Die Mitarbeiter des Generationenhauses Heslach haben gemeinsam mit Harley-Davidson-Fahrern einigen Behinderten einen Traum erfüllt. Sie nahmen sie im Seitenwagen mit auf eine Stuttgart-Tour.

Stuttgart - Es ist ein guter Tag für Lisette Schweizer. Fast täglich hat die 22-Jährige schwere Spastiken, die sie an ihr Bett im Generationenhaus Heslach fesseln. Aber nicht hier und heute – jetzt erfüllt sich für die Multiple-Sklerose-Kranke ein Lebenstraum: einmal Harley-Davidson fahren. „Ich liebe Harleys, ich habe immer davon geträumt“, schwärmt sie.

 

Auch Giuseppe Di Maggio, genannt der „Casanova“, bereitet sich auf die einmalige Fahrt im Beiwagen einer Maschine vor. „Motorradfahren bedeutet für mich grenzenlose Freiheit, ich freue mich riesig auf die Fahrt“, so der 38-jährige Italiener. Vor dem Generationenhaus wird es in der Zwischenzeit eng: lederbekleidete, bärtige und kräftige Männer fahren mit ihren Harleys auf den Innenhof und scheinen jegliche Klischees der Szene zu erfüllen.

Harte Jungs auf guter Mission

Uwe Münch, ein „Freak“, wie er von seinen Kumpels genannt wird, könnte auch einem Hollywoodfilm entsprungen sein. Doch die harten, böse wirkenden Jungs sind heute auf guter Mission: sie sollen schwerstpflegebedürftigen MS-Kranken ihren Lebenswunsch erfüllen. Die Idee zu der außergewöhnlichen Aktion hatte der Einrichtungsleiter des Generationenhauses, Andreas Weber, gemeinsam mit seiner ehrenamtlichen Mitarbeiterin Elke Münch. Diese hatte vergangenen Winter einige ihrer Harleys im Haus ausgestellt.

Als diese abgeholt wurden, war das Bedauern bei den Bewohnern groß. So entstand die Idee, den kranken Menschen, die oft nur noch eine kurze Lebensdauer haben, eine Stadtrundfahrt im Beiwagen einer Harley zu ermöglichen. Elke Münch nutzte ihre Kontakte, ihr Mann Uwe ist kein Unbekannter in der Harley-Szene. „Wir sind eine große Familie und halten immer zusammen“, erklärt Uwe Münch die Harley-Philosophie. Also raus aus dem Rollstuhl, rein in den Beiwagen.

Lisette Schweizer ist derweil startklar. Ausgerüstet mit Nackenstützkissen, Helm und Gurt sitzt sie im Gespann einer rot lackierten Maschine. Ihr Fahrer: der „Freak“ höchstpersönlich. Uwe Münch dreht den Schlüssel in seiner Harley um, die Musik auf und gibt Gas. Lisette Schweizer lächelt und winkt den aufgeregten Eltern zu. Zurück bleiben die leeren Rollstühle. „Alle Mitarbeiter haben an einem Strang gezogen, um diese Aktion zu verwirklichen“, betont Andreas Weber, der Leiter der Einrichtung. Weber hält nichts von verstaubten Pflegeeinrichtungen. An den Wänden im Generationenhaus hängen keine alten Gemälde – hier machen Stars wie Tina Turner, Lady Gaga, Rihanna und Filmplakate von „Braveheart“ und „Zorro“ Stimmung. „Die Bewohner leben bis zu ihrem Tod hier, da soll es wenigstens nicht so trist aussehen“, findet Weber.

Behinderte und Motorradfahrer sind glücklich

Als der Tross nach 45 Minuten zurückkehrt, blickt man in glückliche Gesichter. „Den Wind in meinem Gesicht zu spüren war unbeschreiblich schön“, beschreibt Lisette, und Giuseppe sagt: „Ich habe die Power des Motorrads in meinem Körper gespürt, das ist Lebensfreude pur!“ Vielleicht, so hofft Andreas Weber, wird aus dieser coolen Aktion künftig sogar eine neue Tradition des Hauses. Ein kleines Andenken bleibt den Bewohnern auch in Zukunft erhalten: im vierten Stock des Hauses parkt eine Royal Enfield, das weltweit einzige Diesel-Motorrad.