Die Unterwasserwelt ist faszinierend. Aber nicht nur die vielen unbekannten Lebewesen fesseln Forscher. Es gibt wohl weit mehr Vulkane unter den Weltmeeren als bisher angenommen. Das deutsche Forschungsschiff Sonne holt aus den Tiefen vulkanisches Gestein, um es genauer zu untersuchen.

Stuttgart - Der Fuji in Japan und der Kilimandscharo in Tansania, der Mount St. Helens in den USA und der Ätna auf Sizilien – so sieht ein echter Vulkan aus. Das Gebilde auf dem Computerbildschirm an Bord des Forschungsschiffes Sonne – mehr als 500 Kilometer vor der Küste von Namibia – aber ähnelt diesen Bergen bestenfalls entfernt: Aus dunkelblauen Tiefen steigen zwar Bergflanken in grünen und gelben Farbtönen steil in die Höhe. Auch das Rot der Gipfelregion erinnert ein wenig an glühende Lava. Nur zeichnet diese Farbe nicht etwa einen Krater nach, sondern zeigt eine glatte Hochebene.

 

Lava vom Grund der Ozeane

Eine Zahl auf dem Bildschirm verrät, dass über dem Berggipfel noch beinahe zweitausend Meter Wasser liegen. Die Farben sind ebenfalls nicht echt, sondern vom Computerprogramm erzeugt. Der Tafelberg sieht keineswegs wie ein Vulkan aus. Der Geologe Reinhard Werner vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (Geomar) sagt, dass es sich um einen längst erloschenen Vulkan handelt. Mehr noch: „Unter dem Spiegel der Weltmeere könnten sich noch rund eine Million weiterer Vulkane verbergen“, schätzt der Forscher.

Ein Blick auf Karten vom Meeresgrund untermauert diese Vermutung rasch. Nicht nur im Atlantik, sondern überall in den Weltmeeren tauchen jede Menge einzelne Berge und ganze Gebirgszüge auf. Wohl die meisten von ihnen haben eine lange Geschichte hinter sich, die häufig mit Lava beginnt, die aus dem Untergrund dringt. Das beweisen auch die Proben, die Reinhard Werner und seine Kollegen weit vor der Küste Namibias von einem Walvis-Rücken genannten Gebirgszug aus einigen Tausend Metern Wassertiefe geholt haben. Neben einigen hellen Steinen haben sie auch dunkle Brocken gefunden, bei denen es sich eindeutig um Lava und andere Trümmer aus Vulkanen handelt. Am Walvis-Rücken ist die Aktivität längst erloschen, die Lavaproben von dort sind etliche Millionen Jahre alt. Genauso ist es bei den meisten anderen Vulkanen unter den Wellen der Ozeane.

Unruhe in der Tiefsee

So entstand nordöstlich von Neuseeland eine ganze Kette von Unterwasservulkanen, als sich die gigantische Erdplatte, die auf ihrem Rücken große Teile des Pazifiks trägt, unter die Australische Platte schob. In der Pazifikplatte aber steckt reichlich Wasser, das in der Tiefe aus dem heißer werdenden Gestein austritt und in den heißen Erdmantel übergeht, in den die Platte inzwischen eintaucht. Dadurch schmilzt ein Teil des Mantelgesteins auf, Magma entsteht und beginnt durch die darüber liegende Erdkruste hochzusteigen. Erreicht dieses Magma den Meeresgrund, bricht dort unter Wasser ein Vulkan aus. Das passiert an etlichen Stellen entlang der rund 2500 Kilometer langen Linie, an der die Pazifikplatte zwischen Neuseeland und südlich der Samoa-Inseln abtaucht.

Dort beobachten Geowissenschaftler wie Cornel de Ronde vom Geoforschungsinstitut GNS in Neuseeland schon lange die Aktivitäten des Vulkans Monowai, der rund 400 Kilometer südwestlich von Tonga aus 2000 Meter Tiefe bis nahe an die Wasseroberfläche reicht. Verschiedene Schiffe hatten diesen Vulkan bereits 1998, 2004 und 2007 mit Schallwellen aus ihren sehr präzisen Echolotgeräten vermessen. 2011 hatte auch die Sonne den Berg genau kartiert. Jedes Mal erhielten die Forscher eine neue Karte vom Gipfel des Vulkans, die sich erheblich vom Relief der vorherigen Messung unterschied. Selbst zwischen Messungen am 14. Mai und am 1. und 2. Juni 2011 lag der Meeresboden an einer Stelle plötzlich 72 Meter tiefer. Offensichtlich hatten heftige Eruptionen die Landschaft unter Wasser zwischenzeitlich umgestaltet.

