Der Bundespräsident geht beim Gedenken an die vom Osmanischen Reich verübten Massaker an Armeniern vor 100 Jahren erneut auf Konfrontationskurs zur Türkei.

Berlin - Der Streit mit der Türkei über das Gedenken des Genozids an den Armeniern vor nunmehr 100 Jahren dürfte weiter an Schärfe gewinnen. In einem Ökumenischen Gottesdienst im Berliner Dom benannte Bundespräsident Joachim Gauck am Donnerstagabend die Massaker als Völkermord – ebenso die führenden Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche in Deutschland, Kardinal Reinhard Marx und Landesbischof Heinrich Bedford Strohm. Gauck hielt sich dabei an der zentralen Stelle seiner Rede wortgleich an die Formulierung, die an diesem Freitag auch im Bundestag zur Abstimmung steht: „Das Schicksal der Armenier steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von der das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist.“

 

Die Bundesregierung hatte zunächst versucht, den Begriff Völkermord zu vermeiden und Druck auf die Koalitionsfraktionen ausgeübt, damit der Begriff im Bundestagsantrag nicht auftaucht. Man wollte die Türkei nicht brüskieren und den Nationalisten dort bei den Parlamentswahlen im Juni nicht zusätzlich Auftrieb verschaffen. Am vergangenen Wochenende gab die Regierung diesen Kurs aber auf, nachdem in den Fraktionen Widerstand aufkeimte und zudem in Verhandlungen mit dem Präsidialamt klar wurde, dass Gauck nicht auf eine entsprechende Einordnung bei dem Gedenkgottesdienst am Abend vor der Bundestagsdebatte verzichten werde.

„Wir können unsere eigene Menschlichkeit nur bewahren, wenn nicht nur die Sieger die Geschichte und das Gedächtnis von uns Lebenden bestimmen, sondern auch die Geschlagenen und die Verlorenen, die Verratenen und die Vernichteten“, sagte Gauck. Es gehe darum, „und sei es nach 100 Jahren, die planvolle Vernichtung eines Volkes in ihrer ganzen schrecklichen Wirklichkeit zu erkennen, zu beklagen und zu betrauern“. Der Bundespräsident warnte allerdings auch davor, die Debatte über diesen Völkermord „auf Differenzen über einen Begriff“ zu reduzieren. Er griff damit ein Argument auf, dass dem zunächst zögerlichen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) wichtig war.

Auch versöhnliche Worte für die Türkei

An die Türkei sendete Gauck versöhnliche Töne. Nur weil man an die Gräueltaten erinnere, setze man „niemanden, der heute lebt, auf die Anklagebank“, so der Präsident. Die Täter von einst würden nicht mehr leben, und „ihren Kindern und Kindeskindern ist jene Schuld nicht anzulasten“. Was allerdings die Nachfahren der Opfer erwarten dürften, sei „die Anerkennung historischer Tatsachen und damit auch einer historischen Schuld“. Darüber müsse geredet werden, „damit kein Diktator, kein Gewaltherrscher und niemand, der ethnische Säuberungen für legitim hält, erwarten kann, dass man seine Taten ignoriert oder vergisst.“

Gauck stellte, ebenso wie die kirchlichen Würdenträger, Bezüge zur deutschen Geschichte her. Man habe selbst „mühevoll und teilweise mit beschämender Verzögerung gelernt“, Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus zu übernehmen. Dem Bundespräsidenten war auch wichtig, die „Mitschuld“ der Deutschen an dem Genozid an den Armeniern heraus zu arbeiten. So seien es deutsche Militärs gewesen, die an der Organisation der Deportation beteiligt gewesen seien.

Der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, wurde noch deutlicher: „Hier müssen wir mit Beschämung den Ausdruck einer Erosion ethischer Normen erkennen, die später in Deutschland selbst in der Shoah ihren fürchterlichen Ausdruck fand.“ Nur wenn Deutschland diese Mitverantwortung anerkenne, könne man „die Türkei dazu ermutigen, sich aufrichtig und objektiv mit dem Verbrechen des Genozids auseinanderzusetzen“, so Bedford-Strohm.

Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx berief sich auf Papst Franziskus, der das Verbrechen „Völkermord“ genannt hatte. Angesichts dieses „Menschheitsverbrechens“ sei es wichtig zusammenzukommen, „um den Schrecken beim Namen zu nennen und so einen Weg zu beschreiten, den Schrecken zu bannen und Wege des Neuanfangs und der Versöhnung zu gehen“, sagte Marx.