Wie kann man ältere Schwule und Lesben aus der Isolation holen? Was passiert mit diesen im Pflegeheim? Darüber macht man sich bei der Stadt Stuttgart durchaus Gedanken.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Fünf ältere Männer und ein Malefiz-Spielbrett: im Café des schwul-lesbischen Zentrums Weissenburg ist der Stammtisch Gay and Grey (Schwul und Grau) bereit für seinen Spieleabend. Für Fritz, 71, ist das eine willkommene Abwechslung, um raus aus der Wohnung zu kommen. Wie in seiner Generation üblich, lebt er „nicht offen schwul“, sondern führt ein Doppelleben: Sein Umfeld weiß nichts von seiner sexuellen Identität, auch nicht die Familie. Täglich geht er in seinem Viertel zum Bäcker, um sich mit anderen Rentnern zum Plausch zu treffen. Schwulenfeindliche Sprüche fallen dort immer mal wieder – da reißt er sich zusammen.

 

Seit 14 Jahren ist der Stuttgarter, der anonym bleiben will, ohne festen Partner. Er hat sich eingerichtet. Über das Internetportal GayRoyale für Ältere lernt er zudem Männer für gemeinsame Stunden kennen. Doch die meisten stünden doch auf Jüngere, meint er. Einmal, da war er sehr krank, hatte er Angstzustände, weil er niemanden hat, der ihn pflegen könnte. Aber eigentlich beschäftigt sich Fritz eher nicht mit dem Thema. Zu Hause in der eigenen Wohnung so lange wie möglich selbstständig leben – und irgendwann tot umfallen, so wünscht sich Fritz sein Lebensende. Es kann aber anders kommen. Und dann?

Betreute Wohngruppen sind denkbar

Während andere Großstädte, wie Berlin oder Frankfurt eigene Pflegeeinrichtungen für Lesben und Schwule haben, gibt es das in Stuttgart bislang nicht. Beim städtischen Eigenbetrieb Leben und Wohnen (ELW) wird ein komplettes separates Pflegeheim nicht für sinnvoll angesehen, aber die Geschäftsführerin Sabine Bergmann-Dietz kann sich eine betreute Wohngruppe gut vorstellen. Ihr ist es wichtig, mit dem Thema Homosexualität offen umzugehen, wie sie am Rande einer Expertenrunde über „LSBTTIQ im Alter“ anlässlich des Christopher Street Day im Rathaus sagt – LSBTTIQ steht für lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, Transgender, intersexuelle und queere Menschen. „Wenn jemand das wertneutral angehen kann, dann wir“, ist Sabine Bergmann-Dietz überzeugt.

Was bei der Expertenrunde klar wird, ist, dass in Stuttgart schon vieles gut läuft – die Aids-Hilfe zum Beispiel berichtet von positiven Erfahrungen bei der Pflege der eigenen Klientel. Andere sehen dennoch den Bedarf für besondere Wohnformen für Lesben und Schwule im Alter. Kerstin Bosse vom Sportverein Abseitz fordert diese wegen der „ganz eigenen Geschichte“ genauso wie Marion Römmele von der Frauenberatung Fetz. Zu ihr kommen immer wieder lesbische Frauen, die Angst haben vorm Pflegeheim: die befürchteten, nicht verstanden zu werden – oder nicht mitreden zu können, wenn sich die anderen nur über ihre Enkel austauschen.

Viele haben die Homosexuellenverfolgung noch erlebt

Der Einrichtungsleiter Marc Laible vom ELW glaubt, dass Bildung und Aufklärung der eigenen Pflegekräfte nun besonders wichtig ist. Schließlich hätten sie sehr viele Mitarbeiter mit anderen kulturellen Hintergründen: Wer in einem Land aufgewachsen sei, in dem auf Homosexualität die Todesstrafe stehe, gehe erst mal anders damit um. Auch für den Umgang mit Transsexuellen müsse man geschult sein. An der eigenen Altenpflegeschule des ELW gehört Diversity bereits zur Ausbildung dazu. Das könnte man aber noch intensivieren, meint Marc Laible. Gemeinsam mit dem Kollegen Rüdiger Wilhelm, der die Idee dazu hatte, wird er einen Workshop für die mittlere Führungsebene entwickeln, um diese zu sensibilisieren.

Wie viele Bewohner in den Stuttgarter Pflegeheimen zur sogenannten LSBTTIQ-Community gehören, weiß man nicht, aber es wird ihrem gesellschaftlichen Anteil entsprechen. Die wenigsten outen sich. „Das wird eher verborgen gehalten“, erzählt der Pfleger Stefan Wilbold. Das liegt aber wohl auch an der Generation: Zum Teil haben sie die Homosexuellenverfolgung noch erlebt – das wirkt bis heute nach. Sabine Bergmann-Dietz ist ein offenes Klima wichtig. Positiv sei, dass sich inzwischen Mitarbeiter klar geoutet haben, das mache es vielleicht Bewohnern leichter. Sie merkten, „da ist ein Gegenüber“.

Die Über-70-Jährigen ziehen sich zurück

Laura Halding-Hoppenheit, die „nicht als Politikerin, sondern als Mutter der Schwulen und Lesben“ spricht, lenkt den Blick auch auf diejenigen Alten, die nicht im Heim leben, aber vereinsamen. Die über 70-Jährigen zögen sich zurück aus dem Alltag. Man treffe sie höchstens noch einmal im Jahr beim Christopher Street Day. Viele seien arm. Ein Ort ohne Stigma sei für diese Menschen wichtig, glaubt sie. In der Expertenrunde hat sich der Treffpunkt 50 Plus als solch ein Ort der Begegnung ins Spiel gebracht. Hier könnten zum Beispiel Filme gezeigt oder Kartenspiele gespielt werden. „Die vergessenen Alten müssen wir noch mal in den Fokus nehmen“, sagt Sabine Bergmann-Dietz.