Gentechnik gegen Insekten als Krankheitsüberträger So rotten sich Mücken gegenseitig aus

Ein Schwarm Stechmücken fliegt in der Abenddämmerung. Den Krankheitsüberträgern und Pflanzenschädlingen soll mithilfe von Gentechnik der Garaus gemacht werden. Foto: dpa/Patrick Pleul

Gentechnisch veränderte Insekten sollen Krankheiten verhindern und Pflanzen vor Schädlingen schützen. Was nach einer verrückten Idee klingt, findet immer mehr Befürworter.

Stuttgart - Fast zehn Jahre haben die Bewohner der Florida Keys gestritten, ob sie den neuartigen Insekten im Kampf gegen die Mückenplage vertrauen wollen. Nun ist die Entscheidung gefallen. Die Behörden der Inselgruppe vor der Südspitze Floridas erlauben den Test von gentechnisch veränderten Mücken. Im kommenden Jahr soll das Experiment beginnen.

 

Hunderttausende Mückenmännchen aus dem Gen-Labor schwirren dann aus und suchen nach wild lebenden Weibchen, um sich mit ihnen zu paaren. Die Paarung liefert ein anderes Ergebnis, als es die Natur vorsieht. Denn die Männchen tragen eine gentechnische Veränderung in ihrem Erbgut. Sie bewirkt, dass nur männlicher Nachwuchs überlebt. Damit verringert sich die Zahl der Weibchen von Generation zu Generation.

Die Mücken sind das Premiumprodukt bei Oxitec

Auf diesem Weg sollen die gefährlichen Mücken langsam aussterben. So lautet zumindest der Plan des Mückenlieferanten Oxitec. Das britische Unternehmen gilt als Weltmarktführer bei der Produktion gentechnisch veränderter Insekten. Die Mücken sind das Premiumprodukt bei Oxitec.

Die Firma nennt sie „freundliche Moskitos“. Die Umsetzung des Plans ist denkbar einfach. Oxitec liefert Gefäße mit getrockneten Eiern, die die Bewohner der Keys in ihren Gärten aufstellen. Sie gießen Wasser hinein, und die Insekten schlüpfen. Dass mehr Mücken umherfliegen, soll die Menschen nicht beunruhigen. Sie müssen keine Stiche befürchten, denn nur die Weibchen saugen Blut, das sie für die Entwicklung der Eier benötigen.

Gegründet wurde Oxitec 2002 als Start-up an der Universität Oxford. Die Entwicklung der Mücken inklusive des langen Wegs einer Zulassung durch die Behörden in Brasilien und jetzt auch in den USA dauerte rund zwölf Jahre. Oxitec hatte immer Gönner und Investmentfonds, die die Firma über Wasser hielten. Inzwischen übertragen die Gentechniker das DNA-Schnipsel für ausschließlich männlichen Nachwuchs auch auf andere Insekten, die als fressende Schädlinge weltweit Ernten bedrohen.

Die Tigermücke wird weltweit gefürchtet

Die Bayer AG investiert einen zweistelligen Millionenbetrag in ein neues Oxitec-Projekt gegen die Larve des Eulenfalters, der sich viermal im Jahr fortpflanzt. Der aus Südamerika stammende Herbstherrwurm hat die Mais- und Getreidefelder Afrikas erreicht. Oxitec könnte zudem bereits gentechnisch veränderte Kohlmotten, Baumwollkapselwürmer und Olivenfliegen liefern. „Wir brauchen einen Weg, um die Öffentlichkeit vor Krankheiten zu schützen, die durch Moskitos übertragen werden, und das sieht nach einer brauchbaren Technologie aus“, sagt Bob Eadie, Health Officer in Monroe County und zuständig für die Florida Keys. Eadie kümmert sich täglich um den Kampf gegen die Ägyptische Tigermücke (Aedes aegypti). Diese tagaktive Mückenart wird weltweit gefürchtet. Die blutsaugenden Weibchen übertragen Krankheiten wie Gelbfieber, Zika, Chikungunya und das Dengue-Fieber. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) müssen jedes Jahr 500 000 Patienten mit Dengue-Fieber im Krankenhaus eingewiesen werden. Eine Therapie gibt es nicht.

