Denkbar knapp scheitert im Vaihinger Gemeinderat ein Antrag, der die Kommune im Landkreis zum Pionier in Sachen Nachhaltigkeit gemacht hätte. Vorreiter sind Stuttgart und Mannheim. Ludwigsburg hingegen hat einen anderen Weg gewählt.

Vaihingen/Enz - Am Ende standen zwölf Stimmen gegen vierzehn. Der Gemeinderat in Vaihingen an der Enz hat damit mit dünner Mehrheit einen Antrag beerdigt, der im Erfolgsfall die Stadt im Kreis zu einem Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit gemacht hätte – ein Begriff, der vor allem im Hinblick auf die Schülerdemos „Fridays for Future“ oder dem Protest der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg wieder an Popularität gewonnen hat.

 

Wohl auch vor diesem Hintergrund hatten die Fraktionen der Grünen, der Linken sowie der SPD in Vaihingen/Enz gefordert, den Beispielen von Stuttgart und Mannheim zu folgen und zu prüfen, ob man die städtischen Eigenbetriebe nach den Kriterien der sogenannten Gemeinwohlökonomie (GWÖ) bilanzieren könne.

Grob gesagt geht es um die Frage: Was bringt das der Gesellschaft?

Was steckt dahinter? Die Idee der Gemeinwohlökonomie stammt aus Österreich. Sie sieht vor, dass Unternehmen bei der Bilanzierung nicht mehr nur das pure Zahlenwerk aus Wachstum, Gewinn und Umsatz betrachten, sondern andere Werte in den Vordergrund rücken: Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung. Vereinfacht gesagt fragt die GWÖ, welchen Beitrag das Unternehmen für die gesamte Gesellschaft leistet.

Auf den ersten Blick erscheint es schwierig, solch schwer greifbare Abstrakta in eine vergleichsfähige Bilanz zu gießen. Konkreter wird es anhand der Fragen, die die betoffenen Geschäftsführer im Rahmen eines Audits beantworten müssen. So werden in Sachen Mitarbeiter beispielsweise deren Lohn und deren Gestaltungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten abgefragt. Oder in Sachen ökologischer Nachhaltigkeit wird gefragt, ob die ganze Zuliefererkette diese Anforderungen erfüllt. Am Ende einer Auditierung durch den GWÖ-Verband steht dann eine konkrete Zahl: Bis zu 1000 Punkte kann ein Unternehmen oder eine Kommune bei der GWÖ-Bilanz bekommen.

Grün-Schwarz will die Gemeinwohlökonomie fördern

Die Förderung der Gemeinwohlökonomie steht auch im Koalitionsvertrag der grün-schwarzen Landesregierung. Als Pilotprojekt durchliefen 2017 vier städtische Eigenbetriebe in Stuttgart den Bilanzierungsprozess. Mit dabei waren die Hafen Stuttgart GmbH, die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft, die Stadtentwässerung sowie Leben&Wohnen. Letztere ist eine städtische Tochter, die sich um Alte und Obdachlose kümmert. Laut deren Geschäftsführerin Sabine Bergmann-Dietz geht es bei der GWÖ-Bilanzierung darum, Haltung zu zeigen. Die Frage, was sie denn „gebracht“ habe, sei falsch, weil sie von der betriebswirtschaftlichen Perspektive ausgehe. Denn mehr Profit bringe das Audit nicht. Die Bilanz habe geholfen, kurzfristige und langfristige Ziele zu formulieren: Mitarbeiterbefragungen, ein Zufriedenheitsindex oder eine Energiebilanz für alle Einrichtungen beispielsweise. Denn das Thema sei nicht erledigt, wenn der GWÖ-Bericht fertig ist: „Man muss sich immer wieder damit befassen.“

