oder ähnlichen Konstrukten investieren. Das treffe auf weitreichendes Fehlen echter Kontrolle. „Diese Kombination führt anhaltend zu Problemen und die werden nicht weniger“, bedauert Loipfinger.

Graumarktprodukte unterliegen zwar dem Vermögensanlagengesetz. In dessen Rahmen prüft die Finanzaufsicht Bafin aber nur formale Kriterien von Verkaufsprospekten, mit denen die Produkte angeboten werden. Ob eine Anlage unrealistisch kalkuliert ist und nicht zu Gewinnen führen kann, ist nicht Teil der Prüfung. Das Gesetz sei nach Anlegerpleiten im Grundsatz zwar verschärft worden, so Loipfinger. Dann habe die Finanzlobby aber dafür gesorgt, dass ein hartes Gesetz durch weiche Formulierungen Schlupflöcher bekommt. „Man darf aber keine Schlupflöcher zulassen“, betont der Experte.

Für Normalanleger sei es sehr schwer, die Risiken von Graumarktprodukten mit ihren oft langen Laufzeiten richtig einzuschätzen. Sie werden nicht wie Aktien oder Anleihen reguliert gehandelt. Das macht sie zum einen faktisch unverkäuflich. Zum anderen gibt es keine Marktpreise, die Rückschlüsse auf das Risikopotenzial zulassen. Vor allem aber würden Graumarktprodukte oft Sicherheit in Form von Sachwerten versprechen, die nicht existieren, warnt Loipfinger.

Leere Unternehmenshülle

Das funktioniert so: Anlegergeld wird in sogenannten Zweckgesellschaften gesammelt, die das Kapital an eigentlich wirtschaftlich handelnde Projektgesellschaften weiterleiten. Erst die erwerben dann Sachwerte wie Schiffe, Container oder Immobilien. Anleger finanzieren damit oft nur eine leere Unternehmenshülle in Form der Zweckgesellschaft und haben kein Eigentum an den in den Projektgesellschaften ruhenden Sachwerten, obwohl genau dieses angebliche Eigentum bei der Vermarktung der riskanten Produkte im Fokus steht.

Erschwerend hinzu kommen extrem niedrige Eigenkapitalquoten der Projektgesellschaften von teils unter 0,1 Prozent. Im Pleitefall werden Anleger über ihr Nachrangdarlehen an die Zweckgesellschaft zu oft vollständig Geschädigten. Sollten die Geschäfte einmal unerwartet gut laufen, partizipieren Anleger daran in der Regel nicht, weil ihre Rendite auf einen festen Darlehenszins fixiert ist. Potenzielle Übergewinne werden auf diese Weise durch die Initiatoren der Anlage privatisiert, Verluste im Insolvenzfall über die Anlegerschaft sozialisiert.

„Die begrenzten Chancen der Anleger stehen häufig in keinem Verhältnis zu den bis hin zum Totalverlust des eingesetzten Kapitals reichenden Risiken“, urteilt Loipfinger in der Studie. Schon 2016 haben Verbraucherzentralen Werbung am Grauen Kapitalmarkt auf Transparenz hin untersucht. Im Ergebnis wurden in 77 von 91 Fällen die Vorteile einseitig hervorgehoben oder die Risiken verharmlost.

Radikaler Schnitt gefordert

Verbraucherschützer fordern nun einen radikalen Schnitt. „Die Politik muss den Verkauf von unregulierten und damit risikoreichen Angeboten verbieten“, fordert Mohn im Namen des Vzbv. Auch Loipfinger ist nach gescheiterten Reparaturversuchen in jüngster Vergangenheit skeptisch. „Ich sehe keine große Chance, das System so zu reformieren, dass es funktioniert“, so der Experte. In ihrem Koalitionsvertrag hat die Regierung zwar festgelegt, dass die Bafin Regulierungslücken am Grauen Kapitalmarkt identifizieren soll. Neue Insolvenzen verhindern könne das aber nicht, fürchten Verbraucherschützer. „Von fünf heute aktiven Graumarktanbietern werden in zehn Jahren vier vom Markt verschwunden sein, die meisten davon weil sie pleite sind“, warnt Loipfinger. Der Vzbv fordert deshalb, das Haftungsprinzip am Grauen Kapitalmarkt konsequent durchzusetzen. Haften müssten künftig tatsächlich für Pleiten verantwortliche Personen und Gesellschaften, nicht künstliche Konstrukte, bei denen nichts zu holen ist.

Grauer Kapitalmarkt

Finanzprodukt
Der Graue Kapitalmarkt ist eine deutsche Besonderheit, die sonst EU-weit nur noch in Österreich existiert. Dort gehandelte Finanzprodukte sind in Abgrenzung zum weißen Kapitalmarkt zu sehen, auf dem weit strenger kontrollierte Anlagen von Banken oder Versicherungen angeboten werden. Graumarktprodukte dagegen sind zwar in Deutschland gesetzlich erlaubt, aber unzureichend reguliert und oft hochriskant. Jedes Jahr fließt eine halbe bis eine ganze Milliarde Euro neu in dieses graue Anlagesegment, schätzen Experten.

Kontrollrechte
Für Anleger existieren kaum Kontroll-, Informations- oder Mitspracherechte. Bei der Beurteilung des wirtschaftlichen Erfolgs von Anlageprojekten müssen sich Verbraucher auf oft wenig aussagekräftige Jahresbericht verlassen. Sachwerte werden regelmäßig zwischen verflochtenen Gesellschaften zu Preisen ohne Marktbezug verkauft. Das ist geeignet, Werte aufzublähen, ohne dass ein Normalanleger das erkennen kann. Bei solchen Produkten müssen Verjährungsfristen für Falschberatung mindestens auf 20 Jahre verdoppelt werden, fordert der Vzbv.