Die Banken schaffen mit der Kreditvergabe Geld. Das ist Kritikern ein Dorn im Auge. Sie suchen nach Wegen, die Geldschöpfung unter Kontrolle zu bringen.

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Stuttgart - Rechtsanwalt Hans Scharpf befindet sich im Streik. Im Schuldenstreik, wie er sagt. Scharpf bedient seine Kredite nicht mehr, schon seit über zwei Jahren. Im Sommer 2012 kündigte er der Commerzbank und der Frankfurter Sparkasse an, Zins- und Tilgungszahlungen einzubehalten. Begründung: Die Banken hätten das verliehene Geld überwiegend „mittels Computer aus dem Nichts erzeugt“. Damit seien den Instituten für die Bereitstellung der Kredite kaum Kosten entstanden, argumentierte Scharpf.

 

Der nach diesem Auftaktschreiben entstandene Briefwechsel ist auf der Website http://geldhahn-zu.de dokumentiert und liest sich recht amüsant. Denn Scharpfs Kernaussage haben die beiden Banken nichts entgegenzusetzen: Bei der Vergabe eines Kredits entsteht tatsächlich frisches Geld. Die weit verbreitete Vorstellung, dass Banken nur Beträge verleihen können, die sie zuvor selbst geborgt haben oder mit Einlagen der Sparer refinanzieren, ist falsch. Das bestätigt auch die Bundesbank, die auf ihrer Website Fragen zu dem Thema beantwortet: „Für eine Kreditvergabe ist eine Bank nicht darauf angewiesen, dass ihr zuvor Spar- oder sonstige Einlagen zugeflossen sind“, heißt es dort.

Die Rückzahlung erfolgt mit richtigem Geld

Die Banken können vielmehr selbst Geld schöpfen. Das funktioniert so: Bei der Vergabe eines Kredits wird der fragliche Betrag dem Girokonto des Darlehensnehmers gutgeschrieben. Gleichzeitig verbucht die Bank den Anspruch auf Rückzahlung des Kredits als Forderung in ihrer Bilanz. Der Darlehensnehmer muss am Ende also tatsächlich Geld zurückzahlen, das die Bank am Computer erschaffen hat.

Allerdings sind der Geldschöpfung gewisse Grenzen gesetzt. Erstens müssen Geschäftsbanken zur Absicherung ihrer Einlagen eine Reserve bei der Zentralbank hinterlegen. Sie beläuft sich gegenwärtig auf ein Prozent der Summe aller Einlagen mit einer Laufzeit bis zwei Jahren. Diese Reserve können die Institute nur durch Kredite der Zentralbank abdecken, für die sie wiederum Sicherheiten leisten müssen. Zweitens: Weil ihre Kunden einen Teil ihres Geldes in bar abheben, müssen die Banken Papiergeld bereithalten – das nur die Zentralbank ausgeben kann. Außerdem müssen die Geldhäuser Eigenkapital vorhalten, um etwaige Kreditausfälle abzufedern. Je mehr Kredite eine Bank vergibt, desto mehr Eigenkapital – also Gewinnrücklagen oder Einlagen von Gesellschaftern beziehungsweise Aktionären – muss sie als Sicherheitspuffer zurücklegen.

Auch die Finanzprofis rufen nach Reformen

Obendrein können die Notenbanken durch ihre Zinspolitik die Nachfrage nach Krediten beeinflussen – also beispielsweise durch eine Zinserhöhung die Vergabe von Darlehen und damit auch den Anstieg der Geldmenge eindämmen. Doch vor der Finanzkrise hat dieser Mechanismus offenkundig versagt: Die Blase am US-Immobilienmarkt und die Schuldenexzesse im Euroraum wurden durch niedrige Zinsen getrieben. Auf die Krise reagierten die Notenbanken wiederum mit Zinssenkungen.

Die Geldschöpfung durch die Banken gerät deshalb zunehmend in Kritik. Rufe nach einer grundlegenden Reform kommen längst auch von Finanzprofis: Schon 2009 forderte Thorsten Polleit, damals Chefvolkswirt der Deutschland-Tochter von Barclays Capital, einen neuen Goldstandard: Die bei Banken gehaltenen Geldbestände sollten in einem festen Verhältnis an die Goldreserven der Notenbanken gekoppelt werden. Eine solche Umstellung wäre allerdings „mit drastischen Umverteilungswirkungen verbunden“, räumt Polleit in seinem Buch „Geldreform“ ein: Gewinner wären alle, die bereits Gold besitzen. Alle sonstigen Guthaben wären gemessen daran nur wenig wert, weil die Geldmenge im Verhältnis zu den Goldreserven in den vergangenen Jahrzehnten explodiert ist.

Es geht auch ohne Gold

Andere Reformkonzepte verzichten auf Gold. Schon 1933 entwarfen US-Ökonomen als Antwort auf die damalige Weltwirtschaftskrise den sogenannten „Chicago- Plan“. Sie wollten den Banken auferlegen, alle ihre Einlagen zu 100 Prozent durch Reserven bei der Zentralbank abzusichern. Vor zwei Jahren wurde dieses Konzept von Experten des Internationalen Währungsfonds (IWF) wieder ausgegraben, die es mit kleinen Änderungen auch heute noch für praxistauglich halten. Die Analyse der beiden IWF-Mitarbeiter, Michael Kumhof und Jaromir Benes, gibt zwar nur deren persönliche Meinung wieder – immerhin wurde sie aber auf der Website des Währungsfonds veröffentlicht.

