Der Winnender Gemeinderat hat über das Positionspapier des Städtetags diskutiert – obwohl Bundestagsjuristen meinen, das Freihandelsabkommen habe in städtischen Gremien nichts verloren.

Manteldesk: Thomas Schwarz (hsw)

Winnenden - Nichts Genaues weiß man nicht – so könnte man eigentlich den Stand der Verhandlungen um die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen den USA und der Europäischen Union überschreiben. Denn die Verhandlungen zu dem Freihandelsabkommen laufen bis jetzt mehr oder minder unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab. Wie berichtet, treiben Landkreise, Städte und Gemeinden Befürchtungen um, neben den Vorteilen eines solchen Abkommens könnte es Auswirkungen auf die Daseinsvorsorge haben, also auf originäre Kompetenzbereiche der Kommunen wie die Trinkwasserversorgung, Krankenhäuser oder den Nahverkehr.

 

Die Stadt unterstützt Positionspapier des Städtetags

Nun unterstützt auch Winnenden das Positionspapier, das der Deutsche Städtetag, der Deutsche Landkreistag, der Deutsche Städte- und Gemeindebund und der Verband kommunaler Unternehmen dazu gemeinsam verfasst haben. Und das, obwohl der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kundgetan hat, Kreis- und Gemeinderäte hätten dazu gar nichts zu sagen. Diese, so die Juristen des Bundestages, hätten sich in ihren Sitzungen rein mit Angelegenheiten zu befassen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fielen. Freihandelsabkommen gehörten nicht dazu, so die Juristen, und sie dürften deshalb nicht einmal thematisiert werden. Das sieht der Winnender Oberbürgermeister anders. „Ja, wir können uns damit befassen“, sagte Hartmut Holzwarth während der jüngsten Sitzung des Gemeinderats, da die Stadt durchaus betroffen sein könnte. „TTIP tangiert kommunale Fragen“, konstatierte auch der SPD-Sprecher Andreas Herfurth. Die Winnender Sozialdemokraten sähen durchaus die Vorteile, wenn Handelshemmnisse abgebaut würden. „Es geht aber auch um sehr viel Geld. Freies Wirtschaften darf nicht zügelloses Wirtschaften bedeuten“, mahnte er. „Es ist nicht gut, dass die Öffentlichkeit keine Daten zu dem Abkommen erhält. Diese Geheimhaltung ist nicht zeitgemäß“, betonte Andreas Herfurth.

Ähnlich sieht es Christoph Mohr, der Sprecher der Grünen im Gemeinderat. „Viele Inhalte sind unter Verschluss. Deshalb ist es erforderlich, das Positionspapier zu unterstützen.“ Es gelte bereits jetzt, „Pflöcke einzuschlagen“, auch wenn man noch nicht wisse, ob sie erforderlich seien.

Unterstützung bei sämtlichen Fraktionen

Unterstützung fand das Positionspapier bei sämtlichen Fraktionen. Unschlagbar kurz machten es die Freien Wähler. „Wir stimmen zu“, sagte deren Sprecher Hans Ilg. Selbst überzeugte Fürsprecher von mehr Handelsfreiheit wie die FDP-Fraktion wollen die kommunale Daseinsvorsorge davon ausnehmen. „Nach den offiziellen Informationen der EU-Kommission können die EU-Länder auch vor dem Hintergrund des Abkommens weiter darüber entscheiden, welche Dienste öffentlich sind und welche nicht“, sagte der FDP-Stadtrat Robin Benz. Das betreffe die Bereiche Bildung, Kultur, Soziales, Wasserversorgung und die kommunale Daseinsvorsorge allgemein, so Benz. „Dies Punkte sind unserer Meinung nach auch nicht diskutabel.“

Wichtig erscheint es Benz, dass in der Öffentlichkeit kein falsches Bild des Freihandelsabkommens entstehe. „Denn eine Politik des freien Handels lässt sich nur durchsetzen, wenn man die Menschen von dessen Vorteilen überzeugen kann.“

Kommentar: Willi Winzig wehrt sich

Kennt noch jemand Willi Winzig? Jene Figur, die der Komiker Heinz Erhardt in den 50er Jahren erfunden hat, als in der jungen Bundesrepublik noch jene unselige Vorstellung in vielen Köpfen spukte, Ruhe sei die erste Bürgerpflicht? Willi Winzig stellt den kleinen Mann dar, der in die Räder einer anonym-übermächtigen Bürokratie gerät, diese aber durch eine Mischung aus Tolpatschigkeit und Subversion blockiert. Und das, obwohl er ein ums andere Mal von Repräsentanten der Staatsmacht angeherrscht wird, er solle endlich Ruhe geben. Wie Willi Winzig fühlt man sich angesichts der Anweisung der Bundestagsjuristen, Kreise und Kommunen hätten sich gefälligst aus Debatten über das Freihandelsabkommen herauszuhalten. In Summe betrifft das die gesamte Bevölkerung, denn jeder mündige Bürger lebt lokal und hat – hoffentlich – seinen Stadt- und Gemeinderat mitgewählt. Dass diese sich nun erst recht einmischen, entspricht einem grundsätzlichen demokratischen Verständnis. In diesem Fall gilt Unruhe als die erste Bürgerpflicht.