Eine Biologin kann ihren genderkritischen Vortrag nicht öffentlich halten, weil linke Initiativen Proteste und Störungen angedroht hatten. Ist eine offene Debatte über Transgender in Deutschland nicht mehr möglich?

Kultur: Tim Schleider (schl)

Wegen Sicherheitsbedenken hat die Humboldt-Universität Berlin am Wochenende einen öffentlichen wissenschaftlichen Vortrag abgesagt. Das Thema hätte gelautet: „Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht. Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt“, dargelegt von Marie-Luise Vollbrecht, einer hauseigenen Biologiedoktorandin im Fachgebiet Verhaltensphysiologie. Gegen den Termin hatte zuvor unter anderem der „Arbeitskreis kritischer Jurist*innen“ protestiert, eine im politisch linken Spektrum angesiedelte Aktivistengruppe, die laut Selbstbeschreibung „Marginalisierten zu ihrem Recht verhelfen will“. Die Autorin des Vortrags sei „transfeindlich“; man werde ihren Auftritt nicht unwidersprochen lassen und deswegen „auf die Straße gehen“. Dem gab die Uni nach.

 

„Zur Not mit Hilfe der Polizei“

Die Kritik an der Absage des Termins durch die Universität war am Montag praktisch einhellig und fand auch in der Politik ein breites Echo. Die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sagte, es dürfe nicht „in der Hand von Aktivisten liegen, welche Personen gehört werden dürfen und welche nicht“. Vielfach wird der Vorfall als Beispiel für „Cancel Culture“ gewertet, also dafür, dass kontroverse Debatten über bestimmte Fragen wie etwa die Genderfrage von politischen Gruppen unterdrückt werden. Thorsten Frei, der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Bundestagsfraktion, sagte hierzu in der „Bild“-Zeitung: „Die Freiheit der Wissenschaft muss geschützt werden – zur Not mit Hilfe der Polizei“.

Die junge Biologin Marie-Luise Vollbrecht hat ihren Vortrag inzwischen in einem etwas improvisierten Setting als Youtube-Video veröffentlicht. In einer knappen Stunde legt sie dar, warum aus ihrer Sicht das Prinzip der Zweigeschlechtlichkeit (also entweder weiblich oder männlich) für ihr Fach konstitutiv sei und beispielsweise für die Beschreibung der Evolution zwingend. Nach Auffassung ihrer Kritiker negiert sie so die Existenz von intersexuellen, also geschlechtlich nicht eindeutig zugeordneten Menschen und stellt sich in Opposition zu allen Bestrebungen jüngerer Zeit, solchen Menschen zu mehr Aufmerksamkeit, Anerkennung und gesellschaftlichen Rechten zu verhelfen. Vollbrechts wissenschaftliche Position müsse deshalb aus der Öffentlichkeit ausgesperrt werden – was letztlich einem Berufsverbot gleichkäme.

Gibt es bei ARD und ZDF eine Trans-Agenda?

Man wird den Berliner Vorfall also tatsächlich leicht als Zeichen einer zusehends polarisierten und diskursfeindlichen Gesellschaft wahrnehmen können. Allerdings trug Vollbrecht selbst auch schon zu dieser Lage bei: Sie gehörte vor einem Monat zu den fünf Autorinnen und Autoren, die in einem Gastbeitrag für die Tageszeitung „Die Welt“ beklagten, ARD und ZDF würden insbesondere in ihren Kinderprogrammen „die Tatsache leugnen, dass es nur zwei Geschlechter gibt“. Sie verlangten „eine Abkehr von ideologischer Betrachtungsweise – und zwar besonders beim Trendthema ,trans’“.

Diese Wortwahl nebst der Vermutung, die Öffentlich-Rechtlichen würden bei den Themen sexueller Identität eine „bedrohliche Agenda“ verfolgen, lassen vermuten, dass auch Vollbrecht von politischen Vorprägungen nicht frei ist. Das ändert aber nichts am Debakel, dass die Leitung der Humboldt-Uni mit ihrer Vorabreaktion angerichtet hat.