Der Kirchberger Gemeinderat hat einen Antrag auf türkischen Zusatzunterricht in den Räumen der Grundschule abgelehnt. Die Räte fürchten eine Indoktrination der Kinder. Der türkische Bildungsattaché weist die Vorwürfe zurück.

Leserredaktion : Kathrin Zinser (zin)

Kirchberg - Sollen Kinder mit Migrationshintergrund die Möglichkeit haben, zusätzlich zum regulären Schulunterricht in ihrer Muttersprache unterrichtet zu werden? Der Kirchberger Gemeinderat hat einen entsprechenden Antrag kürzlich mit großer Mehrheit abgelehnt. Mehrere Eltern hatten zuvor den Wunsch geäußert, dass in den Räumen der Kirchberger Grundschule für ihre Kinder ein muttersprachlicher Zusatzunterricht in türkischer Sprache erfolgen soll. Doch die Gemeinderäte hatten Bedenken – sie fürchten unter anderem eine Indoktrination der Kinder, weil der Unterricht allein in der Verantwortung des türkischen Konsulats läge. Zudem, so argumentierten sie, sei ein muttersprachlicher Unterricht der Integration nicht förderlich.

 

Wird es einen neuen Beschluss geben?

Am vergangenen Montag haben sich nun Vertreter der Fraktionen, Eltern und der türkische Bildungsattaché Ümit Kapti zu einem Gespräch getroffen. Man habe sich in angenehmer Atmosphäre ausgetauscht, erklärte der Kirchberger Bürgermeister Frank Hornek. Details nannte er nicht. Ob der Gemeinderat in absehbarer Zeit noch einmal neu über das Thema entscheide, könne er nicht sagen. Ümit Kapti erklärte, man hoffe auf einen neuen Beschluss. Er sprach von einem sehr gelungenen Treffen, bei dem er den Verantwortlichen unter anderem die Unterrichtsinhalte erläutert habe.

Der Bildungsattaché wies den Vorwurf der Indoktrination durch die türkische Regierung zurück: Es gehe im Konsulatsunterricht allein um die türkische Sprache und Kultur. Auch die Annahme, dass alle eingesetzten Lehrkräfte auf der Linie von Präsident Erdogan lägen, sei falsch. Die Lehrer hätten ganz unterschiedliche Hintergründe. „Man kann von keiner Linie sprechen“, betonte Kapti.

Hinweise auf mögliche Einflussnahme

Beim baden-württembergischen Kultusministerium waren einer Sprecherin zufolge im Zuge des Putschversuchs in der Türkei 2016 und des türkischen Verfassungsreferendums 2017 vereinzelte Hinweise einer möglichen Einflussnahme eingegangen. „Diese haben sich nicht erhärtet“, so die Sprecherin. Man habe dennoch alle Beteiligten sensibilisiert. „Die Schulämter müssen entsprechenden Hinweisen nachgehen“, teilt das Ministerium mit.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) warnt hingegen grundsätzlich vor einer Indoktrination durch den Konsulatsunterricht, weil dessen momentane Ausgestaltung keinen staatlichen Einblick ermögliche. „Wir wissen schlicht und einfach nicht genau, was dort geschieht“, sagt Marco Stritzinger von der GEW Baden-Württemberg. Ein tatsächlicher Fall von Indoktrination sei ihm aktuell aber nicht bekannt.

Dennoch fordert die Gewerkschaft schon seit längerem einen vom Land finanzierten herkunftssprachlichen Unterricht. „Dass das durchaus möglich ist, zeigt das Beispiel Rheinland-Pfalz“, so Stritzinger. Die Kosten dafür beliefen sich laut GEW im Nachbarland auf knapp fünf Millionen Euro pro Jahr. In einer Dokumentation der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages aus dem Jahr 2017 heißt es hingegen, für Baden-Württemberg „wäre allein für den Deputatsbedarf von einem hohen zweistelligen Millionenbetrag auszugehen“, wenn man den Konsulatsunterricht in die Verantwortung des Landes überführen würde.

Unterrichtsinhalte sind bekannt

Im Kultusministerium ist man laut der Pressesprecherin zu dem Entschluss gekommen, den Konsulatsunterricht in seiner derzeitigen Form zu belassen. Wichtig sei, die Sprachförderung in Deutsch für alle Kinder massiv auszubauen. In diesem Zusammenhang verweist Sabine Hagenmüller-Gehring, die Leiterin des Staatlichen Schulamts Backnang, darauf, dass es wissenschaftlich belegt sei, dass Sprachkompetenzen in der Muttersprache einen positiven Effekt auf das Erlernen der deutschen Sprache haben. „Ich persönlich unterstütze den muttersprachlichen Unterricht sehr, weil ich es sehr wichtig finde, dass sich Kinder mit ihren Wurzeln, ihrer eigenen Identität und der Kultur ihrer Familie auseinandersetzen“, erklärt Hagenmüller-Gehring. Von den Schulen, in denen muttersprachlicher Unterricht stattfindet, erhalte sie sehr positive Rückmeldungen. „Die Unterrichtsinhalte sind uns bekannt“, so die Schulamtsleiterin weiter. Insbesondere das türkische Generalkonsulat sei im vergangenen Jahr sehr um Transparenz bemüht gewesen und habe die Lehrpläne – ins Deutsche übersetzt – allen Staatlichen Schulämtern zur Verfügung gestellt.

Darauf verweist auch Ümit Kapti. Er befürchtet, dass Eltern, für deren Kinder kein Konsulatsunterricht angeboten wird, ihren Nachwuchs zum Türkischlernen in Moscheen oder Vereine schicken. Dann hätten die Schulämter überhaupt keine Kontrolle mehr über die Unterrichtsinhalte, warnt der Bildungsattaché.

Der muttersprachliche Zusatzunterricht

Konsulate: Der muttersprachliche Zusatzunterricht steht in Baden-Württemberg in der Verantwortung der konsularischen Vertretungen und unterliegt nicht der Schulaufsicht. Die Schulämter unterstützen die Konsulate lediglich bei der Organisation des Unterrichts. Schulbücher, Bildungspläne und Lehrkräfte stammen aus dem jeweiligen Herkunftsland. Die Schulträger überlassen den Konsulaten kostenlos Räume für den Unterricht.

Länder: Derzeit bieten insgesamt 14 Länder Konsulatsunterricht an: Bosnien-Herzegowina, Griechenland, Italien, Kosovo, Kroatien, Mazedonien, Polen, Portugal, Serbien, Slowenien, Spanien, die Türkei, Tunesien und Ungarn. Im Schuljahr 2018/19 nahmen dem Kultusministerium zufolge insgesamt 35 417 Schülerinnen und Schüler daran teil. Die Gruppe der türkischsprachigen Kinder war dabei die größte, gefolgt von denjenigen mit italienischen und griechischen Wurzeln. Tendenziell sinkt die Zahl der Teilnehmer seit einigen Jahren. Das Land fördert das Angebot mit rund 1,1 Millionen Euro pro Jahr.