Mannheim steckt gerade mitten im Prozess

Eigenbetriebe der Stadt Mannheim stecken gerade mitten in diesem Bilanzierungsprozess. Christian Hübel, der Fachbereichsleiter Demokratie und Strategie im Mannheimer Rathaus, erklärt, warum das notwendig ist: „Man muss sich die Frage stellen, zu was eine Kommune alles da ist. Das kann man nicht alles unter der ökonomischen Prämisse messen.“ Früher sei es als effizient betrachtet worden, Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge in Form von Beteiligungsgesellschaften auszugliedern, beispielsweise Stadtwerke für Wasser und Strom oder die städtische Wohnungsbaugesellschaft. Mittlerweile merke man aber, dass es nicht immer dem Gemeinwohl zugute komme, wenn die Aufsichtsräte dieser Gesellschaften das Ziel verfolgen, für das sie ihren Posten bekommen haben: Das Beste für ihr Unternehmen zu tun. Die Bilanzierung laut GWÖ stellt laut Hüber das „einzig funktionierende Modell“ eines ganzheitlichen Ansatzes der kommunalen Daseinsvorsorge dar.

In Ludwigsburg sieht man die Sache anders

Die Stadt Ludwigsburg sieht das anders. Hier ist die Gemeinwohlökonomie seit 2004 im Stadtentwicklungskonzept ein Thema – allerdings nicht unter diesem Begriff. 2014 wurde Ludwigsburg als nachhaltigste Stadt Deutschlands ausgezeichnet. Das GWÖ-Modell war in der Verwaltung im Jahr 2011 ein Thema, man sei aber überzeugt gewesen, dass es gegenüber dem, was die Stadt ohnehin bereits tut, keinen Mehrwert biete, sagt der Kämmerer Ulrich Kiedaisch. Auch eine andere Berichtsart, der deutsche Nachhaltigkeitskodex, kam deswegen für die Stadt nicht in Frage.

In Vaihingen/Enz möchte die örtliche GWÖ-Gruppe nun erst mal beraten, wie es weitergehen kann. Reinhard Funcke, einer ihrer Sprecher, ist ohnehin überrascht, dass der Antrag nur so knapp gescheitert ist. Für ihn ist das Thema damit in Vaihingen aber noch nicht beerdigt. „Noch ein oder zwei Schritte, dann kommt das beim nächsten Mal durch“, sagt er. Im Mai seien ja auch Kommunalwahlen.

Solidarität statt Wachstum

Ursprung
Die Idee der Gemeinwohlökonomie (GWÖ) geht zurück auf den Österreicher Christian Felber. Der Autor und Attac-Aktivist initiierte 2010 mit einigen lokalen Unternehmen das Projekt Gemeinwohl-Ökonomie. Das Konzept wird als alternative Wirtschaftsordnung zu Kapitalismus und Kommunismus beschrieben. Dabei geht es um eine liberale und ethische Marktwirtschaft, die nicht auf Gewinnstreben und Konkurrenz beruhe, sondern auf Gemeinwohl-Streben und Kooperation. Es zählt also nicht Wachstum, sondern Nachhaltigkeit und Solidarität.

Zahlen
Nach eigenen Angaben umfasst die Bewegung weltweit 11 000 Unterstützer und mehr als 2000 Aktive in mehr als 100 Regionalgruppen. 500 Unternehmen und Organisationen sowie 60 Gemeinden und Städte sowie 200 Hochschulen bilanzieren bereits nach dem GWÖ-Konzept. Befürworter loben die Gemeinwohl-Matrix – ein Punktesystem, das den Beitrag eines Unternehmens zum Gemeinwohl sichtbar und vergleichbar machen soll.

Kritik
Bislang greifen Unternehmen auf die GWÖ zurück, die sich ohnehin der Nachhaltigkeit verschrieben haben, beispielsweise der Tee-Händler Sonnentor oder die Tageszeitung „taz“. Große, multinationale Konzerne sind nicht dabei – und werden es in Anbetracht des Konkurrenzdrucks wohl auch nie sein.