Das menschliche Erbgut entziffert zu haben, reicht nicht, um medizinische Therapien zu entwickeln, sagt Craig Venter. Er will nun eine Datenbank mit Tausenden von Genomen aufbauen. Auch diesmal ist es ein Wettrennen mit der staatlich geförderten Konkurrenz.

Stuttgart - Der Gen-Pionier Craig Venter kennt das persönliche Rezept für ein langes Leben. „Der erste Schritt besteht darin, dass eigene Erbgut entschlüsseln zu lassen“, sagt der 67-Jährige. Der US-Forscher beschwört „den Beginn einer neuen Zeitrechnung der Medizin, die vor allem auf Vorsorge ausgerichtet ist“. Venter will die größte DNA-Datenbank der Welt aufbauen: eine riesige Sammlung der medizinischen Daten und des kompletten Erbguts von kranken und gesunden Menschen.

 

Sie soll Ursachen für Krankheiten erkennen und daraus konkrete Empfehlungen für ein gesünderes Leben entwickeln. „Unser Ziel ist nicht unbedingt, das Leben zu verlängern, aber wir wollen die gesunde, produktive Lebensspanne ausweiten“, sagt Venter. Deshalb hat er eine neue Firma gegründet, deren Name Human Longevity Inc. (HLI) verspricht, wonach viele streben: den Menschen ein langes Leben zu ermöglichen. Sie verfolgt das stolze Ziel, jedes Jahr das Erbgut von 100 000 Menschen vollständig zu entschlüsseln.

Craig Venter hat schon einmal die Revolution der Medizin ausgerufen. Vor 14 Jahren, auf der internationalen Bühne des Weißen Hauses gemeinsam mit US-Präsident Bill Clinton. Venters private Initiative verkündete damals gemeinsam mit dem internationalen Forscherteam des Human Genome Projects einen wissenschaftlichen Durchbruch. Es war erstmals gelungen, alle 3,3 Milliarden Bausteine der menschlichen DNA zu entziffern. Jetzt sei das Buch des Lebens zum Lesen aufgeschlagen, feierten die Wissenschaftler damals ihren Erfolg.

Das Versprechen vom „Buch des Lebens“ hat sich nicht erfüllt

Venter übte nun bei der Präsentation des neuen Projektes in San Diego durchaus Selbstkritik an der Zeit nach dem damaligen Durchbruch. Er sei enttäuscht, wie wenig die Erbgutanalyse bisher für die Medizin geleistet habe. Genetische Untersuchungen an Krebspatienten gehören heute zwar zum Standard bei der Entwicklung einer individuellen Therapie, denn trotz derselben Diagnose wirken die Waffen gegen den Tumor bei den Patienten oft ganz unterschiedlich. Doch ansonsten wurde das zentrale Versprechen der Gen-Analyse nur selten eingelöst: Aus der Kenntnis des Genoms wollten die Wissenschaftler Ursache-Wirkung-Beziehungen für Krankheiten ableiten und im klinischen Alltag einsetzen. „Wir mussten erkennen, dass ein einzelnes entziffertes Genom nutzlos ist. Wir benötigen eine Million davon“, sagt Venter nun.

Wie damals deutet sich wieder ein Wettlauf zwischen staatlichen Forschern und privaten Initiativen an. Denn viele Wissenschaftler glauben an das Konzept der Gen-Datenbank, das nicht einfach als fixe Idee eines umstrittenen Wissenschaftlers wie Venter abgetan werden darf. Großbritannien will eine nationale Gen-Datenbank aus der Erbgutanalyse von 100 000 Patienten aufbauen, die bis 2017 erstellt werden sollen. Auch der chinesische Marktführer bei der Genomanalyse, das Pekinger Institut für Genomic (BGI), hat ein ähnliches Projekt angekündigt. Alle Initiativen vertrauen darauf, dass die Supercomputer die Datenmengen schon richtig ordnen werden und Muster von Krankheiten finden, wenn sie nur genug Material haben.

Venter wäre nicht Venter, wenn sein Projekt nicht besonders ehrgeizig wäre. HLI will nicht nur mehr Genome der Menschen in kürzerer Zeit entschlüsseln, sondern auch die DNA im Mikrobiom der Patienten. So heißt die Gesamtheit der Mikroorganismen, die den Menschen auf den Schleimhäuten, der Haut oder im Darm besiedeln und für seine Gesundheit wichtig sind. Das Krebszentrum der Universität von Kalifornien wird zusätzlich die Blutwerte und Diagnosen der Patienten liefern. Weltweit sollen viele Krankenhäuser für das Projekt begeistert werden.

