Felicitas Hoppe hat in ihrem neuen Buch alles anders gemacht. Sie hat all die Ritter und Märchengestalten, die ihr bisheriges Werk bevölkern, all die Paradiesbewohner und Seemannsgarnspinner, die kauzigen Kinder und seltsamen Eltern dieses Mal beiseitegelassen und sich entschlossen einer real existierenden Person zugewandt, die sie so gut kennt wie niemand sonst: sich selbst. Hoppe hat mit „HOPPE“ eine Autobiografie verfasst. Sie kommt als Biografie einer gewissen Felicitas Hoppe daher, verfasst von einer Erzählerin, die ihren Namen mit zwei kleinen Buchstaben abkürzt: „fh“. Die vielleicht klügste, auf jeden Fall gewitzteste Autorin ihrer Generation, Jahrgang 1960, mobilisiert vor den Augen des Lesers sämtliche Instanzen des Erzählens – indem sie selbst alle ausfüllt. Und wie!

 

Eine gewisse Felicitas Hoppe läuft wie ein Stehaufritter durch das Buch. Ihre Rüstung ist ein Rucksack, gefüllt mit Eishockeyschläger, Taktstock und Lippenstift. Sie legt ihn nie ab, nicht einmal beim Eishockeyspiel oder Dirigieren, was beide Karrieren abrupt beendet. Sie absolviert allerlei Seereisen und einen Flug, gerät in überaus komische Situationen und wieder heraus und ist stets auf der Suche nach dem Paradies, meist in Übersee. „HOPPE“ sei, kommentiert die Erzählerin „fh“ mit einem der vielen Hoppe-Zitate, „ehrlich erfunden“, mithin voller Slapstickszenen und kauziger Gestalten, allen voran – Felicitas Hoppe selbst. „HOPPE“ ist ein Schelmenroman, er eifert dem Lieblingsbuch der Verfasserin nach, dem italienischen Kinderbuchklassiker „Pinocchio“. Das ist sehr unterhaltsam, weil – bis auf wenige Stellen – das Erzähltempo hoch und die Zahl der skurrilen Einfälle groß ist. Mit ihnen verwandelt Hoppe sich selbst in eine literarische Figur Hoppe’scher Art, auch wenn, oder vielmehr: gerade weil die Biografin fh stets sofort dagegenhält.

Briefe an eine nicht existierende Familie

Sie weiß, dass alles, was über die Hamelner Kindheit der Autorin als drittes von fünf Geschwistern bekannt ist, herbeifantasiert ist. Jahrzehntelang verfasst Hoppe nämlich Briefe und Postkarten an eine nicht existierende Familie in Hameln, während sie an der Seite eines Patentanwalts und ohne Mutter in Übersee aufwächst. In Kanada freundet sie sich mit der Nachbarsfamilie Gretzky an, deren Sohn Wayne, das berühmte Eishockeygenie, ihre Begeisterung für den Puck weckt. Dann reisen Vater und Tochter per Schiff nach Australien, wo Hoppe ein Kompositionsstudium aufnimmt und ohne weitere Folgen heiratet. In Oregon, USA, studiert sie die deutsche Literatur und verschwindet nach dem Examen spurlos. Es sei allein der Hartnäckigkeit eines mit ihr befreundeten Unikollegen zu verdanken, weiß die Biografin fh, dass der Rowohlt Verlag acht Jahre später ihre hinterlassenen Texte veröffentlicht.

Zu Wort kommen neben Freunden auch Feinde, zum Beispiel Kritiker und Literaturwissenschaftler, die in Hoppes Werk mal säuerlich, mal aggressiv die Wirklichkeit und einiges mehr vermissen. Auch die Biografin fh tadelt prompt Aufschneiderei, Prahlhanserei, „Selbstrettungsprosa“. Was immer an Einwänden gegen Hoppes Erzählweise in „Pigafetta“, „Paradiese, Übersee“ oder „Johanna“ vorgebracht werden könnte und auch schon vorgebracht worden ist, wird – nicht selten giftiger und unmissverständlicher formuliert – Teil der Biografie. „HOPPE“ saugt alles auf, bis es nichts mehr außer „HOPPE“ gibt.

Der Grund übrigens, weshalb Matrosen so viel putzen, erzählte Hoppe einmal im Stuttgarter Literaturhaus, sei das aggressive Salzwasser, es drohe die Schiffe aufzuzehren. In ähnlicher Weise zehrt die Sprache der seekundigen Hoppe an der Wirklichkeit. Wer sich ihrem unbefangene, scheinbar schnörkellosen Erzählen überlässt, gleitet unversehens hinaus ins Ungewisse, der Realitätssinn wird in sanften Schwindel versetzt, und die Wirklichkeit verwandelt sich in einen Ozean gut erfundener Lügen.

Harmlosigkeiten sucht man vergebens

Doch man sollte sich nicht täuschen. Harmlos ist hier nichts. Der Hoppe’sche Kosmos folgt seinen eigenen Gesetzen, und wer sich ihm anvertraut, muss damit rechnen, in ausufernden Sprachspielen auf die Probe gestellt zu werden. Und wer sich in dem Dickicht aus Verfremdungen, Montagen und Zitaten verloren hat, findet nicht leicht wieder hinaus.

