Vor allem kleinere Gemeinden in der Region Stuttgart nutzen einen seit Mai 2017 gültigen Ausnahmeparagrafen, der von Umwelt- und Bauerverbänden kritisiert wird. Hebt Berlin die Befristung bis Ende 2019 auf?

Stuttgart - Vor dem nächsten Spitzentreffen der baden-württembergischen Wohnraum-Allianz am Montag sieht der Verband Region Stuttgart bei den Wohnbauaktivitäten einen Silberstreifen am Horizont. „Wir stellen vermehrt Aktivitäten der Kommunen bei der Ausweisung von Bauland fest“, sagt Planungsdirektor Thomas Kiwitt, der aber noch nicht von einer Trendwende auf dem angespannten Wohnungsmarkt rund um Stuttgart sprechen will. Wie die Menschen in der Region wohnen, zeigen wir in der zwölfteiligen Serie „Wohn(t)räume“, die heute beginnt.

 

Auffällig ist, dass sich viele Gemeinden auf den seit Mai 2017 bundesweit gültigen Paragrafen 13b des Baugesetzbuches berufen. Er ermöglicht ein weniger aufwändiges Genehmigungsverfahren für kleine Wohnbauflächen am Ortsrand ohne formale Umweltprüfung. Auch müssen keine naturschutzrechtlichen Ausgleichsflächen nachgewiesen werden. Nach einer Erhebung dieser Zeitung haben sich seit September mindestens 17 Kommunen der Region auf die Ausnahmeregelung berufen. Gebaut werden sollen fast 360 Wohneinheiten.

Planungschef spricht von Allzweckwaffe

„Wir stellen ein großes Interesse vor allem kleinerer Kommunen fest: der Paragraf 13b wird zur Allzweckwaffe“, bestätigte Kiwitt, der erwartet, dass die bis 2019 befristete Ausnahmeregelung noch weiter Verbreitung findet. „Das Interesse ist sehr hoch“, sagt auch Lidija Schwarz-Dalmatin vom Gemeindetag, „die Regelung wird gut angenommen“. Landesweit gibt es laut dem für Wohnungsbau zuständigen Landeswirtschaftsministerium keinen „systematischen Überblick“. Allerdings werde das Instrument „häufig“ genutzt, „vor allem von kleineren Gemeinden“. Das liege auch daran, dass die Regelung auf kleinere Wohngebiete bis 10 000 Quadratmeter beschränkt ist.

Allerdings ist die Zukunft des Paragrafen offen. Ob es eine Verlängerung geben wird, ist strittig. „Das beschleunigte Bebauungsplanverfahren für den Wohnungsbau werden wir evaluieren und gegebenenfalls weiterentwickeln“, steht dazu im Koalitionsvertrag von CDU und SPD.

Naturschutzverbände beschweren sich bei der EU

Widerspruch löst die Regelung bei Naturschutzverbänden und der Landwirtschaft aus. Sie haben eine Beschwerde an die EU gerichtet, weil sie einen Verstoß gegen europarechtliche Vorschriften beim Naturschutz vermuten – bisher ohne Reaktion. „Die Landwirtschaft wird weiter zurückgedrängt“, sagt Michael Schulz vom Landesbauernverband, Betriebe am Ortsrand kämen in Schwierigkeiten. Noch schärfer fällt die Kritik der Umweltverbände aus, die den zusätzlichen Flächenverbrauch geißeln. „Das Naturschutzrecht wird eingedampft“, sagt Klaus-Peter Gussfeld vom BUND. Zudem sei der Paragraf 13b kontraproduktiv. „Gebaut wird, was wir nicht brauchen“, meint er, „nämlich freistehende Einfamilienhäuser und kein Geschosswohnungsbau für preiswertes Wohnen“. Das sieht auch Hans-Peter Kleemann vom Naturschutzbund so. Zudem werde durch die Bebauung am Ortstrand und in kleinen, zentrumsfernen Kommunen noch mehr Verkehr in den Zentren erzeugt. „Das ist ein unintelligentes, aber wirtschaftskonformes Verhalten“, sagt Kleemann.

Gibt es vom Land finanzielle Anreize?

Am Montag wird Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut auch das neue Wohnungsbauförderprogramm des Landes vorstellen. Nach der Planungserleichterung durch 13b können Kommunen dann auch mit einer Förderung rechnen. Als „bundesweit einmalige Maßnahme“, so Hoffmeister-Kraut nach letzten Sitzung der Allianz im Oktober, sei an finanzielle Anreize für Städte und Gemeinden gedacht, die Flächen für den sozial orientierten Wohnungsbau bereitstellen.