Ein Vulkan bricht aus

Empfindliche Messgeräte an Bord der Sonne und auf den Cook-Inseln hatten diese Ausbrüche auch registriert. Als Reinhard Werner und seine Kollegen aber um 9 Uhr des ersten Januar 2013 auf einer weiteren Forschungsfahrt mit dem Fächerecholot der Sonne die nächsten Karten des Vulkans erstellten, fanden sie sich plötzlich mitten in einer Eruption wieder, die sie sogar auf Video aufzeichneten. „Wir hörten plötzlich Geräusche wie Kanonenschläge unter Wasser, und die Wasseroberfläche hob sich mehrmals wie bei der Explosion von Unterwasserbomben“, erinnert der Forscher sich. 50 Meter unter Wasser war der Monowai wieder ausgebrochen. Als die Schockwelle dieser Eruption nach oben donnerte und ausgeschleuderte Vulkanasche das Wasser viele Meter seitlich von der Sonne verfärbte, brachen sie die Vermessung aus Sicherheitsgründen sofort ab, und das Schiff vergrößerte den Abstand zum ausbrechenden Vulkan schnell.

Die höchsten Berge der Erde

Am Walvis-Rücken vor der Küste Namibias erreichen solche Schockwellen die Wasseroberfläche längst nicht mehr. Dort sind die Vulkane seit vielen Millionen Jahren erloschen. Ohnehin taucht in dieser Region keine Erdplatte in die Tiefe, sondern gleitet über eine Stelle im Erdinneren hinweg, die Geoforscher Hotspot nennen. Ein solcher Hotspot kann bis zu 200 Kilometer Durchmesser haben und schmilzt sich wie ein Schweißbrenner durch die feste Erdkruste.

Auch dort fließt Lava aus dem Untergrund. Weil immer neue Lava nachkommt, wächst der neu entstandene Unterwasservulkan langsam in die Höhe und durchbricht unter Umständen den Meeresspiegel. Solche Inselvulkane können zu wahren Giganten wachsen. Die Hawaii-Hauptinsel misst vom Meeresgrund bis zum Gipfel des Hotspotvulkans rund zehntausend Meter.

Ein Tafelberg entsteht

Die Erdplatte wandert in dieser Zeit weiter, und irgendwann verliert der Vulkan seine Verbindung zum Hotspot. Der Nachschub an Magma bleibt aus, und das Wachstum stoppt. Regenfälle waschen mit der Zeit immer mehr Material vom Krater und von den Hängen ab, schwemmen es nach unten. An den Küsten nagen die Wellen, der erloschene Vulkan schrumpft. Dabei flacht der Gipfel immer weiter ab, am Ende entsteht aus ihm eine Ebene, wie sie die Berechnungen des Forschungsschiffes Sonne zeigen.

Die Erdplatte ist dann schon längst viel weiter gewandert. Etliche Kilometer vom erloschenen Vulkan entfernt schmilzt sich der Hotspot-Schweißbrenner erneut durch die Erdkruste, ein neuer Vulkan bricht aus, und die Geschichte wiederholt sich. Mit der Zeit entsteht so eine lange Kette von Vulkanen, die Geologen „Hotspot-Spur“ nennen. Davon gibt es etliche in den Weltmeeren.

Ein Vulkan sinkt ab

Das heiße Gestein des Hotspots lässt nicht nur Vulkane ausbrechen, sondern braucht auch mehr Platz und wölbt daher die Erdkruste auf. Ist die Erdplatte weitergewandert, versiegt nicht nur der Nachschub an Magma, sondern verringert sich auch der Wärmefluss aus der Tiefe. „Die Erdkruste kühlt ab, senkt sich wieder, und die erloschenen Vulkane versinken mit der Zeit unter dem Meeresspiegel“, erklärt Geomar-Forscher Reinhard Werner. Diese Berge tief unter Wasser entdecken Wissenschaftler daher normalerweise nur, wenn sie den Meeresgrund zum Beispiel mit einem Fächerecholot wie dem auf der Sonne kartieren.

In warmen Regionen der Weltmeere beginnen an den Unterwasserhängen der Inselvulkane bald Korallen zu wachsen. Sinkt die Erdkruste mitsamt Vulkan und Korallenriff an seinen Hängen ab, wachsen die Korallen nach oben, um weiter Sonnenlicht einfangen zu können, das winzige Algen in ihrem Inneren zum Leben brauchen. Verschwindet der Vulkan völlig unter Wasser, bleibt nur das Korallenriff übrig.

„So sind fast alle Korallen-Atolle der tropischen Meere entstanden“, erklärt Reinhard Werner einen Zusammenhang, den bereits Charles Darwin auf seiner Expedition mit dem Forschungsschiff Beagle zwischen 1831 und 1836 herausgefunden hatte. Was der Geologe und spätere Vater der Evolutionstheorie damals noch nicht wissen konnte: Wachsen die Korallen langsamer, als die Erdkruste absinkt, tauchen die Atolle ab. Das helle Gestein, das die Forscher von den Tafelbergen des Walvis-Rückens an Bord der Sonne geholt haben, sind die Reste eines ehemaligen Korallenriffs.