Die Crispr-Technik eröffnet die Chance, Defekte im Embryozu reparieren – eine Vision, die Sorgen auslöst.

Stuttgart - Es wird noch ein paar Monate dauern, bis sich die Bedeutung der Nachricht aus Portland genau bemessen lässt. Ein US-amerikanisches Wissenschaftlerteam um den Stammzellforscher Shouhkrath Mitalipov hat, wie berichtet, kürzlich zum ersten Mal menschliche Embryos erzeugt, bei denen ein Defekt im Erbgut durch den Einsatz einer Genschere repariert wurde. Dieser Schritt öffnet den Weg zu einer neuen Therapie gegen Erbkrankheiten – gleichzeitig wächst aber auch die Sorge vor einem Designerbaby, bei dem die Eltern die Eigenschaften ihrer Kindern auswählen können.

 

Mitalipov nutzt für seine Experimente die Methoden der künstlichen Befruchtung. Die eingesetzten Spermien hatten einen genetischen Fehler, aus dem eine erblich bedingte Herzmuskelschwäche entstehen kann. Die Forscher befruchteten insgesamt 58 Eizellen, die sich mehrere Tage im Labor entwickeln konnten, bevor sie zerteilt wurden. Bei 42 Embryos hat die Reparatur der DNA funktioniert. Dort fanden die Forscher nur die korrekte Variante des fraglichen Gens (MYBPC3).

Schon mehrere Versuche

Das Experiment an der Oregon Science and Health University war nicht der erste Versuch, das Erbgut eines menschlichen Embryos im Rahmen einer künstlichen Befruchtung zu verändern. Mehrere Forschergruppen aus China waren im vergangenen Jahr daran gescheitert. Viele Experten hatten deshalb vermutet, dass ein gezielter Eingriff in die menschliche DNA in absehbarer Zeit nicht möglich sei. Shouhkrat Mitalipov hat nun bewiesen, dass es geht. Nach allem, was man bisher weiß, haben sich die Embryos normal entwickelt. Es wäre möglich, sie in die Gebärmutter einzupflanzen.

Diesen Schritt wird sich derzeit niemand trauen. Nicht nur weil, dass in den meisten Ländern der Welt verboten ist. Andere Forscher werden zunächst überprüfen, ob Mitalipovs Erfolg nicht doch nur auf einem Zufall beruht. Und ob er sich auf andere Erbkrankheiten übertragen lässt. Aus der Sicht der Genforscher ist das Fleißarbeit, die nun erledigt werden muss, falls die gesetzliche Situation im jeweiligen Land diese Art der Forschung überhaupt erlaubt. In Deutschland ist sie verboten.

Die Forschergruppe aus Portland hatte eine weitere gute Idee. Sie setzte die Genschere direkt in dem Moment ein, wenn Eizelle und Spermium verschmelzen und die DNA des Embryos geschrieben wird. Die chinesischen Gruppen hatten das Crispr/Cas9-System erst nach der künstlichen Befruchtung hinzugefügt.

Anwalt der Patienten

Wer Mitalipov kennenlernt, erwartet vielleicht einen Menschen vom Typ Viktor Frankensteins – einen besessenen Wissenschaftler, der kompromisslos und übereifrig sein Leben einem Ziel unterordnet. Doch der gebürtige Kasache macht einen anderen Eindruck. Er ist ein akribischer Forscher, der seine Experimente sorgfältig plant. Mitalipov berichtet, dass sein Interesse an Fortpflanzungsmedizin durch die Geburt des ersten Retortenbabys, Louise Brown, entstanden sei. Der 55-Jährige ist ein ruhiger Zuhörer, kennt die ethischen Debatte um seine Arbeit und scheut die Diskussion darüber nicht. Es gibt einen Satz, den er immer gern wiederholt: „Die Menschen, die die Krankheiten haben, kommen in der Debatte viel zu selten zu Wort“, sagt er. Der Forscher wird in dieser Perspektive zum Anwalt des Patienten.

Das Werkzeug, das Mitalipov verwendet, hat die Möglichkeiten der Gen-Chirurgie in den vergangenen fünf Jahren umgekrempelt. Die Methode heißt Crispr/Cas9 und ist ein natürliches Enzym, mit dem Zellen ihr eigenes Erbgut schützen. Das Enzym trägt eine Art Vorlage, die es mit der DNA in der Zelle vergleicht. Gibt es eine Abweichung, schneidet der Mechanismus den DNA-Strang genau an dieser Stelle durch und ein Reparaturverfahren beginnt. Wenn die Wissenschaftler Crispr/Cas9 verwenden, tauschen sie die natürliche Vorlage gegen ein von ihnen gewähltes Muster, das der Genschere zeigt, wo sie schneiden soll. In diesem Fall ist es das defekte Gen MYBPC3.