An den Chicago-Plan angelehnt ist auch das Vollgeld-Konzept des deutschen Wirtschaftssoziologen Joseph Huber. Wie die US-Ökonomen plädiert der Professor aus Halle dafür, die Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken zu verbieten und sie allein der Zentralbank zu überlassen. Dazu sollten laut Huber ab einem Tag X alle Einlagen bei Geschäftsbanken zu Verbindlichkeiten gegenüber der Zentralbank erklärt werden – so als hätten die Institute das Geld ursprünglich von der Zen-tralbank erhalten. Rückzahlungen aus laufenden Krediten müssten die Banken nutzen, um diese Verbindlichkeiten bei der Zentralbank zu tilgen. Deren Einnahmen sollen zum Abbau der Staatsschulden verwendet werden.

Thomas Mayer misstraut dem Staat

Neue Darlehen dürften Geschäftsbanken nur noch vergeben, soweit diese durch speziell für diesen Zweck freigegebene Anlagegelder von Kunden oder durch Kredite anderer Banken gedeckt sind. Die Geldschöpfung läge allein in den Händen der Zentralbank, die sich dabei nach dem erwarteten Wirtschaftswachstum richten soll. Das neu geschaffene Geld würde die Notenbank der Regierung zur Verfügung stellen, die gemeinsam mit dem Parlament über seine Verwendung entscheidet. Durch die öffentlichen Ausgaben würde das neue Geld dann in Umlauf gebracht.

Dadurch würde „der Bock zum Gärtner gemacht“, fürchtet Thomas Mayer. „Schließlich hat sich der Staat im Laufe der Geschichte als notorischer Geldverschwender erwiesen.“ Der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank schlägt in seinem Buch „Die neue Ordnung des Geldes“ deshalb eine etwas andere Lösung vor: Die Zentralbank sollte neues Geld direkt den Bürgern in die Hand geben, in Form einer Gutschrift auf deren Konten. Erhöhen sollte sie die gesamte Geldmenge allerdings jährlich nur um ein bis zwei Prozent, gemäß „dem geschätzten Anstieg des Produktionspotenzials“.

Das Geldvolumen für Kredite würde sinken

An diesem Punkt setzt die Kritik an den Reformkonzepten an. So warnt Beat Weber, ein Experte der Österreichischen Nationalbank: „Durch die Zentralisierung der Geldschöpfung würden behördliche Entscheidungen eine Vielzahl an Risikoeinschätzungen in der Gesellschaft ersetzen.“ Im bisherigen System der Geldschöpfung durch die Banken erhalte einen Kredit schließlich nur, wer auch Aussicht auf eine Rückzahlung biete. Die gesamtwirtschaftliche Geldmenge sei damit „Resultat eines Prozesses der dezentralen Überprüfung von Investitionsplänen und sonstigen Finanzierungsbedürfnissen auf ihre Solidität“. Um diesen Prozess zu ersetzen, müsste die Zentralbank eine Unmenge an Informationen erheben und auch Kreditzwecke prüfen, schreibt Weber. Ein weiterer Einwand: Bei Umsetzung der Reformvorschläge würde das für Kredite bereitstehende Geldvolumen erheblich sinken. Denn die Vollgeld-Befürworter treten genau wie Gold-Fan Polleit dafür ein, dass die Banken für die Darlehensvergabe nur noch Beträge nutzen dürfen, die von ihren Kunden explizit dafür freigegeben wurden. Als Anreiz dafür erhielten sie Zinsen.

Nach Auffassung des Notenbank-Experten Weber müssten diese allerdings beträchtlich sein – denn Sparer, die einen Teil ihrer Guthaben für die Kreditvergabe zur Verfügung stellen, gingen das Risiko hoher Verluste ein. Obendrein könnte die Zentralbank auf „jede unerwartete Erhöhung der Geld- beziehungsweise Kreditnachfrage“ nur mit Verzögerung reagieren, was zu Zinsschwankungen führen und die Unsicherheit für Investitionen erhöhen würde. Vollgeld-Befürworter Huber hält es dagegen für möglich, dass die Zentralbank durch Beobachtung von Finanz- und Wirtschaftsindikatoren fortlaufend den Geldbedarf abschätzt und „mit einem zeitlichen Vorlauf stets für einen ausreichend großen Geldmengenzuwachs“ sorgt.

Warten auf die nächste Krise

Bleibt die Frage: Wer kontrolliert die in einem solchen System nahezu allmächtige Zentralbank? Nach Huber soll sie zu einer Art vierten Gewalt neben Exekutive, Legislative und Judikative erhoben werden. Diese „Monetative“ wäre „niemandem weisungsgebunden, aber rechenschaftspflichtig“. Der US-Ökonom Kenneth Rogoff hält die Schaffung einer solchen „Staatsbank mit Super-Monopol“ für bedenklich. Dennoch, schreibt Rogoff mit Blick auf den Chicago-Plan, also die Blaupause für viele moderne Reformvorschläge: „Im Prinzip gibt es keinen Grund, warum ein solches System in unserer Zeit nicht funktionieren sollte.“ Die Frage sei eher, ob die gegenwärtige Lage die Risiken einer radikalen Reform tatsächlich rechtfertige. Querdenker Mayer beantwortet diese Frage so: „Die Reform ist noch eine Krise von uns entfernt.“