An den Gemeinschaftsschulen im Land unterrichten zu wenige Gymnasiallehrer. Besonders schlecht ist die Quote im Regierungsbezirk Stuttgart. Der Verein für Gemeinschaftsschulen warnt vor einer „Mogelpackung“.

Stuttgart - Gymnasiallehrer an Gemeinschaftsschulen sind rar. Nur 6,5 Prozent der Pädagogen, die im Land an dieser vergleichsweise neuen Schulart unterrichten, könnten dies auch an einem Gymnasium tun. Das hat die Landtags-SPD aus einer Antwort des Kultusministeriums auf eine Anfrage der Fraktion errechnet, die unserer Zeitung vorliegt. Dabei sollen Gemeinschaftsschulen Schüler aller Leistungsniveaus unterrichten – von der Hauptschule über die Realschule bis zum Gymnasium. Dafür wurde ihnen bei der Einrichtung der Schulart im Jahr 2012 ein Lehrermix von je einem Drittel Gymnasiallehrern, Realschul- und Hauptschullehrern versprochen.

 

Schlechteste Quote im Bezirk Stuttgart

Die Regierungspräsidien (RP) gehen bei der Lehrerzuweisung sehr unterschiedlich vor. Am schlechtesten ist die Quote von Gymnasiallehrern an Gemeinschaftsschulen im Regierungsbezirk Stuttgart mit 4,8 Prozent. In Freiburg liegt der Anteil bei knapp zehn Prozent. In Tübingen kommen die Gemeinschaftsschulen auf 5,6 Prozent Gymnasiallehrer, in Karlsruhe auf 8,2.

Viel zu wenig, sagt Matthias Wagner-Uhl, der Vorsitzende des Vereins Gemeinschaftsschulen. „Ohne ausreichende Versorgung mit Gymnasiallehrern wird das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Bekenntnis zum Konzept der Gemeinschaftsschulen mit ihren Unterricht auf drei Niveaus zur Mogelpackung“, klagt er unserer Zeitung.

Der Leiter einer Gemeinschaftsschule kritisiert: „die Zuweisungsregelungen sind nicht transparent und der Zuweisungsschlüssel unbekannt“. Das wertet er als „eine inakzeptable Situation“. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) dagegen sieht die Schulart noch im Aufbau. Daher gebe es noch keine fixierten Regeln. Doch sollte es in Klasse fünf mindestens Gymnasiallehrer für die Hauptfächer geben.

Ständiger Kampf

„Wir müssen an den Gemeinschaftsschulen um jede gymnasiale Lehrkraft kämpfen“, bedauert Matthias Wagner-Uhl. Doch es fehlt sogar eine verlässliche Grundlage für den Kampf. Die Regierungspräsidien weisen so unterschiedlich Lehrkräfte zu, dass die Landtags-SPD davon spricht, die Versorgung der Gemeinschaftsschulen mit Gymnasiallehrern hänge von der Gunst der Behörden ab. Jeder dritte Gemeinschaftsschullehrer sollte ein Gymnasiallehrer sein. Zurzeit ist es kaum jeder zwanzigste. Klare Regeln für die Zuweisung gibt es nicht.

Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) erklärt auf eine Anfrage der SPD, das Ministerium habe „bis jetzt noch keine fixierten Zuweisungsregeln formuliert, weil sich die Gemeinschaftsschulen nach wie vor im Aufbau befinden“. Auch müsse die Gemeinschaftsschule „flexibel“ aus Stellen der drei verschiedenen Schularten finanziert werden. Dennoch „empfiehlt“ die Ministerin generell, in Klasse fünf mindestens in Deutsch, Mathematik und Englisch und in Klasse sechs auch in Französisch Gymnasiallehrer einzusetzen. „Ab Klassenstufe acht ist ein erhöhter Bedarf an Gymnasial- wie auch Realschullehrkräften notwendig“, konstatiert die Ministerin.

SPD fordert Qualitätsstandard

Stefan Fulst-Blei, der bildungspolitische Sprecher der SPD, findet dagegen, im fünften Jahr ihres Bestehens kämen die Gemeinschaftsschulen aus der Übergangsphase heraus. „Die Ministerin wird zeitnah definieren müssen, was der Qualitätsstandard ist“, fordert er. Mit der Arbeit der Gemeinschaftsschulen ist er zufrieden. Doch mit Blick auf die gymnasialen Oberstufen, die 2018 beispielsweise an Gemeinschaftsschulen in Tübingen und Konstanz eingerichtet werden könnten, sagt Fulst-Blei: „Im oberen Bereich muss etwas passieren.“ Der Verein der Gemeinschaftsschulen verlangt, „um eine ansatzweise ausgewogene Situation herzustellen, müssen zunächst bevorzugt Gymnasiallehrer eingestellt werden“.

Sandra Boser, die Bildungsexpertin der Grünen, bekennt sich zu der Ansage aus der grün-roten Vorgängerkoalition. „Es wäre gewollt, dass sich die Lehrer ausgeglichen aus den unterschiedlichen Schularten zusammensetzen.“ Die Umsetzung sei jedoch „nicht optimal“. Meist gingen die Gemeinschaftsschulen aus Werkrealschulen hervor. So einfach sei es nicht, ein Kollegium austauschen. Momentan sieht sie keine Probleme. „Interessant wird es in der Mittel- und Oberstufe“, sagt auch Boser. Diskrepanzen in den Regierungsbezirken spreche man an.

Schulart zwischen den Verwaltungsstrukturen

Doro Moritz, die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) erklärt die Unterschiede so: „Die Verwaltungsstrukturen erschweren eine angemessene Versorgung.“ Als Schulart sind die Gemeinschaftsschulen den staatlichen Schulämtern zugeordnet. Für die Gymnasiallehrer sind jedoch die Regierungspräsidien zuständig. Den Referenten in den Regierungspräsidien seien aber ihre angestammten Gymnasien näher als die Gemeinschaftsschulen, konstatiert Moritz.

Die GEW-Chefin hält fest: „Die Stellen sind schwer zu besetzen.“ Zumal Gymnasiallehrer, die an Gemeinschaftsschulen eingesetzt sind, zwei Stunden in der Woche mehr unterrichten müssen, als ihre Kollegen an einem Gymnasium.