Besonders niedrige Fehlerrate

Mitalipovs Arbeit ist deshalb bemerkenswert, weil die Fehlerrate bei seiner Versuchsreihe besonders niedrig ist. Kritiker des Verfahrens hatten es bisher leicht: Sie lehnten Crispr/Cas9 generell als unverantwortbar ab, weil die Nebenwirkungen zu groß waren. Dieses Argument könnte nun an Gewicht verlieren. Das Crispr/Cas9-System ist zwar präzise, aber es zerschneidet die DNA meistens nicht nur an der gewünschten Stelle, sondern greift häufig auch andere Abschnitte mit einer ähnlichen Struktur an. Diese sogenannten Off-Target-Effekte können gravierende Nebenwirkungen haben. Deshalb haben die US-Forscher das Erbgut ihrer Embryos immer wieder kontrolliert – und bisher keine fehlerhaften Schnitte gefunden.

Wenn Wissenschaftler mit Embryos arbeiten, gibt es noch ein weiteres Problem. Die gewünschte Korrektur im Erbgut muss in jeder einzelnen Zelle gelingen, sonst entsteht ein Mosaik aus krankem und gesundem Gewebe. Dieser Fehler trat nur bei einem der 42 Embryos auf. Das könnte die eigentliche Sensation sein. Denn die Befunde zeigen, dass die Genschere ein weitaus größeres Potenzial besitzt als erwartet. Ein Crispr-Baby scheint möglich zu sein. Ein solches Kind würde durch die Eingriff in die Keimbahn den Gendefekt nicht mehr an seine Nachkommen weitergeben.

Rückschlag für „Designer-Baby“

Ein anderes Ergebnis hat selbst die US-Forscher überrascht. Die Wissenschaftler geben ihrer Genschere meistens noch ein kleines DNA-Schnipsel mit auf den Weg, das an der Schnittstelle eingebaut werden kann. Doch in den Embryos fand sich dieser Ersatz nicht wieder. Das DNA-Stückchen, mit dem das defekte MYBPC3-Gen korrigiert wurde, erwies sich als Kopie einer gesunden Variante aus dem Erbgut der Mutter. Offenbar greifen Eizelle und Spermium während der Reparatur lieber auf vorhandene Gen-Abschnitte zurück, statt fremde Fragmente zu verwenden. Diese Art der Selbstheilungseffekt könnte verhindern, dass in Menschen fremde Gene eingeschleust werden, die sie zu Superwesen machen sollen. So gesehen sind die Ergebnisse aus Portland ein Rückschlag für sämtliche Versuche, ein Designer-Baby zu erschaffen.

Die Arbeit von Mitalipov produziert viele Fragen und Debatten, die in den nächsten Jahren geführt werden müssen. Es geht dabei um Embryonenschutz und unseren Umgang mit Krankheiten. Manche Kritiker halten das Verfahren generell für falsch, weil jeder korrigierte Embryo vor dem Einsetzen in der Gebärmutter mit Präimplantationsdiagnostik (PID) auf Fehlerfreiheit untersucht werden müsste. Nur der beste wird ausgewählt, die anderen wohl vernichtet. Die PID darf schon heute bei ausgewählten Krankheiten eingesetzt werden, wenn zwei Träger defekter Gene sich für Nachwuchs entscheiden, um nicht betroffene Embryos zu finden.

Shouhkrat Mitalipov

Wissenschaftler
Shouhkrat Mitalipov studierte in Moskau Genetik und Biologie. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zog es den gebürtigen Kasachen für ein dreiviertel Jahr nach Münster, bevor er 1995 in die USA ging.

Resultate Der Forscher wurde 2007 bekannt, weil er als erster Wissenschaftler Affen klonen konnte. 2013 erzeugte er menschliche Embryonen durch Klonen. Außerdem hat er ein Verfahren entwickelt, mit dem sich Erbkrankheiten in den Mitochondrien reparieren lassen. Dabei entstehen Babys, die drei genetische Eltern haben. Die Methode ist in Großbritannien und Schweden bereits erlaubt.

Forderungen In Deutschland sind solche Experimente verboten. Damit auch hierzulande genetische Erkrankungen und Crispr/Cas9 untersucht werden können, fordern Wissenschaftsorganisationen die Freigabe von überzähligen Embryonen aus der Reproduktionsmedizin für hochrangige Forschungszwecke.