Neuseeland ist die Spitze eines achten Kontinents, sagen manche Geologen. Sie nennen ihn Zealandia. Sein größter Teil liegt bis zu 1500 Meter unter dem Meer, weil die Kontinentalplatte auseinandergezogen wurde und deshalb dünner ist als andere.

Stuttgart - Einen ganzen Kontinent haben Geoforscher einfach übersehen. Davon ist Hamish Campbell vom neuseeländischen Geoforschungsinstitut GNS überzeugt. Er hat jede Menge Hinweise auf diesen Kontinent gesammelt, der vor 23 Millionen Jahren fast vollständig überflutet war. Auch heute ragen nur sieben Prozent seiner Landmasse aus den Wellen des Pazifiks. Die größten Teile davon sind die Inseln Neukaledoniens im tropischen Nordwesten und das mehr als zehnmal größere Neuseeland im gemäßigten Klima weiter im Südosten.

 

Weil der größte Teil dieses „Zealandia“ genannten Kontinents unter Wasser liegt, hat man ihn lange nicht erkannt. Erst als Neuseelands Geowissenschaftler den gefluteten Teil in den 90er Jahren kartierten und mit modernen Methoden analysierten, erlebten sie eine Überraschung: Am Grund des Pazifiks liegt dort ganz ähnliches Gestein, wie das, aus dem nahezu überall auf der Erde die Kontinente bestehen.

Die wichtigsten Bestandteile des Materials sind Silizium und Aluminium, typisch ist zum Beispiel Granit. Der Untergrund der Ozeane dagegen enthält neben Silizium viel Magnesium und hat eine größere Dichte. Dort kommt häufig Basaltgestein vor. „Ähnlich wie die fette Sahne auf der Milch schwimmen daher auch die Kontinente oben, und die schwerere Meereskruste liegt tiefer“, erklärt Hamish Campbell.

Die Kontinentalplatte ist zu dünn, um in die Höhe zu ragen

Neben Europa, Asien, Afrika, Nord- und Südamerika sowie der Antarktis und Australien gibt es also anscheinend noch einen achten Kontinent. Weshalb dieses Zealandia unter den Wellen des Pazifiks liegt, klärt sich bei einem Blick in die geologische Geschichte der Region. Vor 125 Millionen Jahren begann sich im Nordosten einer Landmasse, die unter anderen das heutige Australien und die Antarktis umfasste, ein Graben zu öffnen. Die Regionen im Nordosten wurden dadurch vom Rest dieses „Gondwana“ genannten Superkontinents weggedrückt. Spätestens als vor etwa 85 Millionen Jahren der Pazifik den neuen Graben mit Meerwasser flutete, entstand nicht nur der heutige Meeresarm zwischen Australien und Neuseeland, die „Tasman-See“, sondern war auch ein neuer Kontinent geboren: Zealandia. Ein wichtiges Indiz für diese Entwicklung ist der für einen Meeresboden typische Basalt: „Er taucht unter der Tasman-See erstmals vor 83 Millionen Jahren auf“, sagt Campbell.

Vor 50 Millionen Jahren endete das Aufquellen des Basaltes dann wieder. „Seither ist der Graben tot“, sagt Campbell. Die Tasman-See hat sich seither nicht mehr verändert. Für Zealandia gilt das Gegenteil: Seit der Geburt des Kontinents wurde er immer weiter auseinandergezerrt. Das hatte dramatische Folgen: Während die Erdkruste unter einem normalen Kontinent ungefähr 35 Kilometer dick ist, wurde sie unter Zealandia auf gerade einmal 20 Kilometer ausgedünnt. In der Taupo-Vulkanzone der Nordinsel Neuseelands ist die Kruste sogar nur noch 16 Kilometer dick. Dieser ausgedünnte Kontinent schwimmt zwar immer noch wie Fett oben, ragt aber viel weniger in die Höhe als andere Landmassen. Aus diesem Grund befinden sich die meisten Regionen Zealandias heute 1500 Meter unter dem Wasserspiegel. Nur die höchsten Berge und Hochländer brechen durch die Wellen: Neuseeland, Neukaledonien und einige kleinere Inseln. Die Unterwasserflächen Zealandias erheben sich deutlich über dem Grund der Ozeane, die durchschnittlich mehr als 3500 Meter tief sind.

Der Kontinent ist in zwei Teile zerrissen

Weshalb ragen überhaupt größere Regionen aus dem Wasser? Schließlich war die Erdkruste unter Zealandia vor 23 Millionen Jahren so weit ausgedünnt, dass praktisch die gesamte Landmasse geflutet war. „Sehr wahrscheinlich ragten damals aber noch einige Inseln aus den Wellen“, meint der Paläontologe Alan Tennyson vom Nationalmuseum Te Papa in Neuseelands Hauptstadt Wellington. Schließlich hätten sonst viele Arten wie die mächtigen Kauri-Bäume im subtropischen Norden Neuseelands nicht überlebt. Nahe Verwandte dieser Urwaldriesen wuchsen bereits vor 180 Millionen Jahren im heutigen Neuseeland, zeigt ein versteinerter Wald an der Küste der heutigen Südinsel.

Gerade als diese Bäume vor 25 Millionen Jahren immer weniger Land fanden, in das sie ihre Wurzeln schlagen konnten, änderten die wandernden Erdplatten in dieser Weltregion ihre Richtung. Im Norden Zealandias begann sich die Erdkruste des Pazifik-Meeresgrundes langsam unter die Kruste des Kontinents zu schieben. „Dabei entstand ein gewaltiger Druck, der Zealandia an den dünnsten Stellen aufbrechen ließ“, erklärt Hamish Campbell. Als sich diese Risse in der Erdkruste miteinander verbanden, entstand eine gewaltige Spalte, an der Zealandia auseinanderbrach.

Kaum entstanden, begannen die beiden Zealandias sich zu drehen, und die pazifische Platte drückte den südöstlichen der beiden Teile nach Norden und damit gegen die andere Hälfte. Immer wieder verhaken sich beiden Landmassen ineinander. Wird die Spannung zu groß, reißen diese Haken ab und Erdbeben erschüttern das Land. In der Knautschzone zwischen beiden Teilen beult die Kruste sich auf. So entstehen zum Beispiel die neuseeländischen Südalpen mit ihren zum Teil vergletscherten Bergen. Wie eine gigantische Ziehharmonika schnurren die beiden Hälften von Zealandia also seit 23 Millionen Jahren wieder zusammen, und der achte Kontinent taucht langsam aus den Fluten auf.