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2009 brach die erste Dengue-Epidemie auf den Keys aus. Seitdem verursachen die Stiche der Mücken jedes Jahr neue Krankheitsfälle. Zwar gehörten bisher nur vier Prozent aller Moskitos auf den Keys zur Art Aedes aegypti, „doch wir beobachten, dass eine große Population von den Sumpfgebieten der Everglades herüberweht“, erklärt Eadie die Ergebnisse einer Insektenzählung im Sommer 2020. Die Einsatztrupps der Mückenbekämpfer rücken den Insekten deshalb regelmäßig mit Pestiziden zu Leibe. Aber Aedes aegypti reagiert und entwickelt langsam Resistenzen. Der Giftcocktail, der in Florida vom Lkw und aus der Luft versprüht wird, verliere an Wirkung, berichtet Bob Eadie.

Die Population kann um 96 Prozent verringert werden

Die Probleme im Süden Floridas stehen exemplarisch für andere Regionen. Der Kampf gegen Aedes aegypti gewinnt weltweit an Bedeutung. Mit dem fortschreitenden Klimawandel breitet sich die Tigermücke Richtung Norden aus. Oxitec hat seine Mücken in mehreren Freisetzungsversuchen zwei Jahre in Brasilien erfolgreich getestet. Mit dem Hightechprodukt konnte die ursprüngliche Population im Schnitt um etwa 96 Prozent verringert werden, berichtet die Sprecherin, Meredith Fensom. Doch wenn die Gentechnik-Männchen nicht mehr fliegen, kehrt Aedes Aegypti langsam in die Region zurück. Wer die gefährliche Mücke dauerhaft vertreiben will, muss die Hightechvariante mehrmals im Jahr aussetzen. In dieser regelmäßigen Anwendung sehen die Gegner des Verfahrens die größte Gefahr. Sie fürchten, dass die eingebauten Gene auf andere Arten und in andere Regionen übertragen werden. Oxitec bestreitet das: Die Ausbreitung werde durch das Fehlen der Weibchen wirkungsvoll begrenzt.

Einige Weibchen könnten trotzdem überleben

Noch fehlen umfangreiche unabhängige wissenschaftliche Studien zu den Folgen der Freisetzungsexperimente, die von beiden Seiten anerkannt werden. Forscher der US-Universität Yale berichteten 2019, dass die Gene der Oxitec-Mücken in Brasilien auch noch sechs, zwölf und 30 Monate nach der letzten Freisetzung in wild lebenden Mücken nachgewiesen werden können. Sie vermuten, dass beim Nachwuchs einige Weibchen trotz der Genmanipulation überleben. Ob davon ein großes Risiko ausgeht, ist offen, möglicherweise ist es geringer als der Schaden durch die Anwendung der Pestizide.

Oxitec hat die Bewohner der Keys in vielen Diskussionsrunden auch ohne abschließende Untersuchungen zu den Nebenwirkungen der Mücken überzeugen können. Das Ergebnis einer Volksabstimmung wäre für die Behörden nicht bindend gewesen, aber in 31 von 33 Bezirken haben die Menschen dem Versuch zugestimmt.

Der Ansatz von Oxitec

Veränderte Männchen spielen bei der Regulierung von Schädlingen in der Landwirtschaft schon lange eine Rolle. Seit den 1950er Jahren werden Insekten durch radioaktive Bestrahlung sterilisiert und freigesetzt. Bei der Paarung mit wilden Weibchen bleibt dann der Nachwuchs aus. Die bestrahlten Männchen sind aber den natürlichen Artgenossen unterlegen und paaren sich seltener. Der genetische Eingriff beeinflusst nur den Stoffwechsel der weiblichen Mückenlarven. Bei ihnen wird ein Eiweiß in so großen Mengen produziert, dass andere Substanzen nicht mehr gebildet werden. Dieser Trick verhindert die Entwicklung der Mückenweibchen. Mit dieser Technik versuchen Forscher eine Spezies fast vollständig aussterben zu lassen. Ein neues DNA-Schnipsel im Erbgut, das von Generation zu Generation weitergegeben wird, bewirkt, dass sich Insekten schlechter fortpflanzen können. Ein großes Problem dieser Technik liegt darin, dass sich der Gendefekt möglicherweise auf andere Spezies überträgt.

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