Gemeinschaftserlebnis Sport Wo Sport ein Teil der Sozialarbeit ist

Vom Gemeinschaftserlebnis Sport in die Bundesliga: Lamin Gassama und Theo Agyemang Badu Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Wenn nichts mehr geht, dann ruft man sie. Die Mitarbeiter des Gemeinschaftserlebnisses Sport sollen helfen, dass Kinder und Jugendliche mit sich selbst und ihrem Leben zurechtkommen. Der Leiter Thomas Krombacher über die Nöte vieler Jugendlicher und manches Erfolgserlebnis.

Der Minister übt manchmal im Büro. Einen kleinen Korb hat er da, auf den wirft Finanzminister Danyal Bayaz mitunter. Welche Vorlagen er da zerknüllt und als Ball benutzt, wollen wir nicht erörtern, auf jeden Fall nutzte ihm an diesem Abend in der Halle des Karlsgymnasiums das regelmäßige Training nichts. Lamin Gassama (18) und Theo Agyemang Badu (18) waren ihm über, nicht nur körperlich, auch technisch.

 

Aber das ist keine Schande, spielen die beiden Stuttgarter doch in der Jugend-Bundesliga bei den Crailsheim Merlins. Was daran so bemerkenswert ist? Die ersten Körbe haben sie bei der Sport AG an der Altenbergschule geworfen, einem Angebot des Gemeinschaftserlebnisses Sport (GES). Erst einmal, um sich auszutoben, „um gemeinsam was zu erleben“, wie sie sagen. Binnen fünf Jahren sind sie nun in der Bundesliga angekommen. Und dienen als Posterboys für das neueste Angebot, bei dem das GES mitmischt: Baskidball.

Minister Bayaz weiß, wovon er spricht

Dass ein leibhaftiger Minister als Schirmherr mitmacht, zeigt: Bayaz liebt Basketball. Und er weiß auch aus eigener Anschauung, wie das ist für Kinder, die in Familien aufwachsen, die eingewandert sind, die sich ihren Platz erkämpfen müssen, die arm sind. „Was für viele selbstverständlich ist, ist eben nicht selbstverständlich, neue Turnschuhe etwa“, sagt er. Oder wie dieses deutsche Vereinswesen funktioniert.

Beim GES muss man nicht Mitglied werden, da kann man kommen, zum Basketball, zum Tanzen, zum Fußball, zum Bewegen in welcher Form auch immer, auch mal um Mitternacht. 150 Angebote machen die knapp 20 Mitarbeiter pro Woche, oft in der Zusammenarbeit mit Schulen, 2200 Kinder nutzen das – pro Woche.

Ein Veteran der Jugendhilfe

Längst kommt das GES zu ihnen. 1995 ist es gegründet worden, getragen vom Sportkreis Stuttgart, damals haben sie die Flyer selbst gebastelt, Sport als Sozialarbeit war neu. Mittlerweile sind sie Träger des deutschen Integrationspreises, wie überhaupt die großen Begriffe schnell bei der Hand sind. Respekt, Integration, Kompetenz, Fair Play, Prävention, halt all das, was Soziologen auf Kinder und Jugendliche drauf werfen, die sich schwertun.

Thomas Krombacher ist der Leiter und schon lange dabei. Wenn er erzählt, fangen diese Begriffe an zu leben. Der Erstklässer, der Stühle aus dem Klassenzimmer wirft; der Zwölfjährige, der sich um die Geschwister kümmert, weil beide Eltern rund um die Uhr arbeiten müssen; die Grundschullehrerin, die um Hilfe ruft, weil sie die außer Rand und Band geratene Klasse nicht mehr unterrichten kann; der Junge, der sagt, ich mache das nicht, sonst kommt mein Vater mit dem Anwalt; die Kinder, die sich als „Opfer“ bezeichnen. Am eindrücklichsten ist die Geschichte, die er erzählt von einer seiner Stunden. Von 27 Jugendlichen hatte er 15 aus der Halle geschickt, weil sie gestört hatten, „da hilft nur ganz viel Klarheit“. Die anderen zwölf hatte er in einen Kreis geholt und wollte sie loben. „Die waren völlig verdattert und haben gefragt: Warum holen Sie uns zusammen? Was haben wir falsch gemacht?“ Wenn jemand sie anspricht, rechnen sie mit Kritik.

Das sei eine Erfahrung, die viele dieser Kinder machten: Ich bin nicht gut genug! Ich kann nichts! Sie empfänden sich als Versager, bekämen keine Anerkennung, kaum Lob. Und Aufmerksamkeit nur, wenn sie Rabatz machen.

Es geht, mit Geduld

„Unsere Klientel hat oft Probleme“, sagt Krombacher, „Vertrauen aufzubauen, Regeln durchzusetzen ist ein langer Prozess. Man muss dranbleiben, durchhalten und braucht Geduld.“ Er habe Kinder in der Grundschule gehabt, „die haben sich nicht runtergeregelt bekommen, die haben gestört, konnten nicht ruhig sein“. Jahre später habe er sie bei Basketball bei Mitternacht getroffen, da hätten sie stolz von ihrer Ausbildung erzählt.

Doch die Probleme sickern durch. „Ich! Sofort! Alles!“, so fasst Krombacher das zusammen. Was die Gesellschaft vorlebe, übernähmen die Kinder. Mittlerweile, sagt er, sind „wir im Kindergarten angekommen“. Von dort kommen Hilferufe, ob man nicht ein Angebot habe auch für die Jüngsten. Haben sie: Sprachkurse, Selbstbehauptung, Mädchen-Sport, Jungs-Sport, Konzentration. Gesund und gestärkt, Bewegung plus, Nachtschwärmer heißen ihre Angebote. Wo es Lehrern, Erziehern und Gesellschaft nicht mehr möglich ist, die vielen Probleme zu lösen, soll der Sport helfen. 700 000 Euro haben sie im Jahr dafür, 250 000 Euro kommen vom Sportamt, ansonsten müssen sie mit Partnern das Geld zusammenlegen oder Fördertöpfe auftreiben und leeren.

Der Sport soll helfen

„Der Sport hat enorme Kraft“, sagt Krombacher. Gemeinsam etwas erleben, sich in eine Gruppe einfügen, verlässlich sein, Freude haben, toben dürfen, Regeln einhalten, Bestätigung bekommen, zu merken, hoppla, ich kann ja was, was nicht immer beim Toreschießen sein muss. „Wir hatten kürzlich einen Jungen, eher unsportlich, aber der hat dann Englisch geredet mit einem Flüchtling“, sagt Krombacher, „das war für ihn ein Aha-Moment.“ Und etwas, was er oft erlebt. Dann bekommt man einen Zugang zu Kindern, eine Türe öffnet sich.

Die Polizei ist Teil des Teams

Mit Schulen und Kitas arbeiten sie eng zusammen, auch mit Jugendhilfe und Polizei. Denn auch das ist Teil der Wahrheit, der Sport ist kein Allheilmittel. Regeln und Gesetze sind für manche Jugendlichen dafür da, sie zu brechen. Da gibt es schon mal Zoff, in der Halle unterbinden sie das, aber sie haben auch schon erlebt, dass die Kontrahenten via Handy die Kumpels angefunkt haben. Und draußen standen sich zwei Gruppen gegenüber, kampfbereit.

Wenn Krombacher dann in der Halle steht, beim jüngsten Spross der GES-Familie, und Lamin Gassama und Theo Agyemang Badu sieht, wie sie werfen und Jüngeren zeigen, wie man unter den Körben zockt, dann ist das eine Bestätigung, dass sie vieles richtig machen.

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