Die grün-rote Koalition in Baden-Württemberg will auch über die Landtagswahl 2016 hinaus regieren. Doch in der SPD fragen sich manche, ob man sich im harmonischen Umgang mit den Grünen nicht selbst verzwergt.

Stuttgart - Es ist eine hübsche Inszenierung, die Grüne und SPD im Stuttgarter Haus der Architekten bieten: Dort, wo vor vier Jahren der grün-rote Koalitionsvertrag ausgehandelt wurde, gehen die beiden Landesvorstände am Freitagabend gemeinsam in Klausur. An „geschichtsträchtigem Ort“ also, wie die Grünen-Landeschefin Thekla Walker leicht ergriffen anmerkt. Man will sich für die kommende Landtagswahl gegenseitig die Treue schwören. Für die Kameras beschenken sich Winfried Kretschmann und Nils Schmid, der Ministerpräsident und sein Vize, gegenseitig mit Rücksäcken – einen roten für Kretschmann, einen Grünen für Schmid. Beider Inhalt verrät einen wachen Sinn für Symbolik: Schokolade als Wegzehrung und Nervennahrung, einen Akkubohrer für das nachhaltige Bearbeiten dicker Bretter. „Wir wollen gemeinsam weitermachen“, sagt Kretschmann. Nils Schmid befindet: „Eines ist klar, wir werden die Wahl nur gemeinsam gewinnen.“

 

Schon auf dem SPD-Landesparteitag in Singen hatte Schmid unlängst seine Partei schroff von der CDU abgegrenzt. Mit „diesem Verein verbitterter Männer“ wolle man nichts zu tun haben. Interessiert beobachtete Schmid wenig später , wie die Christdemokraten nach der Kür ihres Spitzenkandidaten Guido Wolf demoskopisch auf 38 Prozent absackten. Verunsichert – so nimmt er die einstige Dauerregierungspartei wahr. „Die CDU ist nicht mehr der alleinige Magnet, auf den sich alle ausrichten.“ Es gebe ein grün-rotes Gegenmodell, dem Schmid 2016 gerne eine rot-grüne Variante folgen lassen würde. Für einen Wahlerfolg aber brauche die SPD die Polarisierung, sagt Schmid. „Mit einem Wahlkampf, der unterschwellig auf eine große Koalition abzielt, werden wir keinen Erfolg haben.“

Tief in der SPD grummelt es

Allein, nicht nur die CDU hat Grund zur Beunruhigung, auch Schmids SPD sackt in den Umfragen immer mehr ab. Als ebenbürtig empfinden die Grünen ihren Koalitionspartner inzwischen nicht mehr. Deshalb werten manche Genossen Schmids Absage an die CDU als „abgehoben und realitätsfremd“. Tief in den Fundamenten der Partei grummelt es. Schmid zeige gegenüber Kretschmann zu wenig Statur, lautet der Vorwurf

Solche Kritik flutscht leicht von Lippen, Kretschmanns Dominanz tritt ja auch deutlich zu Tage. Er agiert als landespolitischer Solitär. Die Stellung, Kompetenzen und Machtressourcen eines Ministerpräsidenten, sichern diesem in der öffentlichen Wahrnehmung einen gewaltigen Vorteil gegenüber allen anderen Akteuren. Dazu kommt: Kretschmann verfolgt gesellschaftspolitisch liberale, teils auch linke Ziele, verbindet dies aber mit einem eher ländlich geprägten, bürgerlichen Habitus, mit dem sich weite Teile der Wählerschaft identifizieren können. Damit positioniert er sich in der Mitte des politischen Spektrums und bleibt nach links wie nach rechts anschlussfähig. Kretschmann ist die große, allerdings auch die einzige Hoffnung der Grünen, 2016 wieder den Regierungschef zu stellen. „Winfried Kretschmann muss Ministerpräsident bleiben“ – mit dieser Botschaft und in der Hoffnung auf einen personalisierten Wahlkampf werden die Grünen in die Schlacht ziehen. In den Umfragen verfehlt Grün-Rot jedoch schon seit geraumer Zeit eine eigene Mehrheit, was wiederum die CDU in die komfortable Position bringt, als stärkste Partei automatisch die Lizenz für die Regierungsbildung zu bekommen. Und Grün-Rot-Rot hat Kretschmann bereits ausgeschlossen.

Kein Anbiedern an die Grünen

Gestandene Sozialdemokraten wie Manfred Stehle, einst Amtschef im Integrationsministerium, billigen ihrem Vormann Schmid zu, in der Popularität schwerlich mit Kretschmann gleichziehen zu können. Doch verlangen sie eine stärkere inhaltliche Abgrenzung von den Grünen. Die SPD müsse „eigenes Profil zeigen statt grün-rotes Wischiwaschi bis zur Verleugnung der eigenen Identität nur um des Machterhalts willen.“ Stehle bangt für seine Partei um den Status einer Volkspartei. Sein Rezept lautet: „Klare Kante, deutliche Ansage, keine Anbiederung an die Grünen, keine Angst vor König Kretschmann“.

Beifall zollt Stehle seiner früheren Chefin Bilkay Öney für ihre „mutigen Positionen“ zur Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik. Die Integrationsministerin hatte ihre Skepsis gegenüber einem Einwanderungsgesetz öffentlich gemacht und auch Abschiebungen verteidigt, wo keine politische Verfolgung zu erkennen sei.

Schmid hält dem Drängen nach mehr Profil entgegen, im Großkonflikt um Stuttgart 21 oder im Koalitionsstreit um das Vorziehen der Nettonullverschuldung das SPD-Revier markiert zu haben. Und er folgt der Einsicht, dass die Wähler zu viel Streit auch nicht goutieren. Im Haus der Architekten gibt Schmid seinen Kritikern mit auf dem Weg: „Noch nie hat die SPD im Land so viel sozialdemokratisches Programm umsetzen können.“