Gender-Debatte Sexuelle Vielfalt

Es gibt Männer, und es gibt Frauen. Unsere Gesellschaft scheint sich mehr denn je an Geschlechterrollen zu klammern. Aber was ist mit denjenigen, die sich in diesem binären System nicht wiederfinden?, fragt Adrienne Braun in ihrem Essay.
Stuttgart - Die Kommentare der Facebook-Gemeinde sind mehr als deutlich. Lann Hornscheidt sei „geisteskrank“, habe „abartige Gedanken“. Am besten sei es, Hornscheidt „einschläfern“ zu lassen. Einige fordern, Hornscheidt erst an den Pranger zu stellen und dann auf den Scheiterhaufen zu werfen – und appellieren an die Medien: „Bitte geben Sie das Müll keine Plattform.“
„Das Müll“ hat Linguistik und Skandinavistik studiert, promoviert, hat sich habilitiert und hat eine Professur an der Humboldt-Universität zu Berlin inne. „Das Müll“ hat Bücher veröffentlicht, Stipendien und Preise erhalten, scheint also eine durchaus ernst zu nehmende Persönlichkeit zu sein. Aber Lann Hornscheidt provoziert. Die Person, die 1965 als Antje Hornscheidt geboren wurde, will weder als Professor noch als Professorin bezeichnet werden. „Wollen Sie mit Profx. Lann Hornscheidt Kontakt aufnehmen?“, steht auf Hornscheidts Homepage, dann solle man Anreden wie „Sehr geehrtx Profx. Lann Hornscheidt“ verwenden. Was zu vermeiden ist: „alle zweigendernden Ansprachen wie Herr, Frau, Lieber oder Liebe“.
Nachdem Feministinnen immer wieder auf weibliche Bezeichnungen in der Sprache pochen, jetzt also „Profx“? „Eine gequirlte Sch . . . sorry“, ist einer der noch harmlosen Kommentare, die derzeit im Netz kursieren. Seit Monaten wird Gift und Galle über Hornscheidt gekübelt, weil Hornscheidt geschlechtsneutrale Sprache fordert, eine Sprache, mit der sich auch diejenigen identifizieren können, die sich weder als Mann noch als Frau betrachten.
Conchita Wurst kann man nicht übersehen
Schon immer gab es Menschen, die sich aus unterschiedlichsten Gründen nicht eindeutig einer dieser Kategorien zuordnen lassen. Aber in jüngerer Zeit fordern sie lauter ihre Rechte ein und werden sichtbarer in der Gesellschaft. Spätestens nachdem Conchita Wurst beim jüngsten Eurovision Song Contest in Kopenhagen gewonnen hat, ist in der breiten Öffentlichkeit angekommen, dass das starre binäre Prinzip nicht so sakrosankt ist wie gemeinhin angenommen. Von Homosexuellen weiß man, dass sie die Grenzen des traditionellen Männer- und Frauenbildes ausreizen. In der Travestie, in der der Genderswitch gesellschaftsfähig ist, geben sich Männer als Frauen aus. Aber Conchita Wurst versucht als „Dragqueen“ keineswegs, möglichst perfekt eine Frau zu imitieren, sondern vereint Männliches und Weibliches. Die Diva mit dem Vollbart. Das schöne Starlet mit Haaren im Gesicht.
Es gibt einige Kulturen, die ein drittes Geschlecht kennen, in Indien oder Thailand etwa. Die Bewohner von Amarete in Bolivien kennen sogar zehn Gender, wobei nicht allein nach biologischem Geschlecht unterschieden wird, sondern auch soziale Aspekte eine Rolle spielen. Auch in der Antike ging man von einem dritten Geschlecht aus – und im „Symposium“ berichtet Platon von den Kugelmenschen, die männlich oder weiblich waren, während die andrógynoi beide Anteile besaßen.
In unserer Gesellschaft hat das dritte Geschlecht dagegen keine Tradition. Im Gegenteil scheint das Bedürfnis derzeit sogar besonders groß zu sein, den Dualismus Mann/Frau zu betonen. „Wir leben in einer Welt, die davon geprägt ist, dass die Unterscheidung ständig relevant gemacht wird und sehr wirkmächtig ist“, sagt Uta Schirmer. Sie arbeitet an der Universität Göttingen in der Geschlechterforschung. Eine Disziplin, die heftig attackiert wird, weil sie zwar nicht bestreitet, dass es verschiedene biologische Geschlechter gibt, aber davon ausgeht, dass sie nicht von Natur aus mit einer Rolle und einem gesellschaftlichen Wert verknüpft sind.
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