Eine der heikelsten Fragen für Familienunternehmen ist, welche Rolle nachkommende Generationen im Unternehmen spielen. Das Beispiel des Motorsägenherstellers Stihl zeigt, wie es funktionieren kann.

Stuttgart - Selina Stihl macht eines ziemlich schnell deutlich: Sie ist zwar Spross der Familie Stihl, welcher der gleichnamige Weltmarktführer für Motorsägen gehört. Sie ist aber nicht von Beruf Tochter. Die 40-Jährige hat in England studiert und ist Finanzchefin bei einem Getränkehersteller in Hamburg geworden als sie noch keine 30 Jahre alt war. Weder in England noch in Hamburg habe ihr Name eine Rolle gespielt, sagt sie. 2016 ist sie nach einer Station als Stihl-Finanzchefin in Brasilien in den Beirat des Waiblinger Familienunternehmens gewechselt.

 

Stihl hat bereits 2002 entschieden, wie das Zusammenwirken zwischen Familie und Unternehmensleitung geregelt werden soll. Damals wurde festgelegt, dass die Firma künftig von einem familienfremden Manager geleitet und von der Familie vom Beirat aus gesteuert wird. Grundsätzlich gehört das Thema Generationenwechsel und Nachfolgeregelung aber zu den heikelsten Phasen in einem Familienunternehmen.

Für mittelständische Familienunternehmen in der Region Stuttgart wird die Suche nach einem Nachfolger zu einer immer größeren Herausforderung. Wird sie nicht gemeistert, trifft das nicht nur das eigene Unternehmen. „Ungelöste Unternehmensnachfolgen bedrohen die Wirtschaftskraft der Region“, sagt Thomas Jakob, Leiter Firmenkundengeschäft der Hypovereinsbank in der Region Südwest. Viele Unternehmen haben Probleme, einen passenden Nachfolger zu finden.

Die Unternehmensnachfolge ist eine Herausforderung

Die Situation verschärft sich, weil einer wachsenden Anzahl von übergabereifen Unternehmen aufgrund der demografischen Entwicklung eine sinkende Anzahl von möglichen Nachfolgern gegenüber steht. Nach einer Schätzung der Hypovereinsbank (HVB) stehen in der Region Stuttgart bis zum Jahr 2025 rund 4800 Unternehmen, in der Stadt Stuttgart rund 1300 Firmen zur Übernahme an. Davon betroffen sind in der Region rund 290 000 und in der Landeshauptstadt rund 66 000 Arbeitsplätze. Baden-Württemberg-weit rechnet die Bank bis 2025 mit rund 19 500 Unternehmen, die übergabereif sind. Die Zahl der damit verbundenen Arbeitsplätze liegt bei rund 1,1 Millionen. Nach einer Studie, der Stiftung Familienunternehmen können sich deutschlandweit von 357 befragten Nachkommen deutscher Familienunternehmen 67 Prozent vorstellen, einmal die Geschäfte in ihrem Unternehmen zu leiten.

Selina Stihl sagt, dass sie auch durch die Beiratstätigkeit nah am operativen Geschäft sei. „Die damalige Entscheidung, einen familienfremden Vorstand mit dem operativen Management zu beauftragen, war richtig und gut“, sagt sie. Mechanismen für Konflikte zwischen Firmenleitung und dem Beirat, gebe es nicht: „Ich glaube nicht, dass der Beirat komplett andere Ideen hat als die familienfremden Manager. Im Gegenteil. Wir stehen regelmäßig in Kontakt und tauschen uns aus zu bestimmten Themen.“ Bevor die ganz großen Entscheidungen gefällt werden, habe man sich in der Regel schon grob verständigt. „Das ist eine sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit.“

Die nächste Generation sammelt extern Erfahrungen

Um sich auf die Arbeit im Familienunternehmen vorzubereiten, sammeln laut der Studie der Stiftung 61 Prozent der Nachkommen Erfahrungen außerhalb des Familienunternehmens.

So war es auch bei Selina Stihl, die 2011 am Standort Brasilien die Verantwortung für die Bereiche Finanzen, Controlling, Personal, IT und Infrastruktur übernahm. Dass sie die Position bekommen habe, sei vor allem auf ihre Eigeninitiative zurückzuführen, sagt sie. In Brasilien hat sie gelernt, dass es nicht nur von Vorteil ist, als Familienmitglied Führungspositionen zu bekleiden.

„In Brasilien habe ich gemerkt, dass man als Familienmitglied auf jeden Fall anders behandelt wird“, sagt sie. „Es hat ungefähr ein halbes Jahr gedauert, bis der Schrecken überwunden war, dass dort jetzt ein Familienmitglied ist“, sagt sie und lacht.

Die Familienzugehörigkeit hat aber freilich auch ihre positiven Seiten: „Meine Familie hat mir eine sehr gute Ausbildung ermöglicht“, so Selina Stihl. „Das hat mir Sicherheit gegeben, mich nicht zu verbiegen, um voran zu kommen.“

Mit der Zeit nimmt die Bindung zum Familienunternehmen ab

Selina Stihl gehört der dritten Generation der Unternehmerfamilie an. Gemeinsam wollen die Stihls auch die vierte Generation ans Unternehmen binden. „Das ist wichtig, denn je weiter die Nachkommen von der Gründungsgeneration entfernt sind, desto geringer wird die Bindung“, so Stihl. „Darum überlegen wir uns Programme, um die Jugend für das Unternehmen zu interessieren.“ So gibt beispielsweise eine Whatsapp-Gruppe für die Nachkommen, es gibt Führungen, Schulungen und Praktika. Die vierte Generation besteht aus zehn jungen Leuten zwischen 16 und 25 Jahren. „Unser Ziel ist, den Beirat auch in Zukunft mit Familienmitgliedern zu besetzen.“

Für Selina Stihl war nicht immer klar, dass sie eine Rolle im Familienunternehmen spielen wird: „Als Kind hätte ich mir auch vorstellen können, Architektin zu werden“, sagt sie. Die Familie habe sie während ihrer Jugend in keine Richtung gedrängt. Dort habe nur die Regel gegolten, dass man sich anstrengen muss – unabhängig davon, welchen Weg man einschlägt.

„Die Vertreter der nachrückenden Generation sind eng mit den klassischen Werten und Traditionen des Familienunternehmens verbunden“, sagt Reinhard Prügl vom Friedrichshafener Institut für Familienunternehmen (FIF) an der Zeppelin Universität. „Gleichzeitig sind sie aber auch entschlossen, neue unternehmerische Impulse zu setzen, insbesondere in der Digitalisierung.“ Das Institut hat für die Stiftung die Sudie durchgeführt. Demnach geben nur 28 Prozent der Befragten an, mit dem Stand der Digitalisierung zufrieden zu sein.

Stihl hat bei der Digitalisierung Gas gegeben

„Bei der Digitalisierung sind wir schon ziemlich weit“, sagt hingegen Stihl. Der Motorsägenhersteller sei in allen relevanten Probierfeldern aktiv. So habe das Unternehmen jetzt etwa einen Digitalmanager aus dem Silicon Valley. Außerdem sei Stihl im High-Tech Gründerfonds investiert, Partner bei dem Accelerator Activatr und halte eine Beteiligung an dem israelischen Start-up Green IQ. Nachholbedarf sieht sie am ehesten im administrativen Bereich.

Mit ihrer Rolle im Familienunternehmen ist Selina Stihl sichtlich zufrieden. Und wer sie danach fragt, wo sie sich in zehn Jahre sieht, sagt sie wie aus der Pistole geschossen: „In unserem Beirat.“