„Es gibt nie einen Weg zurück“, sagte die mit Reisen aller Art vertraute Hoppe kürzlich in einem Interview. Und dies gilt in beide Richtungen. Die prosaische Welt bleibt als Stimulus immer so präsent wie die fantastische Prosa, mit der sich Hoppe gegen sie erwehrt. „Im Traum sprechen wir gern wie ein Wasserfall und werden euch alles verraten“, heißt es am Ende der Irrfahrt von „Pigafetta“, „aber dass ihr uns nicht vor dem Morgen weckt, denn wenn wir einen Fremden erblicken, fahren wir aus dem Schlaf und fliehen kreischend.“

Das untergründige Modell ihrer Romane folgt dem Schema des Pikaresken. Danach verirrt sich ein bauernschlauer Schelm in der Welt und macht am Ende doch sein Glück. Hoppes pikareske Lebensleistung ist mit dem Georg-Büchner-Preis endgültig im Hafen der ganz Großen angekommen. Für sie eigentlich nichts Neues. Zuletzt residierte sie in den USA in der Villa Lion Feuchtwangers oberhalb von Los Angeles. Bleibt zu hoffen, dass sie niemand aus ihrem schöpferischen Traumwandeln weckt, sicher kann sie noch viel verraten.

Hoppe hat in ihrem neuen Buch alles anders gemacht

Felicitas Hoppe hat in ihrem neuen Buch alles anders gemacht. Sie hat all die Ritter und Märchengestalten, die ihr bisheriges Werk bevölkern, all die Paradiesbewohner und Seemannsgarnspinner, die kauzigen Kinder und seltsamen Eltern dieses Mal beiseitegelassen und sich entschlossen einer real existierenden Person zugewandt, die sie so gut kennt wie niemand sonst: sich selbst. Hoppe hat mit „HOPPE“ eine Autobiografie verfasst. Sie kommt als Biografie einer gewissen Felicitas Hoppe daher, verfasst von einer Erzählerin, die ihren Namen mit zwei kleinen Buchstaben abkürzt: „fh“. Die vielleicht klügste, auf jeden Fall gewitzteste Autorin ihrer Generation, Jahrgang 1960, mobilisiert vor den Augen des Lesers sämtliche Instanzen des Erzählens – indem sie selbst alle ausfüllt. Und wie!

Eine gewisse Felicitas Hoppe läuft wie ein Stehaufritter durch das Buch. Ihre Rüstung ist ein Rucksack, gefüllt mit Eishockeyschläger, Taktstock und Lippenstift. Sie legt ihn nie ab, nicht einmal beim Eishockeyspiel oder Dirigieren, was beide Karrieren abrupt beendet. Sie absolviert allerlei Seereisen und einen Flug, gerät in überaus komische Situationen und wieder heraus und ist stets auf der Suche nach dem Paradies, meist in Übersee. „HOPPE“ sei, kommentiert die Erzählerin „fh“ mit einem der vielen Hoppe-Zitate, „ehrlich erfunden“, mithin voller Slapstickszenen und kauziger Gestalten, allen voran – Felicitas Hoppe selbst. „HOPPE“ ist ein Schelmenroman, er eifert dem Lieblingsbuch der Verfasserin nach, dem italienischen Kinderbuchklassiker „Pinocchio“. Das ist sehr unterhaltsam, weil – bis auf wenige Stellen – das Erzähltempo hoch und die Zahl der skurrilen Einfälle groß ist. Mit ihnen verwandelt Hoppe sich selbst in eine literarische Figur Hoppe’scher Art, auch wenn, oder vielmehr: gerade weil die Biografin fh stets sofort dagegenhält.

Briefe an eine nicht existierende Familie

Sie weiß, dass alles, was über die Hamelner Kindheit der Autorin als drittes von fünf Geschwistern bekannt ist, herbeifantasiert ist. Jahrzehntelang verfasst Hoppe nämlich Briefe und Postkarten an eine nicht existierende Familie in Hameln, während sie an der Seite eines Patentanwalts und ohne Mutter in Übersee aufwächst. In Kanada freundet sie sich mit der Nachbarsfamilie Gretzky an, deren Sohn Wayne, das berühmte Eishockeygenie, ihre Begeisterung für den Puck weckt. Dann reisen Vater und Tochter per Schiff nach Australien, wo Hoppe ein Kompositionsstudium aufnimmt und ohne weitere Folgen heiratet. In Oregon, USA, studiert sie die deutsche Literatur und verschwindet nach dem Examen spurlos. Es sei allein der Hartnäckigkeit eines mit ihr befreundeten Unikollegen zu verdanken, weiß die Biografin fh, dass der Rowohlt Verlag acht Jahre später ihre hinterlassenen Texte veröffentlicht.

Zu Wort kommen neben Freunden auch Feinde, zum Beispiel Kritiker und Literaturwissenschaftler, die in Hoppes Werk mal säuerlich, mal aggressiv die Wirklichkeit und einiges mehr vermissen. Auch die Biografin fh tadelt prompt Aufschneiderei, Prahlhanserei, „Selbstrettungsprosa“. Was immer an Einwänden gegen Hoppes Erzählweise in „Pigafetta“, „Paradiese, Übersee“ oder „Johanna“ vorgebracht werden könnte und auch schon vorgebracht worden ist, wird – nicht selten giftiger und unmissverständlicher formuliert – Teil der Biografie. „HOPPE“ saugt alles auf, bis es nichts mehr außer „HOPPE“ gibt.

Solcher Totalitätsanspruch ruft natürlich Widerspruch hervor, zuallererst bei – Felicitas Hoppe. Und so richtet sie in diesem geschlossenen literarischen Kosmos dem Widerstrebenden, Nichtzuwissenden einen Platz ein: Es ist die Stille, vor der sich die Biografen, wie es heißt, fürchten, weil es in ihr nichts zu recherchieren gebe. Manchmal also, wenn auch sehr, sehr selten, verstummt selbst eine Hoppe.