Glimpse Clothing bildet in seiner Produktionsstätte in Indien ehemalige Zwangsprostituierte zu Näherinnen aus. Nathalie und Simon Schaller aus Stuttgart haben das humanitäre Modelabel gemeinsam mit der Münchner Designerin Teresa Göppel gegründet.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - Zig soziale Organisationen und kirchliche Einrichtungen haben die Stuttgarter Nathalie und Simon Schaller in Indien abgeklappert. Hängen geblieben sind sie bei Ramona und Keith Dsouza. Das indische Ehepaar betreibt in Mumbai die Chaiim Foundation. „Sie hatten das perfekte Herz für unsere Sache“, erzählt die Geschäftsführerin Nathalie Schaller. Die Sache, das ist das humanitäre Modelabel Glimpse Clothing, welches Opfern von Zwangsprostitution eine Perspektive gibt.

 

Entworfen werden die Kleider von der Designerin und Mit-Geschäftsführerin Teresa Göppel in München, der Sitz von Glimpse ist in Stuttgart – in der Wohnung von Nathalie und Simon Schaller. Das Geschäftsführer-Trio aus Deutschland reist mehrmals im Jahr nach Indien. Zum ersten Mal waren diese Woche nun Ramona und Keith Dsouza zu Gast in Stuttgart. Im Café Luv in Bad Cannstatt haben sie vor 40 Gästen von ihrer Arbeit erzählt.

Die Arbeit gibt den Frauen neues Selbstbewusstsein

Ramona Dsouza hat vor einigen Jahren ihren gut bezahlten Job aufgegeben, um sich gegen Menschenhandel einzusetzen. „Das war eine Herzensentscheidung“, sagt die Inderin. Sie ist quasi die Mama vor Ort in der Nähwerkstatt nahe der indischen Metropole Mumbai. Beim ersten Gespräch legte sie den Mädchen ein weißes Blatt Papier vor. „Das ist deine Geschichte – ab heute“, habe sie gesagt. Jeder riet sie, auf das Papier in schönster Handschrift neue Geschichten zu schreiben. Heute ist sie unendlich stolz auf „ihre Mädchen“. „Sie haben so viel Selbstachtung bekommen durch die Arbeit“, erzählt Ramona Dsouza.

Erst durch die Zusammenarbeit mit Glimpse hatte der Verein von Ramona und Keith die Möglichkeit, den ehemaligen Zwangsprostituierten eine berufliche Perspektive zu bieten. „Einige von ihnen haben jetzt schon dicke Konten“, sagt Keith Dsouza und lacht. Die ersten Monate lässt seine Frau die Mädchen mit dem Geld machen, was sie wollen. „Am 15. des Monats ist meistens alles weg“, ergänzt seine Frau. Im dritten Monat kommen die jungen Frauen von selbst zu ihr und wollen sparen lernen. „Die Mädchen sind aus Armut in ihre Situation geraten. Davor wollen wir sie in Zukunft bewahren“, sagt Ramona Dsouza.

Uneigennütziger Lebenstraum

Glimpse Clothing ist ein Traum, den die Juristin Nathalie Schaller und die Designerin Göppel unabhängig voneinander hatten. Über die Menschenrechtsorganisation International Justice Mission (IJM) kamen die Frauen auf Reisen durch Kambodscha und Thailand in Nachsorgeeinrichtungen mit vielen ehemaligen Zwangsprostituierten in Berührung. Damals sei bei ihr der Wunsch entstanden, für solche Frauen etwas zu tun, erzählt Nathalie Schaller.

Passenderweise schrieb ihr Ehemann Simon seine Bachelorarbeit über Sklaverei in der Textilwirtschaft. So entstand die Idee, mit Kleidern die Welt zu verbessern. Das war 2008. „Wir hatten keine Ahnung von Mode“, gesteht die Juristin Schaller. Freunde in Australien vermittelten den Kontakt zur Designerin Göppel.

Bis das Konzept seinen Weg nach Indien fand, hat es ein paar Jahre gedauert. Im Herbst 2013 erschien die erste Kollektion von Glimpse Clothing in Deutschland. Produziert wird alles in Indien in der eigenen Werkstatt. Die 15 ehemaligen Prostituierten erhalten dort eine Ausbildung sowie Mathe- und Englischunterricht. Sozialarbeiterinnen kümmern sich um die Frauen. Viele sind schwer traumatisiert. Sie wurden verschleppt, manche von den eigenen Verwandten an Menschenhändler verkauft und in Bordellen festgehalten.

Bis heute betreiben die Geschäftsführer ihr Label auf ehrenamtlicher Basis. „Wir haben bisher nur unser privates Geld reingebuttert“, sagt Nathalie Schaller. Ungefähr 10 000 Euro schluckt das Projekt im Monat. Finanziert wird es bisher über Spenden und den Verkauf der Kollektionen. Die drei arbeiten ehrenamtlich nach Feierabend, sie alle haben nebenher noch eine Vollzeitstelle. Für ihren Einsatz wurde Nathalie Schaller nun von der Zeitschrift „Bild der Frau“ mit „Der goldenen Bild der Frau“ ausgezeichnet. „Ich bin echt stolz, was in den Jahren aus dem Projekt geworden ist“, sagt sie dazu. Für sie ist das Ansporngenug, weiterzumachen. Ein Konzept für ein ähnliches Projekt in Deutschland hat sie bereits in der Schublade liegen.

Glimpse produziert fair gehandelte Mode in Indien

Fairtrade
Glimpse bietet in seiner Werkstatt in Indien ehemaligen Zwangsprostituierten zwischen 18 und 25 Jahren eine Ausbildung zu fairen Konditionen. Auch auf ökologische Standards wird Wert gelegt: Die Biostoffe sind nach GOTS (Global Organic Textile Standard) zertifiziert.

Geschäfte
Mitte September kommt die fünfte Kollektion auf den Markt. Die Kleider sind im Online-Shop www.glimpse-clothing.com sowie in 13 Läden in Deutschland zu bekommen. In Stuttgart gibt es Glimpse-Mode im Glore Store, Eberhardstraße 10, bei der Designerin Martina Jung an der Reinsburgstraße 76 und im Modecafé Melva, Reuchlinstraße 22.

Logo
Jedes Teil hat eine Friedenstaube eingenäht, das Logo von Glimpse. Sie steht für Hoffnung. Der Name Glimpse bedeutet Schimmer. Das Gründungsmotto lautet: Love sells. Mit Glimpse sollen junge indische Frauen dem Wort „Liebe“ eine neue Bedeutung verleihen können. Alle 15 Näherinnen haben einen individuellen Blumenstempel und verewigen sich damit auf jedem Kleidungsstück, an dem sie gearbeitet haben. So trägt man als Käufer die Geschichte der Näherin mit sich.