Am 25. Mai wollen etliche Kommunalpolitiker als Gemeinde- oder Kreisräte wiedergewählt werden, die zum Beispiel auch im baden-württembergischen Landtag sitzen. Ist das nicht ein bisschen viel Politik, oder macht das Sinn?

Stuttgart - In Tübingen weiß so ziemlich jeder, wer „die Rita“ ist. Auf der Schwäbischen Alb rund um Münsingen und Gomadingen kennen wohl alle den „KW“, und in Ravensburg ist der „Manne Lucha“ stadtbekannt. Rita Haller-Haid (SPD), Karl-Wilhelm Röhm (CDU) und Manfred Lucha (Grüne) eint ihr Abgeordnetenmandat im Landtag in Stuttgart. Aber dieses Trio ist noch auf eine andere Weise tief in ihren Wahlkreisen verwurzelt.

 

Rita Haller-Haid vertritt die SPD im Tübinger Kreistag, Röhm sitzt im Reutlinger Kreistag und ist dazu im Gemeinderat von Gomadingen vertreten, Lucha im Kreistag wie im Gemeinderat von Ravensburg. Alle drei verteidigen diese Ämterhäufung vehement. Die Politikerin empfiehlt zumindest jedem jungen Landtagsabgeordneten, politische Verantwortung auch an der Basis der Demokratie zu übernehmen. Für Lucha ist der Landtag der Job und die Kommunalpolitik das Ehrenamt. Röhm sieht sich auch  durch drei politischen Ämter nicht ausgelastet: „Im Hauptberuf bin ich ja noch Schulleiter an einem Gymnasium in Münsingen, wenn auch nur in Teilzeit.“ Er unterrichtet in einer Klasse Sport.

Der CDU-Mann hat sich immer gegen das Vollzeitparlament in Stuttgart ausgesprochen und sähe am liebsten viele Abgeordnete mit verschiedensten beruflichen Hintergründen im Parlament. „Die Entscheidung zum Vollzeitparlament 2011 war kropfunnötig“, sagt Röhm. Teilzeitschulleiter zu sein blieb ihm damals gestattet.

Die Freiheiten des Kreistags

Ein Mandat im Tübinger Gemeinderat strebt Rita Haller-Haid nicht an. „Das mache ich bewusst nicht – der Aufwand neben der Landtagsarbeit wäre zu groß“, sagt sie. Beim Kreistag ist das anders. Sitzungen werden nur alle paar Wochen einberufen. Und ihr gefällt, dass es im Kreistag – anders als im Tübinger Gemeinderat mit dem häufig gesehenen Stimmenbündnis AL/Grüne-SPD – keine Blockbildung oder keinen Fraktionszwang gebe. „Sogar innerhalb der Fraktion stimmen wir oft ganz unterschiedlich ab.“ Und je mehr Landtagsabgeordnete im Gremium sitzen, desto eher nimmt der Landrat beim Sitzungskalender Rücksicht auf Termine des Landtags in Stuttgart, so lautet ihre lächelnd vorgetragene Randbemerkung.

Viel wichtiger ist für sie natürlich, dass „ich im Kreistag die unmittelbaren Auswirkungen der eigenen Politik in Stuttgart spüre“. Als Beispiel nennt sie die Aufnahme von Flüchtlingen. Vieles wird vom Land geregelt, für die Unterbringung selbst ist dann der Landkreis zuständig. Ähnliches gilt für sie in der Schulsozialpolitik. Das Geld kommt aus Stuttgart, der Kreis ist für die beruflichen Schulen zuständig. Hier wie dort kann die Abgeordnete mit Doppelfunktion mitgestalten. Dass sie auch doppelt so oft zur Wahl steht, kommt Rita Haller-Haid gerade recht. Als „begeisterte Wahlkämpferin“ steht sie gerne an den Infoständen in der Tübinger Altstadt, „da kann ich aufsaugen, was die Leute bewegt“.

Kein Unterschied für die Leute

Manfred Lucha ist seit 20 Jahren in der Kommunalpolitik zu Hause, im Landtag sitzt er erst seit 2011. Einen Unterschied macht das für die Menschen in Ravensburg nicht, ist er sich sicher: „Da bin ich seit 20 Jahren der Manne und fertig.“ Weil in Stuttgart an Montagen „nix los“ ist, gehört der Wochenanfang der Büroarbeit, Terminen im Wahlkreis und gegen Abend dem Gemeinderat. Und mit Überzeugung, aber womöglich auch als Wahlkämpfer spricht er „von der kommunalfreundlichsten Landespolitik, die es je gab“. In keinem Bundesland erhielten die Kommunen mehr Geld als in Baden-Württemberg. „Und zwar systematisch, nicht wie in Bayern nach Gutsherrenart.“ Anders gesagt, in Stuttgart kann Lucha dazu beitragen, dass es den Kommunen gutgeht.

Ganz wichtig ist dem Landes-, Kreis- und Lokalpolitiker die „Rosskur an der Basis“. Er hält nichts von dem Karriereweg junger Berufspolitiker und zitiert den alten Spruch Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal. „In der Lokalpolitik kennt man die Leut’, das ist nur hilfreich.“ Und er geht dahin, wo die Leut’ sind. „Jeden Samstag zwei Stunden auf dem Markt, das ist für miWch Lebenselixier“, betont der 53-jährige Sozialarbeiter und Sprecher des gemeindepsychiatrischen Verbundes Bodenseekreis.

Wichtige Wurzeln

„Wenn man im Landtag sitzt, ist es gut, wenn man in der Gemeinde verwurzelt ist“, argumentiert auch Karl-Wilhelm Röhm für seine Gremienämter. In einer kleinen Gemeinde wie im 2200 Einwohner großen Gomadingen sei die Arbeit auch nicht so aufwendig wie in der Großstadt. Zwölfmal im Jahr wird getagt, Fraktionen gibt es keine, man berät sich mit den Kollegen und stimmt dann ab. Und im Kreistag hat er auf eine Ausschussmitgliedschaft verzichtet. Manche Hilfegesuche gebe es: „,KW‘, du hocksch doch in Stuttgart, regel das bitte.“ Und wenn es um Landessförderungen für Gomadingen geht, dann richten sich schon mal alle Köpfe der Gemeinderäte auf ihren Landtagsabgeordneten.

Auch er nennt Beispiele, wie die Gemeinde Beschlüsse des Landtags zu spüren bekommt. Aufgrund der Erhöhung der Grunderwerbsteuer erhalte der Ort mehr Geld für Schule und Kinderbetreuung. Parallel dazu werden die Grundstücke spürbar teurer. Umgekehrt kann Röhm als Landtagsabgeordneter zumindest anstoßen, dass auf der Schwäbischen Alb-Bahn wieder Schülerzüge verkehren oder ein Lokschuppen in Münsingen einen Zuschuss erhält. Auf jeden Fall sei man als Gemeinderat nah dran an den Bürgern.

Schulleiter, Kirchengemeinderat, Reserveoffizier, Gemeinderat, Kreisrat, Landtagsabgeordneter im nach der Fläche überaus großen Wahlkreis Hechingen-Münsingen – Karl-Wilhelm Röhms Profil ist damit nicht vollständig aufgezählt. „Die Kinder sind aus dem Haus, und mit meiner Frau esse ich mehrmals in der Woche zu Mittag“, fügt er fast entschuldigend an. Ganz unabhängig von allen Wahlergebnissen dürfte sich „KW“ Röhm am Tag der Kommunalwahlen in Feierlaune befinden, schließlich feiert er am 25. Mai seinen 63. Geburtstag.