Im Mittelpunkt der riesigen Datensammlung stehen zunächst Krebspatienten, die Initiative soll bald auf Menschen mit Herzproblemen, Alzheimer und Parkinson ausgeweitet werden. Die Kombination von Erbgut, Mikrobiom und Blutdaten sei der Schlüssel zur Vorhersage von Krankheiten, sagt Venter.

Craig Venter weiß um sein Alzheimer-Gen

Venter beschreibt an seinem eigenen Schicksal, welche Folgen ein Erfolg des Projekts haben könnte. Es gibt kaum einen Menschen, der mehr über sein eigenes Erbgut weiß als er. Zu den fünf DNA-Proben, die Venter 1998 für die allererste Entschlüsselung des menschlichen Erbguts auswählte, gehörte seine eigene. Der Forscher besitzt eine Veränderung an einem Gen, das mit der Alzheimer-Erkrankung in Verbindung gebracht wird. Er habe sein Leben diesem Umstand angepasst, betreibe Vorsorge, lasse sich häufiger untersuchen und will damit den Ausbruch der Krankheit mindestens verschieben.

Ist die Gesundheit eines Menschen tatsächlich in diesem Maße durch die genetische Grundausstattung vorbestimmt, wie es der naturwissenschaftlich geprägte Ansatz von Craig Venter behauptet? Auf diese Frage liefert der derzeitige Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis verschiedene Antworten. Sicher ist: viele Erkrankungen werden durch Umwelteinflüsse, Viren oder falsche Lebensweise begünstigt. Und klar ist ebenso: spontane, nicht vorhersehbare Veränderungen im Erbgut (sogenannte Mutationen) können Krebs und andere Krankheiten auslösen. Das bedeutet in der Konsequenz: selbst wenn die persönliche Gen-Analyse weitgehend positiv ausfallen würde, ließe sich daraus keine absolute Sicherheit für ein gesundes Leben ableiten, denn auch die Umwelt spielt eine Rolle.

Andererseits sind die Mechanismen unseres Körpers zur Behebung von Gen-Defekten unterschiedlich gut ausgeprägt. Der Körper kann seine naturwissenschaftliche Vorgabe manchmal überlisten. So entwickelt nicht jede Frau mit Auffälligkeiten im Brustkrebs-Gen einen Tumor; nicht alle Menschen mit einer Veranlagung zu Diabetes bekommen die Zuckerkrankheit. Auch dieser Reparaturbetrieb für körperliche Schwächen wird nach der derzeitigen Lehrmeinung zu einem großen Teil über die Gene gesteuert. Dort könnte demnach ein Schlüssel für neue therapeutische Methoden liegen, die Venters Institut ebenfalls entwickeln will.

Was auch immer am Ende von den Versprechen der Firma HLI übrig bleiben mag: mit jeder Gen-Sequenzierung erweitert der Mensch ein klein bisschen den Blick in seine eigene Zukunft. Man darf große Zweifel haben, ob er auf das vorbereitet ist, was ihm Computer als Perspektive liefern werden. Verhindern kann man das nicht mehr.

Die Firma Human Longevity Inc.

Gründer
Die Gründer der Firma Human Longevity Inc., abgekürzt HLI, sind Craig Venter, Peter Diamandis, der auch in Weltraumprojekte investiert, und Robert Hariri, einer der prominentesten Stammzellforscher.

Investoren
HLI verfügt über 70 Millionen US-Dollar Startkapital. Einer der wichtigsten Geldgeber ist die Biotechnologiefirma Illumina, Hersteller der derzeit schnellsten automatischen Sequenziermaschinen. Ihre Geräte können binnen drei Tagen eine komplette Genomanalyse erstellen.

Geschäftsmodell
Die Investoren gehen vermutlich nur ein geringes Risiko ein, denn gut aufgeschlüsselte Daten von Patienten mit Krebs oder anderen weit verbreiteten Krankheiten sind sehr wertvoll. Die Firma HLI versucht sich durch Lizenzgebühren von Pharmafirmen, Forschungseinrichtungen und Biotech-Unternehmen zu refinanzieren.