Neustadträte sondieren die Lage, Ex-Stadträte lecken ihre Wunden. Nach 15 Jahren als Stadtrat ist es für Andreas Reißig von der SPD besonders bitter, nicht wiedergewählt worden zu sein. Auch Michael Conz von der FDP ist enttäuscht.

Stuttgart - Am Tag nach der Auszählung der Stimmen kann Michael Conz seine Enttäuschung nicht verbergen: Nur etwas mehr als tausend Stimmen haben dem FDP-Stadtrat zu Platz vier und damit zum Wiedereinzug in den Gemeinderat gefehlt. Dabei hatte Conz wie kein zweiter Liberaler die Stadt regelrecht mit seinem Konterfei zugepflastert. Doch genutzt hat es nichts – die Juristin Sibel Yüksel zog an ihm vorbei und ergatterte den letzten Platz in der neuen vierköpfigen FDP-Fraktion. „Das erschließt sich mir nicht, sie hat viel weniger Aufwand betrieben“, sagt Conz.

 

Nach fünf Jahren Stadtratstätigkeit will sich der Unternehmer jetzt wieder mehr um seine Softwarefirma kümmern „und Geld verdienen“. In Erinnerung bleiben wird er vor allem als Befürworter des Bahnprojekts Stuttgart 21, der freilich nicht immer den richtigen Ton traf. Als er etwa im August 2010 beim Abriss des Nordflügels am Bonatz-Bau im Angesicht und inmitten wütender Proteste der S-21-Gegner erklärte, nun werde „Stuttgart 21 für die Bürger richtig erlebbar“, löste das selbst in der FDP Kopfschütteln aus. Auch später gefiel sich Conz als Provokateur, bezog häufig Extrempositionen innerhalb der Liberalen – etwa zum Atomausstieg – und galt zuletzt eher als Außenseiter in der Fraktion. Er will sich weiter in der Partei einbringen.Letzteres trifft auch auf Andreas Reißig (SPD) zu. Nach 15 Jahren als Stadtrat war es auch für ihn ein bitterer Wahlabend. Von der Partei lediglich mit Listenplatz 13 bedacht, musste Reißig – im Hauptberuf Sprecher der Landes-SPD – hinter ihm platzierten SPD-Bewerbern wie Hans-Peter Ehrlich oder Maria Hackl den Vortritt lassen. Völlig überraschend komme das Ergebnis nicht für ihn, so Reißig. Schließlich habe ihm nach seinem Rückzug als SPD-Kreisvorsitzender vor drei Jahren „der Amtsbonus gefehlt“. Auch unter Reißigs Ägide hatte die SPD freilich eine Wahlniederlage nach der anderen kassiert und sich wegen Stuttgart 21 parteiintern zerfleischt.

Ralph Schertlen wollte eigentlich Rathauschef werden

Völlig unbelastet kann Stefan Urbat sein neues Amt als Stadtrat der Piratenpartei antreten. Der 48-jährige Diplomphysiker und Softwareentwickler hat sich als Schwerpunkt seiner politischen Arbeit das Thema Informationsfreiheit auf die Fahnen geschrieben. Dazu wolle er einen konkreten Vorschlag für die Landeshauptstadt in den Gemeinderat einbringen. Außerdem ist ihm das Thema Stadtklima vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung ein wichtiges Anliegen. Privat interessiert er sich für Astronomie und ist Fan des Volleyballteams von Allianz MTV Stuttgart. Urbat strebt eine Fraktionsgemeinschaft mit der SÖS oder der Linken an, es habe allerdings noch keine abschließenden Gespräche oder Vereinbarungen gegeben.Ralph Schertlen hat im zweiten Anlauf den Einzug ins Rathaus geschafft. Beim ersten Mal 2012 wollte er gleich Rathauschef werden, erhielt aber nur 823 Wählerstimmen. Diesmal trat er als Spitzenkandidat der Gruppe Stadtisten für den Gemeinderat an und erhielt 11 000 Stimmen. Der 1969 in Bad Cannstatt geborene Ingenieur arbeitet bei Bosch und ist Dozent an der Dualen Hochschule. Sein politischer Schwerpunkt als Mandatsträger soll das Thema Mobilität werden. Über einen Zusammenschluss mit anderen Fraktionen will sich Schertlen derzeit nicht äußern.

Christian Walter (24), Lehramtsstudent im achten Semester, vertritt künftig für die Studentische Liste insbesondere studentische Interessen und Belange der Jugend im Rat: „Ich werde mich für günstigen Wohnraum einsetzen und mich der Club- und Kulturszene widmen“, skizziert er seine Schwerpunkte. Der in Bad Friedrichshall geborene Stadtratsnovize sondiert im Augenblick, mit welcher Fraktion „außerhalb des bürgerlichen Lagers und der AfD“ eine Fraktionsgemeinschaft denkbar wäre.